*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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3.5.1.2    Umweltpolitik im Rahmen der WTO

3.5.1.2.1  Interessenslagen

Die WTO verpflichtet sich in ihrer Präambel dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung: „Die Parteien zu diesem Über­ einkommen erkennen an, dass ihre Beziehungen im Bereich des Handels und Wirtschaftens darauf abzielen sollen (...), die bestmögliche Nutzung der Naturschätze in Über­    einstimmung mit dem Ziel des nachhaltigen Wirtschaftens (sustainable development) zu ermöglichen, um die Umwelt zu schützen und zu erhalten (...)“ (WTO 1994a). Während in der Vergangenheit in Streitfragen zwischen Handels- und Umweltpolitik in der WTO meistens, wenn auch nicht immer, der Handelsliberalisierung Vorrang eingeräumt wur­ de56, zeigen neue Entscheidungen (z. B. zum Asbest), dass den einzelnen Staaten tendenziell mehr Handlungsspielräume für Handelsbeschränkungen aus Umweltgründen zugestanden werden. So deuten verschiedene Beschlüsse des WTO-Streit­ schlichtungsmechanismus und hier insbesondere des Berufungsorgans (Appellate Body) darauf hin, dass unter bestimmten Bedingungen umweltpolitisch motivierte Handelsbeschränkungen auch dann mit den WTO-Bestimmungen vereinbar sein können, wenn sie aufgrund von Produktionsprozessen getroffen werden. Damit zeichnet sich eine Anwendung des GATT Artikel XX (Allgemeine Ausnahmen) ab, die von der früheren Interpretation abweicht. Es erscheint jedoch problematisch, dass die Bedingungen, unter den Artikel XX für produktionsprozessbezogene Handelsbeschränkungen in Anspruch genommen werden kann, nicht genau spezifiziert sind und die WTO-Schiedssprechung kein „Case Law“ darstellt. Somit herrscht ein hohes Maß an Unsicherheit über die (Un-)Zu­ läsigkeit umweltpolitisch motivierter Importbeschränkungen, welches den „Appellate Body“ bereits mehrfach bewogen hat, auf Regelungsbedarf durch die WTO-Mitglieder hinzuweisen.

Artikel XX ist ein Ausfluss von Treu und Glauben. Er soll dem Staat, der Maßnahmen ergreift, die Möglichkeit bewahren, die eigenen Umweltschutzziele (und andere Ziele wie z. B. Schutz der öffentlichen Ordnung) zu verfolgen, er soll aber auch betroffene Staaten davor schützen, dass ihre WTO-Rechte durch WTO-widrige Maßnahmen geschmälert werden. Im Asbest-Streitfall entschied der „Appellate Body“ gegen die Ansicht Kanadas, dass Asbest ohne Gesundheitsgefahren handhabbar wäre zugunsten des französischen Importverbotes.

Die WTO verfügt im Gegensatz zu vielen anderen internationalen Organisationen über ein Streitschlichtungsverfahren, in dessen Rahmen Länder, die WTO-Bestimmungen missachten, mit Sanktionen belegt werden können. Deshalb wird es von vielen für wünschenswert gehalten, Umwelt-Mindeststandards in das Regelwerk der WTO aufzunehmen, um einerseits zu verhindern, dass in solchen Streitschlichtungsverfahren Umweltbelange überregelt werden und andererseits auch Umweltstandards zur besseren Umsetzung zu verhelfen.

Dabei geht es um die Übernahme bzw. Zugrundelegung bestehender Standards aus Multilateralen Umweltabkommen (MEA), nicht um die Erarbeitung neuer Standards durch die WTO. Unter Wettbewerbsgründen hat eine allgemein gültige Standardsetzung insofern Vorteile, da sie gleiche Ausgangsbedingungen für alle Wettbewerber schafft und die durch die Öffnung des Welthandels verstärkte Gefahr des Ökodumpings reduziert.

Gegner der Verankerung von Umweltstandards in der WTO finden sich nicht nur unter denjenigen, die darin nicht die Korrektur von Fehlfunktionen des Marktes sehen, sondern lediglich nichttarifäre Handelshemmnisse. Insbesondere von Seiten vieler Regierungen und NGO aus dem Süden gibt es große Vorbehalte gegen ein solches Vorgehen. Sie befürchten aufgrund der realen Machtverhältnisse in der WTO, des krassen Ungleichgewichtes zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und der mangelnden Transparenz negative Auswirkungen auf die ökonomischen und Umweltinteressen im Süden, wobei sie sich insbesondere durch das TRIPS-Abkommen bestätigt sehen.

