*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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2.6          Ausblick und offene Fragen51

Es werden im Folgenden nur jene „offenen Fragen“ benannt, die sich im Verlauf der Arbeit der Arbeitsgruppe „Finanzmärkte“ ergeben haben und in dem verfügbaren Zeitrahmen nicht beantwortet werden konnten. Selbstverständlich gibt es noch viele andere Fragen im Zusammenhang mit den Entwicklungstendenzen globaler Finanzmärkte; auch der ausführlichste Bericht kann jedoch nicht    beanspruchen, in allen oder auch nur den meisten Problemkomplexen das „letzte Wort“ gesprochen zu haben.

An vielen Stellen des vorliegenden Kapitels tauchte die Frage nach dem Verhältnis von „monetärer“ und „realer“ Ökonomie auf. Die Diskussion darüber konnte nur teilweise geführt werden, zum Beispiel anhand der Entwicklungstendenzen von realem Inlandsprodukt und Realzinsen (vgl. Kapitel 2.3.3).Die empirischen Ergebnisse, theoretischen Deutungen und politischen Wertungen blieben in der Diskussion strittig; davon zeugt der Ab­ schluss­ bericht. Wegen der Bedeutung dieser Frage für begründete Einschätzungen von Entwicklungstendenzen der globalen Finanzmärkte, z. B. von „Verselbständigungs­ tendenzen“ der Finanzsphäre einerseits und von Wirkungen der Preisentwicklung realer Größen (von Gütern und Dienstleis­ tungen) sowie der Lohn- und Gewinn­ ein­ kommen (letztere ohne Zinseinkünfte) auf die Dynamik der Finanzmärkte andererseits, gibt es erheblichen Bera­ tungs­ ­ bedarf.

Zwar räumt der Abschlussbericht der Analyse der Ursachen und Wirkungen der Schuldenkrise der Entwicklungsländer in den 80er Jahren und der Währungs- und Finanzkrisen von Schwellenländern seit Beginn der 90er Jahre beträchtlichen Raum ein (vgl. hierzu Kapitel 2.3.1).Doch steht eine ähnlich eingehende Analyse von Instabilitäten und Krisen der Finanzmärkte in Industrieländern noch aus. Beispielsweise war es nicht möglich, sich eingehend mit der japanischen Bankenkrise zu beschäftigen, deren Bedeutung weit über Japan hinausreicht, oder die Rolle des US-Dollar auf dem globalisierten Finanzmarkt angemessen zu berücksichtigen.

Damit eng verknüpft ist die generelle Frage nach der Zukunft des Währungssystems, wenn sich mehr und mehr eine „Triadisierung“ zwischen US-Dollar, Yen und Euro, einigen kleineren starken, unabhängigen Währungen und vielen „Satellitenwährungen“ andeutet. In diesem Zusammenhang wären die Konsequenzen für die Gestaltung des Europäischen Finanzmarktes und der Europäischen Währungsunion genauer und eingehender als bisher geschehen, zu erarbeiten (etwa hinsichtlich einer Harmonisierung von Steuersystemen, einer europäischen Aufsicht über Finanzmärkte, der Regeln für Finanzmarkt­ akteure und Finanzinstrumente etc.).

Auch ist die in Kapitel 2.3.4geführte Debatte über „Share­ holder Value“ keineswegs abgeschlossen. Die Konsequenzen, die sowohl theoretisch als auch in der politischen Bewertung aus dem „New Economy-Boom“ und dessen abruptem Ende gezogen werden müssen, sind noch zu ziehen. Dieses gilt etwa für Unternehmensziele, für Bewertungsprinzipien, für Bilanzierungsrichtlinien, für Rating und andere Aspekte im Zusammenhang mit der so genannten Corporate Governance.

Zum Problem der Alterung der Weltbevölkerung äußert sich der Bericht der Enquete-Kommission „Globalisierung“ ausführlich im Kapitel 9.2.2. Die Konsequenzen für die Systeme der Altersicherung und deren Reformen werden aber bestenfalls angedeutet. Die Frage nach den Finanzierungsmodi der Alterssicherung ist eng mit dem Funktionieren der Weltfinanzmärkte verbunden: Ein kapitalgedecktes Modell stärkt die Bedeutung von Fonds auf liberalisierten, offenen Finanz­ märkten. Die Frage nach den Auswirkungen auf die Finanzmärkte und umgekehrt die möglichen Folgen für die Bezieher der Alterssicherung müssten sehr viel intensiver debattiert werden, als dies im Zeitrahmen der Kommission möglich war.

Im Zusammenhang mit Geldwäsche tauchte immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von formellen und „informellen“ Banken auf, die zum Teil beträchtliche Transfers an der Bankaufsicht vorbei zu leisten in der Lage sind. Besonders hervorgetreten sind in den vergangenen Jahrzehnten infolge von Globalisierung und Liberalisierung so genannte Hawala-Banken. Wegen ihrer Bedeutung für bestimmte Segmente der globalen Finanzmärkte verdienen sie hohe Aufmerksamkeit, die ihnen die Enquete-Kommission „Globalisierung“ bislang nicht widmen konnte.

Dies gilt auch für den Countertrade, also weitgehend geldlose, aber zumeist durch Kredit finanzierte, zum Teil große Tauschgeschäfte. Nach Schätzungen des IWF werden in manchen Weltregionen (zeitweise in den mittel- und osteuropäischen Transformationsländern, in Afrika)  bis zu 50 Prozent des Marktvolumens über Countertrade abgewickelt. Es müsste der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen Countertrade für die Transparenz der Märkte oder für Geldwäscheaktivitäten besitzt.

Auch die mit dem islamischen Bankensystem verbundenen Fragen mussten bislang von der Enquete-Kommission „Globalisierung“ zurückgestellt werden. Dies ist angesichts der Bedeutung des islamischen Kulturkreises als Mangel zu bewerten, der nur durch die Zeitnot, in der sich die Kommission befand, gerechtfertigt werden kann. Zum einen sollte das „Islamic Banking“ im Zusammenhang mit nachhaltigen Geldanlage-Konzepten (vgl. hierzu Kapitel 2.4.5)betrachtet werden. Denn auch der Religion verdankte Motive spielen bei der Geldanlage eine nicht geringe Rolle. Zum anderen sollte der Frage nachgegangen werden, wie islamische Banken bei Beachtung des Verbots, Zinsen zu nehmen, innerhalb des globalen Finanzmarkts operieren.

Zu Beginn ihrer Arbeit hat sich die Enquete-Kommission „Globalisierung“ im Zusammenhang der Finanzmärkte mit Fragen des elektronischen Geldes und der elektronischen Bankgeschäfte beschäftigt. Das Thema ist, nachdem es andiskutiert worden ist, zurückgestellt worden, weil absehbar war, dass es angesichts des sonstigen Arbeitsauftrags nicht angemessen bearbeitet werden kann. Es ist allerdings völlig unstrittig, dass die Elektronisierung der Finanzmärkte eine Schlüsselfrage der zukünftigen Entwicklung darstellt und daher unbedingt bearbeitet werden muss.



51 Vgl. hierzu das Minderheitenvotum der FDP-Fraktion in Kapitel 11.2.2.2.4.

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