3.3.3.4 Betrachtung ausgewählter
GATS-Sektoren
Nachfolgend soll
für ausgewählte Sektoren der Stand der
GATS-Verpflichtungen, die möglichen Verhandlungspositionen
sowie die Rolle dieser Sektoren in Deutschland dargestellt werden.
Dabei wird abgeschätzt, ob es sich jeweils um potenzielle
„Gewinner- oder Verlierer-Branchen“ handelt und welche
Chancen und Risiken hinsichtlich sozialer und
beschäftigungspolitischer Wirkungen mit den GATS-Verhandlungen
einhergehen können. Die Enquete-Kommission ist sich bewusst,
dass diese Einengung nur durch Zeitmangel zu rechtfertigen ist. Es
wird daher empfohlen, in einer folgenden Enquete-Kommission die
weiteren Sektoren (z. B. Gesundheit) zu betrachten.
3.3.3.4.1 Bildungsdienstleistungen
Der
Bildungssektor ist ein Bereich, in dem wenige Länder
GATS-Verpflichtungen übernommen haben, der jedoch eine
große ökonomische Bedeutung hat. Mit Ausnahme der
„anderen Bildungsdienstleistungen“ hat die EU in allen
Kategorien Verpflichtungen übernommen. Dabei gewährt sie
durchgängig Marktzugang und Inländerbehandlung für
die Erbringungsart 2, den Konsum im Ausland. Der Bereich der
Erwachsenenbildung ist am weitesten liberalisiert, hier bleibt nur
die Erbringungsart 4, grenzüberschreitende Personenbewegungen,
beschränkt. Die ökonomische Bedeutung des Bildungssektors
ist daran ablesbar, dass die OECD-Staaten rund sechs Prozent des
BIP für Bildung ausgeben, 80 Prozent dieser Mittel sind
öffentliche Ausgaben. Während die jährlichen
öffentlichen Pro-Kopf-Ausgaben der Industrieländer Mitte
der 90er Jahre 1200 US-Dollar betrugen, belief sich dieser Wert in
den Entwicklungsländern auf knapp 50 US-Dollar. Wäh
rend sich einerseits im Tertiärbereich stärker
erwerbswirtschaftliche Elemente durchsetzen, bleibt der
Pflichtschulbereich noch staatlichen Einrichtungen vorbehalten. Der
internationale Handel mit Bil dungs dienstleis
tungen wächst v.a. im tertiären Bereich. Damit ist die
GATS-Erbringungsart des Konsums im Ausland die dominante Form des
internationalen Dienstleistungsverkehrs im Bildungsbereich.
Gewerkschaftliche
Befürchtungen einer forcierten Liberalisierung von
Bildungsdienstleistungen wurden von Education International (EI)
artikuliert. EI kritisiert, dass es weder eine
Überprüfung der Auswirkungen der bisherigen
GATS-Verpflichtungen gegeben habe, noch überhaupt hinreichende
Daten zu den vier Erbringungsarten des Handels mit
Bildungsdienstleistungen vorliegen. Konsequenzen könnten eine
Standardisierung von Bildung, sinkende Arbeitsplatzsicherheit durch
Zunahme befristeter Beschäftigungsverhältnisse sowie die
Unterminierung der öffentlichen Verantwortung für den
Bildungsbereich sein (EI/PSI 1999). Derzeit ist die
„Erbringung einer Dienst leistung oder ihre
Subventionierung innerhalb des öffentlichen Sektors“
seitens der EU im Rahmen der horizontalen Verpflichtungen
ausgenommen. Eine Dienstleistung, die „in Ausübung
hoheitlicher Gewalt“ erbracht wird, ist nur dann von der
Liberalisierung ausgenommen, wenn sie „weder zu kommerziellen
Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren
Dienstleistungserbringern erbracht wird“. Da Konkurrenz von
öffentlichen und privaten Anbietern im Bildungsbereich
existiert, liegt die Entscheidung bei den EU-Staaten,
unabhängig von den GATS-Bestimmungen privaten
Bildungsanbietern Zugang zu staatlicher Unterstützung zu
gewähren. Sollten EU-Staaten im Rahmen der GATS-Verhandlungen
die bestehende horizontale Ausnahme aufgeben, könnten
ausländische Privatuniversitäten den Anspruch erheben,
wie staatlichen Universität gefördert zu werden.
3.3.3.4.2 Forschung und Entwicklung
Die EU hat die
interdisziplinären und naturwissenschaftlichen
Forschungsdienstleistungen im Gegensatz zu jenen in den Sozial- und
Humanwissenschaften nicht in den sektoralen Abschnitt ihrer
Länderliste aufgenommen, d.h. hier bestehen keine
GATS-Verpflichtungen.
Öffentliche
Forschungsinstitutionen sehen sich zunehmendem Legitimationsdruck
im Hinblick auf die Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen
ausgesetzt. Staatliche Förderung wird zugunsten der
anwendungsbezogenen Forschung umorientiert. Weitere Instrumente der
Steigerung wirtschaftlicher Verwertbarkeit werden in stärkerer
Konkurrenz zwischen öffentlichen und privaten
Forschungsdienstleistern sowie in der Privatisierung von
Forschungsaktivitäten gesehen (DIW 2001).
