3.5.1.2 Umweltpolitik im Rahmen
der WTO
3.5.1.2.1 Interessenslagen
Die WTO verpflichtet sich in ihrer
Präambel dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung: „Die
Parteien zu diesem Über einkommen erkennen an, dass ihre
Beziehungen im Bereich des Handels und Wirtschaftens darauf
abzielen sollen (...), die bestmögliche Nutzung der
Naturschätze in Über einstimmung mit dem Ziel des nachhaltigen
Wirtschaftens (sustainable development) zu ermöglichen, um die
Umwelt zu schützen und zu erhalten (...)“ (WTO 1994a).
Während in der Vergangenheit in Streitfragen zwischen Handels-
und Umweltpolitik in der WTO meistens, wenn auch nicht immer, der
Handelsliberalisierung Vorrang eingeräumt wur de56, zeigen neue Entscheidungen
(z. B. zum Asbest), dass den einzelnen Staaten tendenziell mehr
Handlungsspielräume für Handelsbeschränkungen aus
Umweltgründen zugestanden werden. So deuten verschiedene
Beschlüsse des WTO-Streit schlichtungsmechanismus und
hier insbesondere des Berufungsorgans (Appellate Body) darauf hin,
dass unter bestimmten Bedingungen umweltpolitisch motivierte
Handelsbeschränkungen auch dann mit den WTO-Bestimmungen
vereinbar sein können, wenn sie aufgrund von
Produktionsprozessen getroffen werden. Damit zeichnet sich eine
Anwendung des GATT Artikel XX (Allgemeine Ausnahmen) ab, die von
der früheren Interpretation abweicht. Es erscheint jedoch
problematisch, dass die Bedingungen, unter den Artikel XX für
produktionsprozessbezogene Handelsbeschränkungen in Anspruch
genommen werden kann, nicht genau spezifiziert sind und die
WTO-Schiedssprechung kein „Case Law“ darstellt. Somit
herrscht ein hohes Maß an Unsicherheit über die
(Un-)Zu läsigkeit umweltpolitisch motivierter
Importbeschränkungen, welches den „Appellate Body“
bereits mehrfach bewogen hat, auf Regelungsbedarf durch die
WTO-Mitglieder hinzuweisen.
Artikel XX ist
ein Ausfluss von Treu und Glauben. Er soll dem Staat, der
Maßnahmen ergreift, die Möglichkeit bewahren, die eigenen
Umweltschutzziele (und andere Ziele wie z. B. Schutz der
öffentlichen Ordnung) zu verfolgen, er soll aber auch
betroffene Staaten davor schützen, dass ihre WTO-Rechte durch
WTO-widrige Maßnahmen geschmälert werden. Im
Asbest-Streitfall entschied der „Appellate Body“ gegen
die Ansicht Kanadas, dass Asbest ohne Gesundheitsgefahren
handhabbar wäre zugunsten des französischen
Importverbotes.
Die WTO
verfügt im Gegensatz zu vielen anderen internationalen
Organisationen über ein Streitschlichtungsverfahren, in dessen
Rahmen Länder, die WTO-Bestimmungen missachten, mit Sanktionen
belegt werden können. Deshalb wird es von vielen für
wünschenswert gehalten, Umwelt-Mindeststandards in das
Regelwerk der WTO aufzunehmen, um einerseits zu verhindern, dass in
solchen Streitschlichtungsverfahren Umweltbelange überregelt
werden und andererseits auch Umweltstandards zur besseren Umsetzung
zu verhelfen.
Dabei geht es um die Übernahme bzw.
Zugrundelegung bestehender Standards aus Multilateralen
Umweltabkommen (MEA), nicht um die Erarbeitung neuer Standards
durch die WTO. Unter Wettbewerbsgründen hat eine allgemein
gültige Standardsetzung insofern Vorteile, da sie gleiche
Ausgangsbedingungen für alle Wettbewerber schafft und die
durch die Öffnung des Welthandels verstärkte Gefahr des
Ökodumpings reduziert.
Gegner der Verankerung von Umweltstandards in
der WTO finden sich nicht nur unter denjenigen, die darin nicht die
Korrektur von Fehlfunktionen des Marktes sehen, sondern lediglich
nichttarifäre Handelshemmnisse. Insbesondere von Seiten vieler
Regierungen und NGO aus dem Süden gibt es große
Vorbehalte gegen ein solches Vorgehen. Sie befürchten aufgrund
der realen Machtverhältnisse in der WTO, des krassen
Ungleichgewichtes zwischen Industrie- und Entwicklungsländern
und der mangelnden Transparenz negative Auswirkungen auf die
ökonomischen und Umweltinteressen im Süden, wobei sie
sich insbesondere durch das TRIPS-Abkommen bestätigt
sehen.