Vor allem aber befürchten nicht nur Regierungen von Entwicklungsländern, dass die Verankerung von Umweltstandards in der WTO den Marktzugang für Produkte besonders aus Entwicklungsländern erschweren und eine WTO-Umweltklausel von den Industrieländern für Wirtschaftsprotektionismus instrumentalisiert würde. Transparenz und Vorkehrungsmaßnahmen gegen den protektionistischen Missbrauch sind daher ebenso geboten wie ein System des fairen Ausgleiches, schon allein um zu verhindern, dass alternativ die Forderung nach Absenkung von Umweltstandards erhoben wird.

3.5.1.2.2  Beschlüsse der WTO-Ministerkonferenz in Doha

Insbesondere aufgrund der nachdrücklichen Verhandlungsposition der EU, unterstützt von Norwegen, der Schweiz und den EU-Beitrittskandidaten, wurden in Doha erstmalig Umweltthemen in die Agenda einer Welthandelsrunde aufgenommen. In Punkt 6 der Ministererklärung wurde grundsätzlich festgestellt, dass das Handelsregime und die Verfolgung von Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklung sich gegenseitig unterstützen müssen und insbesondere die Kooperation mit der UNEP bestärkt.57

   Über das Trade Negotiation Committee, das die neue Verhandlungsrunde technisch leiten wird, wurde der bestehende WTO-Ausschuss für Handel und Umwelt unter Vorsitz der WTO Botschafterin Gabuns ermächtigt, in Sondersitzungen über folgende Aspekte des Themas Handel und Umwelt zu verhandeln:

–    Aufnahme von Verhandlungen über das Verhältnis von den existierenden WTO-Regeln und Handelsmaßnahmen in multilateralen Umweltabkommen (MEA). Aufgrund einer US-amerikanischen Intervention allerdings mit der Einschränkung, dass dies nur auf die Staaten ausgedehnt werden dürfe, die Vertragsparteien von MEA seien58,

–    Aufnahme von Verhandlungen über die Gestaltung des regelmäßigen Informationsaustausches zwischen den Sekretariaten der MEA und den WTO-Ausschüssen und der Regelung des Beobachterstatus59,

–    Aufnahme von Verhandlungen über eine bevorzugte Behandlung von Umweltgütern und -dienstleistungen,

–    Aufnahme von Verhandlungen zur Reduktion von Fischereisubventionen unter Berücksichtigung von Umweltaspekten.

Weiter wurde festgeschrieben, dass bei Verhandlungen im Rahmen des Abkommens über geistige Eigentumsrechte (TRIPS) die Bestimmungen der Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) mit herangezogen werden.60

Der ständige WTO-Ausschuss für Handel und Umwelt (CTE) wurde darüber hinaus beauftragt, in seinen regulären Sitzungen insbesondere folgende Themen zu erörtern und bis zur 5. Ministerkonferenz in Mexiko (2003) Empfehlungen zu erarbeiten, einschließlich der Frage, ob zu folgenden Themengebieten Verhandlungen aufgenommen werden sollen:

–    Auswirkung von Umweltmaßnahmen auf den Marktzugang, insbesondere der Entwicklungsländer und der Least Developed Countries,

–    einschlägige umweltbezogene Vorschriften des TRIPS-Abkommens61,

–    Umweltkennzeichnung.

Der Ausschuss hat ein horizontales Mandat bekommen, sich mit umweltrelevanten Aspekten in anderen Verhandlungsbereichen zu befassen.

3.5.1.2.3  Bewertung der Beschlüsse in Doha

Die Aufnahme von Umweltthemen in die Agenda einer Welthandelsrunde kann als Teilerfolg gewertet werden. Allerdings wurde in dieser Ministererklärung ausdrücklich die Ergebnisoffenheit der Verhandlungen betont und jegliche Richtungsentscheidung vermieden. Zudem sind Konflikte vorprogrammiert durch die Feststellung in Art.32 der Erklärung, dass die Verhandlungsergebnisse die Rechte und Pflichten der WTO-Mitglieder weder erweitern, noch vermindern dürfen. Hier sind künftige Interpretationsprobleme absehbar.62 Nicht durchgesetzt wer­ den konnte die Verankerung bzw. auch nur die Erwähnung des Vorsorgeprinzips in der Ministererklä­ rung.63 Dies scheiterte v.a. an den Entwicklungsländern, den USA und Australien. Die Enquete-Kommission beurteilt das horizontale Mandat des CTE bezüglich der Umweltaspekten in anderen WTO-Verhandlungsbereichen als sehr positiv und empfiehlt, dringend darauf hinzuwirken, dass die notwendigen internen Organisationsstrukturen des CTE zur Wahrnehmung dieser Aufgabe geschaffen werden.

