2.4
Reformbedarf auf den globalisierten Finanzmärkten
Finanzkrisen sollten zwar durch
präventive wirtschaftspolitische Maßnahmen vermieden
werden. Doch Regulierung „kostet“, ebenso wie
De-Regulierung ihren Preis hat. Dieser ist in den vergangenen
Jahrzehnten in Form von Schulden- und Finanzkrisen und deren teurer
Behebung sowie als Verschärfung der globalen Polarisierung
eingefordert worden. Hinter der makroökonomischen
Opportunitätserwägung hinsichtlich der Formen und
Ausmaße von „Verregelung“ des globalen
Finanz sys tems verbergen sich also über die
Finanzmärkte hinausreichende politische Alternativen
hinsichtlich eines weltwirtschaftlichen und möglicherweise
weltgesellschaft lichen und weltpolitischen Ordnungsrahmens.
Bei der Diskussion der finanziellen Architektur sind also die
Schnittstellen zu globalen Verteilungs- und
Arbeitsmarktfragen, zur Außen-, Entwicklungs- und
Friedenspolitik zu beachten.
Während in den 70er Jahren Fragen der
Reform des Währungssystems im Zentrum standen und in den 80er
Jahren im Zusammenhang mit der Schuldenkrise nach Wegen einer
Entlastung der Schuldner und ihrer Befähigung zum
Schuldendienst gesucht wurde, ist in den 90er Jahren die
„Architektur“ des globalen Finanzsystems (als Element
von „Global
Governance“, vgl. hierzu im Einzelnen Kapitel 10)sowie die Frage von „Good
Governance“ auf (national)staatlicher Ebene das zentrale
The ma der Reformdebatte geworden.
Bisher hat sich im Zuge der finanziellen
Globalisierung eine „globale Finanzarchitektur“ eher
spontan herausgebildet, als dass sie bewusst politisch gestaltet
worden wäre – so dass es eigentlich ein Euphemismus ist,
den Begriff der „Architektur“ zu verwenden. Dabei
regeln nicht mehr nur die Institutionen von Bretton Woods (IWF und
Weltbank) sowie die nationalen Regierungen globale Währungs-
und Kreditmärkte, sondern eine Vielzahl von eher
„informellen“ Institutionen, in der Regel ausgestattet
mit „Soft Law“, d. h. mit Vorstellungen
über „Best Practices“, mit Standards, Leit-
und Richtlinien („Guidelines“) und
„Codes of Conduct“, deren Befolgung nicht
eingeklagt und deren Nicht-Befolgung nicht sanktioniert werden
kann, wie es bei „Gentlemen Agreements“
üblich ist. Diese eher informellen Institutionen und Standards
haben dennoch ein beträchtliches Gewicht in nahezu allen
Politikfeldern – auch im globalen Finanzsystem, wie wir
bereits bei der Erwähnung der
„Wolfsberg-Principles“ im Zusammenhang mit der
Bekämpfung der Geldwäsche gesehen haben. Es wäre
allerdings eine verfehlte Annahme, wenn unterstellt würde,
informelle Institutionen und Regeln kämen ohne gouvernmentale
Politik aus. Auch die „Guidelines“ der G8 oder des FSF
müssen in europäische Richtlinien und nationales Recht
transformiert werden, um verbindlich wirksam zu werden. Hier wird
ein allen Politikfeldern und Bereichen gemeinsamer Grundzug der
Globalisierung deutlich, der im Kapitel
10„Global
Governance“ ins Einzelne gehend thematisiert wird: Die
Perforation nationalstaatlicher Souveränität (manche
sprechen auch von deren Erosion) hat zur Ausbildung von Regeln und
Institutionen geführt, die sich nicht auf das harte und
sanktionsbewehrte Recht der Nationalstaaten stützen
können, sondern supranationalen, multilateralen,
„weichen“ Übereinkünften folgen, weil es den
„Weltstaat“ nicht gibt.
Neben den traditionellen Institutionen von
Bretton Woods wirken an der Regulierung der finanziellen
Globalisierung die OECD, die BIZ, die G7 (G8) mit, die jeweils
Foren (z.B. das Financial Stability Forum) oder Task Forces (z.B.
die Financial Action Task Force on Money Laundering, angesiedelt
bei der OECD) oder spezielle Komittees wie das Basle Committee on
Banking Supervision (BCBS) bei der BIZ hervorgebracht haben. Von
besonderer Wichtigkeit sind „Gruppen“ von Ländern
(G7, G10, G20 etc.), die auf mehr oder weniger
regelmäßigen Treffen den Bedarf an Koordinierung und
Regulierung bestimmen und das Regierungshandeln mehr oder weniger
erfolgreich koordinieren helfen. Hier wird deutlich, dass die
finanzielle Globalisierung, auch wenn sie vor allem über die
Expansion von Märkten statt findet, einen institutionellen
Überbau hervorbringt, der „Minima
Regulatoria“ enthält (Giovanoli 2000b). Allerdings
hat die politische Regulierung einen eher informellen als formellen
Charakter und daher ergeben sich Konsequenzen für die
formellen Organe demokratischer Repräsentanz, insbesondere
für die nationalen Parlamente, die nicht aus der Gestaltung
der „globalen Finanzarchitektur“ ausgeschlossen und von
den Gestaltungsaufgaben entbunden werden dürfen.
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