Vor allem aber befürchten nicht nur
Regierungen von Entwicklungsländern, dass die Verankerung von
Umweltstandards in der WTO den Marktzugang für Produkte
besonders aus Entwicklungsländern erschweren und eine
WTO-Umweltklausel von den Industrieländern für
Wirtschaftsprotektionismus instrumentalisiert würde.
Transparenz und Vorkehrungsmaßnahmen gegen den
protektionistischen Missbrauch sind daher ebenso geboten wie ein
System des fairen Ausgleiches, schon allein um zu verhindern, dass
alternativ die Forderung nach Absenkung von Umweltstandards erhoben
wird.
3.5.1.2.2 Beschlüsse der
WTO-Ministerkonferenz in Doha
Insbesondere aufgrund der
nachdrücklichen Verhandlungsposition der EU, unterstützt
von Norwegen, der Schweiz und den EU-Beitrittskandidaten, wurden in
Doha erstmalig Umweltthemen in die Agenda einer Welthandelsrunde
aufgenommen. In Punkt 6 der Ministererklärung wurde
grundsätzlich festgestellt, dass das Handelsregime und die
Verfolgung von Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklung sich
gegenseitig unterstützen müssen und insbesondere die
Kooperation mit der UNEP bestärkt.57
Über das Trade Negotiation Committee, das die
neue Verhandlungsrunde technisch leiten wird, wurde der bestehende
WTO-Ausschuss für Handel und Umwelt unter Vorsitz der WTO
Botschafterin Gabuns ermächtigt, in Sondersitzungen über
folgende Aspekte des Themas Handel und Umwelt zu verhandeln:
– Aufnahme von
Verhandlungen über das Verhältnis von den existierenden
WTO-Regeln und Handelsmaßnahmen in multilateralen
Umweltabkommen (MEA). Aufgrund einer US-amerikanischen Intervention
allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur auf die
Staaten ausgedehnt werden dürfe, die Vertragsparteien von MEA
seien58,
– Aufnahme von
Verhandlungen über die Gestaltung des regelmäßigen
Informationsaustausches zwischen den Sekretariaten der MEA und den
WTO-Ausschüssen und der Regelung des Beobachterstatus59,
– Aufnahme von
Verhandlungen über eine bevorzugte Behandlung von
Umweltgütern und -dienstleistungen,
– Aufnahme von
Verhandlungen zur Reduktion von Fischereisubventionen unter
Berücksichtigung von Umweltaspekten.
Weiter wurde festgeschrieben, dass bei
Verhandlungen im Rahmen des Abkommens über geistige
Eigentumsrechte (TRIPS) die Bestimmungen der Konvention über
Biologische Vielfalt (CBD) mit herangezogen werden.60
Der ständige WTO-Ausschuss für
Handel und Umwelt (CTE) wurde darüber hinaus beauftragt, in
seinen regulären Sitzungen insbesondere folgende Themen zu
erörtern und bis zur 5. Ministerkonferenz in Mexiko (2003)
Empfehlungen zu erarbeiten, einschließlich der Frage, ob zu
folgenden Themengebieten Verhandlungen aufgenommen werden
sollen:
– Auswirkung von
Umweltmaßnahmen auf den Marktzugang, insbesondere der
Entwicklungsländer und der Least Developed Countries,
– einschlägige
umweltbezogene Vorschriften des TRIPS-Abkommens61,
–
Umweltkennzeichnung.
Der Ausschuss hat ein horizontales Mandat
bekommen, sich mit umweltrelevanten Aspekten in anderen
Verhandlungsbereichen zu befassen.
3.5.1.2.3 Bewertung der Beschlüsse
in Doha
Die Aufnahme von
Umweltthemen in die Agenda einer Welthandelsrunde kann als
Teilerfolg gewertet werden. Allerdings wurde in dieser
Ministererklärung ausdrücklich die Ergebnisoffenheit der
Verhandlungen betont und jegliche Richtungsentscheidung vermieden.
Zudem sind Konflikte vorprogrammiert durch die Feststellung in
Art.32 der Erklärung, dass die Verhandlungsergebnisse die
Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder weder erweitern, noch
vermindern dürfen. Hier sind künftige
Interpretationsprobleme absehbar.62 Nicht durchgesetzt wer den konnte
die Verankerung bzw. auch nur die Erwähnung des
Vorsorgeprinzips in der Ministererklä rung.63 Dies scheiterte v.a. an den
Entwicklungsländern, den USA und Australien. Die
Enquete-Kommission beurteilt das horizontale Mandat des CTE
bezüglich der Umweltaspekten in anderen
WTO-Verhandlungsbereichen als sehr positiv und empfiehlt, dringend
darauf hinzuwirken, dass die notwendigen internen
Organisationsstrukturen des CTE zur Wahrnehmung dieser Aufgabe
geschaffen werden.