In diesem Zusammenhang ist eine Weiterentwicklung und Anwendung der integrierten Wirkungsabschätzung, also der Beurteilung und Abwägung der Umwelt- und Nachhaltigkeitswirkung von Maßnahmen der Handelsliberalisierung sinnvoll. Wirkungsabschätzungen sind als dynamischer und kontinuierlicher Prozess zu betrachten, der die politische Koordinierung und Kohärenz zwischen den Handels- und Umweltministerien, den Finanz- und Wirtschaftsministerien sowie anderen relevanten Ressorts fordert.

Da sich die EU als Haupt-Promotor der Aufnahme von Umweltthemen in die Welthandelsrunde erwiesen hat, wird es auch weiterhin sehr stark von der internen Abstimmung und den Verhandlungspositionen der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten abhängen, inwieweit in diesen Bereichen tatsächlich Fortschritte erreicht werden können. Dabei stehen die Verhandlungspositionen im Umweltbereich immer im Spannungsfeld mit den EU-Positionen zum Abbau ihrer Agrarsubventionen und insgesamt mit der Frage der Verbesserung des Marktzugangs von Entwicklungsländern. Ohne Zugeständnisse beim Marktzugang und der Entkräftung des Vorwurfes von Entwicklungsländern gegen Industrieländer, Umweltschutz    als Protektionismus zu missbrauchen, wird hier wenig Bewegung zu erzielen sein.



56 Der vielzitierte Thunfischfall fällt noch in die Zeit des GATT (1947), nicht der WTO und wurde auch nicht von den GATT Contracting Parties verabschiedet. Im Hormonfall hätte die EU durchaus Chancen gehabt, zu gewinnen, wenn sie ihre SPS-Maßnahme auf Art. 5.7 SPS gestützt und eine auf Vorsorge gestützte vorläufige Maßnahme ergriffen hätte.

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57 „6. We strongly reaffirm our commitment to the objective of sustainable development, as stated in the Preamble to the Marrakesh Agreement. We are convinced that the aims of upholding and safeguarding an open and non-discriminatory multilateral trading system, and acting for the protection of the environment and the promotion of sustainable development can and must be mutually supportive. We take note of the efforts by Members to conduct national environmental assessments of trade policies on a voluntary basis. We recognize that under WTO rules no country should be prevented from taking measures for the protection of human, animal or plant life or health, or of the environment at the levels it considers appropriate, subject to the requirement that they are not applied in a manner which would constitute a means of arbitrary or unjustifiable discrimination between countries where the same conditions prevail, or a disguised restriction on international trade, and are otherwise in accordance with the provisions of the WTO Agreements. We welcome the WTO’s continued cooperation with UNEP and other intergovernmental environmental organizations. We encourage efforts to promote cooperation between the WTO and relevant international environmental and developmental organizations, especially in the lead-up to the World Summit on Sustainable Development to be held in Johannesburg, South Africa, in September 2002“ (WTO 2001a).

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58 „31. (i) the relationship between existing WTO rules and specific trade obligations set out in multilateral environmental agreements (MEAs). The negotiations shall be limited in scope to the applicability of such existing WTO rules as among parties to the MEA in question. The negotiations shall not prejudice the WTO rights of any member that is not a party to the MEA in question“ (WTO 2001a).

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59 „31. (ii) procedures for regular information exchange between MEA Secretariats and the relevant WTO committees, and the criteria for the granting of observer status“ (WTO 2001a).

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60 „19. (...) to examine, inter alia, the relationship between the TRIPS Agreement and the Convention on Biological Diversity, the protection of traditional knowledge and folklore, and other relevant new developments raised by Members pursuant to Article 71.1 (...)“ (WTO 2001a).

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61 Zu TRIPS vgl. 5.3.

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62 „32. (...) The outcome of this work as well as the negotiations carried out under paragraph 31(i) and (ii) shall be compatible with the open and non-discriminatory nature of the multilateral trading system, shall not add to or diminish the rights and obligations of members under existing WTO agreements, in particular the Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures, nor alter the balance of these rights and obligations, and will take into account the needs of developing and least-developed countries.“ (WTO 2001).

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63 Dies ginge über die bisherige implizite Erwähnung (Art. XX GATT, Art. 2.2 TBT-Übereinkommen) und die explizite Nennung (Art. 5.7 SPS-Übereinkommen) weit hinaus.

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