*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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3.3.4.1    Transparenz, Demokratie und Machtungleichgewichte

Das multilaterale Handelssystem hat sich seit der Uruguay Runde dramatisch verändert. Geblieben ist das Grundprinzip: in der WTO hat jedes Mitglied eine Stimme, und in den meisten Entscheidungen gilt das Konsensprinzip. Diese Grundsätze stärken kleinere Volkswirtschaften und mindern die Möglichkeiten der großen. Dennoch besteht sehr weitgehende Einigkeit darüber, dass die WTO trotz ihres geringen Alters einer substanziellen Reform bedarf, was ihre Struktur angeht. Als die WTO 1995 ihre Arbeit aufnahm, gehörten ihr 76 Staaten an. Heute hat die WTO nach dem Beitritt Chinas und Taiwans 144 Mitglieder, davon knapp 80 Prozent Entwicklungsländer. Diesen Ländern sind keine deckungsgleichen Interessen zu unterstellen, und ihre Wünsche und Fähigkeiten zur Teilhabe an den internationalen Verhandlungen divergieren naturgemäß stark. Generell kann allerdings festgestellt werden, dass sich ihr zahlenmäßiges Gewicht nicht angemessen in ihrem Einfluss und den Möglichkeiten einer regelmäßigen Teilnahme an den Verhandlungen widerspiegelt. Das Bewusstsein dieser Staaten über die Konsequenzen der Handelsliberalisierung hat sich jedoch erheblich gesteigert. Im selben Maße haben sich die Forderungen nach einer besseren Integration in die Arbeit der WTO verstärkt.

Das Prozedere der Entscheidungsfindung wird von vielen Entwicklungsländern als selektiv und ausgrenzend wahrgenommen. Oftmals werden die WTO-Beratungen durch informelle Absprachen der Delegationen der großen Indus­ trieländer und einiger weniger „strategischer“ Entwicklungsländer gesteuert (sog. „Green Room Discussions“).

Bei umfassenden internationalen Regelwerken, die in der Regel über Jahre verhandelt werden, sind die Möglichkeiten einer parlamentarischen Entscheidung beschränkt. Manchen Parlamenten bleibt häufig nur die Ratifizierung oder Ablehnung der ausgehandelten Verträge. Ausgehend von der Erkenntnis, dass es in dieser Frage keine einfache Lösung gibt, sollten die Möglichkeiten parlamentarischer Einflussnahme auf die WTO ausgebaut und die nationalen Parlamente frühzeitig so weit wie möglich einbezogen werden. Dies folgt dem Ziel, zentrale Leitlinien der Verhandlungen zu kennen und ggf. zu beeinflussen. Die öffentliche Akzeptanz der WTO könnte sich durch erweiterte Beteiligungsmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen verbessern. Wie eine Stärkung dieses Austauschs funktionieren könnte, haben andere internationale Institutionen des UN-Systems in der jüngeren Vergangenheit gezeigt. Der Sachverstand der Nichtregierungsorganisationen wie auch der unmittelbar betroffenen Wirtschaft sowie der Gewerkschaften sollte in die Prozesse stärker Eingang finden können (vgl. Kapitel 10.3).

Interne Transparenz: Als zwischenstaatliche Organisation hängt die WTO in ihrer nur mittelbaren „demokratischen“ Legitimation davon ab, dass alle Mitgliedstaaten die gleichen Teilnahmemöglichkeiten an der Entscheidungsfindung und den Beschlüssen haben und auch praktizieren können. Tatsächlich aber sind über 20 Entwicklungsländer, die WTO-Mitglied sind, in Genf nicht ständig vertreten.Weitere Länder haben so kleine Delegationen, dass sie nicht alle sie betreffenden Aktivitäten verfolgen können. Um dem Vorwurf einer De-facto-Ausgrenzung solcher Länder vorzubeugen, ist auch hier Hilfe wünschenswert.

Generell zu bedenken ist jedoch, dass die Finanzierung diplomatischer Vertretungen in der Rangfolge entwicklungspolitischer Ziele schwerlich einen besonderen Stellenwert beanspruchen kann.

Von besonderer Bedeutung sind die Überlegungen zur Verbesserung des Streitbeilegungsverfahrens (Art. 7 der Vereinbarung über die Streitbeilegung). Dabei geht es einerseits um die Verbesserung von Transparenz und Arbeitsweise der Streitschlichtungsinstanzen. Ein gerichts­ ähnliches Verfahren wie das Streitschlichtungsverfahren sollte mit hoher Transparenz ausgestattet sein.

   Andererseits geht es darum, die Besorgnis erregende Zunahme der Verfahren zugunsten des politischen Kompromisses zurückzudrängen, indem zeitlich begrenzte Ausgleichsregelungen – auch finanzieller Art – begünstigt werden.46



46 Vgl. Vorschläge der EU-Kommission vom 26.7.2000 an den Allgemeinen Rat der WTO.

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