In diesem
Zusammenhang ist eine Weiterentwicklung und Anwendung der
integrierten Wirkungsabschätzung, also der Beurteilung und
Abwägung der Umwelt- und Nachhaltigkeitswirkung von
Maßnahmen der Handelsliberalisierung sinnvoll.
Wirkungsabschätzungen sind als dynamischer und
kontinuierlicher Prozess zu betrachten, der die politische
Koordinierung und Kohärenz zwischen den Handels- und
Umweltministerien, den Finanz- und Wirtschaftsministerien sowie
anderen relevanten Ressorts fordert.
Da sich die EU
als Haupt-Promotor der Aufnahme von Umweltthemen in die
Welthandelsrunde erwiesen hat, wird es auch weiterhin sehr stark
von der internen Abstimmung und den Verhandlungspositionen der
EU-Kommission und der Mitgliedstaaten abhängen, inwieweit in
diesen Bereichen tatsächlich Fortschritte erreicht werden
können. Dabei stehen die Verhandlungspositionen im
Umweltbereich immer im Spannungsfeld mit den EU-Positionen zum
Abbau ihrer Agrarsubventionen und insgesamt mit der Frage der
Verbesserung des Marktzugangs von Entwicklungsländern. Ohne
Zugeständnisse beim Marktzugang und der Entkräftung des
Vorwurfes von Entwicklungsländern gegen Industrieländer,
Umweltschutz als Protektionismus zu
missbrauchen, wird hier wenig Bewegung zu erzielen sein.
56 Der vielzitierte Thunfischfall fällt noch in die
Zeit des GATT (1947), nicht der WTO und wurde auch nicht von den
GATT Contracting Parties verabschiedet. Im Hormonfall hätte
die EU durchaus Chancen gehabt, zu gewinnen, wenn sie ihre
SPS-Maßnahme auf Art. 5.7 SPS gestützt und eine auf
Vorsorge gestützte vorläufige Maßnahme ergriffen
hätte.
57 „6. We strongly reaffirm our commitment to the
objective of sustainable development, as stated in the Preamble to
the Marrakesh Agreement. We are convinced that the aims of
upholding and safeguarding an open and non-discriminatory
multilateral trading system, and acting for the protection of the
environment and the promotion of sustainable development can and
must be mutually supportive. We take note of the efforts by Members
to conduct national environmental assessments of trade policies on
a voluntary basis. We recognize that under WTO rules no country
should be prevented from taking measures for the protection of
human, animal or plant life or health, or of the environment at the
levels it considers appropriate, subject to the requirement that
they are not applied in a manner which would constitute a means of
arbitrary or unjustifiable discrimination between countries where
the same conditions prevail, or a disguised restriction on
international trade, and are otherwise in accordance with the
provisions of the WTO Agreements. We welcome the WTO’s
continued cooperation with UNEP and other intergovernmental
environmental organizations. We encourage efforts to promote
cooperation between the WTO and relevant international
environmental and developmental organizations, especially in the
lead-up to the World Summit on Sustainable Development to be held
in Johannesburg, South Africa, in September 2002“ (WTO
2001a).
58 „31. (i) the relationship between existing WTO
rules and specific trade obligations set out in multilateral
environmental agreements (MEAs). The negotiations shall be limited
in scope to the applicability of such existing WTO rules as among
parties to the MEA in question. The negotiations shall not
prejudice the WTO rights of any member that is not a party to the
MEA in question“ (WTO 2001a).
59 „31. (ii) procedures for regular information
exchange between MEA Secretariats and the relevant WTO committees,
and the criteria for the granting of observer status“ (WTO
2001a).
60 „19. (...) to examine, inter alia, the
relationship between the TRIPS Agreement and the Convention on
Biological Diversity, the protection of traditional knowledge and
folklore, and other relevant new developments raised by Members
pursuant to Article 71.1 (...)“ (WTO 2001a).
61 Zu TRIPS vgl. 5.3.
62 „32. (...) The outcome of this work as well as
the negotiations carried out under paragraph 31(i) and (ii) shall
be compatible with the open and non-discriminatory nature of the
multilateral trading system, shall not add to or diminish the
rights and obligations of members under existing WTO agreements, in
particular the Agreement on the Application of Sanitary and
Phytosanitary Measures, nor alter the balance of these rights and
obligations, and will take into account the needs of developing and
least-developed countries.“ (WTO 2001).
63 Dies ginge über die bisherige implizite
Erwähnung (Art. XX GATT, Art. 2.2 TBT-Übereinkommen) und
die explizite Nennung (Art. 5.7 SPS-Übereinkommen) weit
hinaus.
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