Als potenzielle
Handelshemmnisse für die private Erbringung von
Forschungsdienstleistungen können neben staatlicher
Förderung für öffentliche Einrichtungen auch jene
für private Forschungsinstitute angesehen werden
(Zuschüsse, Steuererleichterungen etc.). Ausländische
Anbieter von Forschungsdienstleistungen könnten hier die
Gleichbehandlung fordern. Weitere potenzielle Handelshemmnisse, wie
Wettbewerbsregeln, können aus der verstärkten
grenzüberschreitenden Forschungskooperation zwischen
Unternehmen resultieren. Alle diese Fragen können im Rahmen
des GATS aufgeworfen werden und entsprechende Verpflichtungen nach
sich ziehen.
3.3.3.4.3 Telekommunikation
Während der
Uruguay-Runde konzentrierten sich die
Telekommunikationsverhandlungen auf die Liberalisierung sog.
Mehrwertdienste wie E-Mail oder Online-Datenbanken. Ergebnis ist
das Abkommen über Basistelekommunikation. Die
Unterzeichnerstaaten decken rund 91 Prozent der globalen Einnahmen
in diesem Bereich ab. Die eingegangenen Verpflichtungen umfassen
den Marktzugang, Investitionen und regulatorische Prinzipien. Die
Markzugangsverpflichtungen betreffen nicht Hörfunk und
Fernsehen. Weiterhin regelt das Abkommen den Zugang
ausländischer Unternehmen zu Übertragungstechniken vom
Funk über das Festnetz bis zu Satelliten (Müller, Wegmann
2000). Einen weitreichenden Eingriff in staatliche Regelungshoheit
stellt dabei das Referenzpapier regulatorischer Prinzipien dar, zu
deren Einhaltung sich der größte Teil der Unterzeichner
des Basistelekommunikationsabkommens verpflichtete (Warner
2000).
Entwicklungsländer haben hier weniger Verpflichtungen
übernommen. Jedoch werden Entwicklungsländer zu
weit reichenderen Marktöffnungszugeständnissen
gedrängt. So brachten Regierungen und Unternehmen der
OECD-Länder die Weltbank und Internationale Telekommunikations
Union (ITU) dazu, am Basistelekommunikationsabkommen orientierte
technische Hilfe zu leisten, die auf Harmonisierung von
Netzwerk-Regulierungen abzielt, die den Marktzutritt
ausländischer Wettbewerber erleichtert (Cowhey, Klimenko
2001).
Ziel der
GATS-Verhandlungen ist es, die geografische Reichweite des
Basistelekommunikationsabkommens zu erweitern. Die EU fordert in
ihrem Verhandlungsvorschlag die Beseitigung sämtlicher
Restriktionen für die Erbringungsarten (Modes) 1, 2 und 3.
Daneben schlägt die EU weitere Erleichterungen für den
Personenverkehr von Dienstleistungserbringern (Mode 4) vor (WTO
2001d). Die EU gewährt Drittstaaten seit 1998 Marktzugang und
Inländerbehandlung für alle Telekommunikationsdienste.
Sie hat zusätzliche Verpflichtungen mit dem
Basistelekommunikationsabkommen übernommen, in denen das Recht
bestätigt wird, Universaldienstverpflichtungen zu
erteilen.
3.3.3.4.4 E-Commerce
Auf der
WTO-Ministerkonferenz 1998 in Genf vereinbarte man ein
umfangreiches Arbeitsprogramm zum E-Commerce wie auch ein
Moratorium auf die Erhebung von Zöllen auf elektronisch
übertragene Güter und Dienste. Da
E-Commerce-Aktivitäten durch verschiedene WTO-Abkommen
berührt sind, wurden auch mehrere WTO-Räte mit dem
Arbeitsprogramm betraut (WTO 1998c). Allerdings herrscht Einigkeit,
dass das GATS für einen Großteil des E-Commerce von hoher
Relevanz ist.
Die EU teilt die
Forderungen nach Liberalisierung und betont Fragen der
Wettbewerbskontrolle und des Verbraucherschutzes. Den
Entwicklungsländer fehlen dagegen zumeist die
Kapazitäten, um sich an den E-Commerce- relevanten
Diskussionen zu beteiligen.
Der wichtigste
Streitpunkt betrifft die Frage, ob elektronischer Handel und
digitale Produkte als Ware, Dienst leistung oder als
„Hybrid“ zu klassifizieren sind, also entweder unter
das GATT oder das GATS fallen. Während die EU dafür
eintritt, digitale Produkte als Dienstleistungen zu klassifizieren,
so dass sie unter das GATS fallen würden, möchten die USA
diese als Waren klassifizieren und durch das GATT regeln lassen.
Schon in der Uruguay-Runde wurde über Mindestquoten, die
Fernsehanstalten für europäische Werke reservieren
sollten, gestritten. Man könnte sich nicht auf eine kulturelle
Ausnahmeklausel einigen, wie von Frankreich und Belgien gefordert.
Die EU nutzte aber die Flexibilität des GATS und übernahm
keine Liberalisierungsverpflichtungen in diesem Bereich (Barth
1998). Bedenken gegen das in Doha verlängerte Zollmoratorium
wurden von Entwicklungsländern geäußert. Da sie in
stärkerem Maße von Zolleinnahmen abhängig sind als
Industrieländer, befürchten sie Einnahmeverluste.
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