3.3.4.1 Transparenz, Demokratie
und Machtungleichgewichte
Das multilaterale Handelssystem hat sich seit
der Uruguay Runde dramatisch verändert. Geblieben ist das
Grundprinzip: in der WTO hat jedes Mitglied eine Stimme, und in den
meisten Entscheidungen gilt das Konsensprinzip. Diese
Grundsätze stärken kleinere Volkswirtschaften und mindern
die Möglichkeiten der großen. Dennoch besteht sehr
weitgehende Einigkeit darüber, dass die WTO trotz ihres
geringen Alters einer substanziellen Reform bedarf, was ihre
Struktur angeht. Als die WTO 1995 ihre Arbeit aufnahm,
gehörten ihr 76 Staaten an. Heute hat die WTO nach dem
Beitritt Chinas und Taiwans 144 Mitglieder, davon knapp 80 Prozent
Entwicklungsländer. Diesen Ländern sind keine
deckungsgleichen Interessen zu unterstellen, und ihre Wünsche
und Fähigkeiten zur Teilhabe an den internationalen
Verhandlungen divergieren naturgemäß stark. Generell kann
allerdings festgestellt werden, dass sich ihr
zahlenmäßiges Gewicht nicht angemessen in ihrem Einfluss
und den Möglichkeiten einer regelmäßigen Teilnahme
an den Verhandlungen widerspiegelt. Das Bewusstsein dieser Staaten
über die Konsequenzen der Handelsliberalisierung hat sich
jedoch erheblich gesteigert. Im selben Maße haben sich die
Forderungen nach einer besseren Integration in die Arbeit der WTO
verstärkt.
Das Prozedere der Entscheidungsfindung wird
von vielen Entwicklungsländern als selektiv und ausgrenzend
wahrgenommen. Oftmals werden die WTO-Beratungen durch informelle
Absprachen der Delegationen der großen Indus
trieländer und einiger weniger „strategischer“
Entwicklungsländer gesteuert (sog. „Green Room Discussions“).
Bei umfassenden internationalen Regelwerken,
die in der Regel über Jahre verhandelt werden, sind die
Möglichkeiten einer parlamentarischen Entscheidung
beschränkt. Manchen Parlamenten bleibt häufig nur die
Ratifizierung oder Ablehnung der ausgehandelten Verträge.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass es in dieser Frage keine
einfache Lösung gibt, sollten die Möglichkeiten
parlamentarischer Einflussnahme auf die WTO ausgebaut und die
nationalen Parlamente frühzeitig so weit wie möglich
einbezogen werden. Dies folgt dem Ziel, zentrale Leitlinien der
Verhandlungen zu kennen und ggf. zu beeinflussen. Die
öffentliche Akzeptanz der WTO könnte sich durch
erweiterte Beteiligungsmöglichkeiten von
Nichtregierungsorganisationen verbessern. Wie eine Stärkung
dieses Austauschs funktionieren könnte, haben andere
internationale Institutionen des UN-Systems in der jüngeren
Vergangenheit gezeigt. Der Sachverstand der
Nichtregierungsorganisationen wie auch der unmittelbar betroffenen
Wirtschaft sowie der Gewerkschaften sollte in die Prozesse
stärker Eingang finden können (vgl. Kapitel 10.3).
Interne Transparenz: Als
zwischenstaatliche Organisation hängt die WTO in ihrer nur
mittelbaren „demokratischen“ Legitimation davon ab,
dass alle Mitgliedstaaten die gleichen Teilnahmemöglichkeiten
an der Entscheidungsfindung und den Beschlüssen haben und auch
praktizieren können. Tatsächlich aber sind über 20
Entwicklungsländer, die WTO-Mitglied sind, in Genf nicht
ständig vertreten.Weitere Länder haben so kleine
Delegationen, dass sie nicht alle sie betreffenden Aktivitäten
verfolgen können. Um dem Vorwurf einer De-facto-Ausgrenzung
solcher Länder vorzubeugen, ist auch hier Hilfe
wünschenswert.
Generell zu bedenken ist jedoch, dass die
Finanzierung diplomatischer Vertretungen in der Rangfolge
entwicklungspolitischer Ziele schwerlich einen besonderen
Stellenwert beanspruchen kann.
Von besonderer Bedeutung sind die
Überlegungen zur Verbesserung des Streitbeilegungsverfahrens
(Art. 7 der Vereinbarung über die Streitbeilegung). Dabei geht
es einerseits um die Verbesserung von Transparenz und Arbeitsweise
der Streitschlichtungsinstanzen. Ein gerichts ähnliches
Verfahren wie das Streitschlichtungsverfahren sollte mit hoher
Transparenz ausgestattet sein.
Andererseits geht es darum, die Besorgnis erregende
Zunahme der Verfahren zugunsten des politischen Kompromisses
zurückzudrängen, indem zeitlich begrenzte
Ausgleichsregelungen – auch finanzieller Art –
begünstigt werden.46
46 Vgl. Vorschläge der EU-Kommission vom 26.7.2000
an den Allgemeinen Rat der WTO.
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