3.6.5.3 Das prinzipielle
Regulierungsproblem und die Bedeutung von Kodizes
Sowohl
Unternehmen, als auch Gewerkschaften und NGO wissen, dass eine
Kontrolle von selbst aufgestellten Kodizes sinnvoll und notwendig
ist. Je besser die Kontrolle, desto glaubwürdiger ist der
Kodex.
Während die
Unternehmen die eigene Kontrolle bevorzugen, wollen insbesondere
NGO dies durch spezielle unabhängige, eventuell gar staatliche
Institutionen gewährleistet sehen. Je größer und
internationaler die Unternehmen sind, desto schwieriger wird es
sein, die Einhaltung von Kodizes zu kontrollieren. Die
Schwierigkeiten beginnen bei der Definition von Verhalten und enden
bei der Kontrolle des Verhaltens von Vorlieferanten. Gerade bei
letzterem ergeben sich vielfältige Probleme, denn eine
absolute Kontrolle ist unmöglich. Allerdings muss auch Sorge
dafür getragen werden, dass die Vorlieferkette
grundsätzlich in Verhaltenskodizes einbezogen wird, weil
andernfalls die Gefahr besteht, „kritische“
Aktivitäten aus dem eigenen Unternehmen auszugliedern. Bei der
Kontrolle von Vorlieferern ist deshalb die Einbeziehung lokaler
Instanzen sinnvoll. Die Schwierigkeit zeigt sich allerdings bei dem
Beispiel aus der Textilbranche, wonach die führenden
europäischen Unternehmen in Indien z.B. auf eine Zahl von
12000 bis 15000 Hauptlieferanten kommen (BDA, BDI 2001).
Wie bereits im
Zwischenbericht der Kommission erörtert, erschließt sich
die Bedeutung von Kodizes aus dem Spannungsverhältnis zwischen
rechtlich verbindlichen Regelungen und Instrumenten auf der einen
Seite (Sozialklauseln, nationale Arbeits- und Umweltgesetze) sowie
Selbstverpflichtungen auf der anderen Seite.
Während
Sozialklauseln als wirksames Instrument insgesamt umstritten
bleiben83, ist
insbesondere auf die Wechselwirkung zwischen nationalen Gesetzen
und Codes zu verweisen. Nationale Arbeits- und Umweltgesetze
definieren in der Regel komplexere und verbindlichere Standards als
Normenkataloge von Unternehmen (CoC). Durch den Stakeholder-Dialog
von Selbstverpflichtung und seiner Anwendung in der Praxis
entstehen neue strategische Allianzen zwischen den lokalen Gruppen
von Betroffenen im Kontext der Aktivitäten transnational
agierender Unternehmen und den so genannten Verbraucherinnen und
Verbrauchern im Norden.
Das prinzipielle Regulierungsproblem besteht weniger
im Vorhandensein als in der mangelnden Anwendung und Umsetzung
nationaler Standards. In diesem Sinne ist der Begriff
‚Einführung von Sozial- und Umweltstandards’
über Verhaltenskodizes missverständlich. In den für
deutsche Vermarkter maßgeblichen Standorten Indien und China
gibt es per Gesetz relativ hohe Standards, was sich bspw. in der
Neufassung des chinesischen Gewerkschaftsgesetzes vom Oktober 2001
manifestiert. Das Problem besteht darin, wie die
Aufsichtsbehörden und auch das politische Umfeld dazu gebracht
werden können, diese Gesetze auch tatsächlich anzuwenden.
Codes of Conduct können dazu beitragen, nationale Gesetze
tatsächlich zur Anwendung zu bringen. Deshalb fordern
Arbeitsrechtsnetzwerke und Gewerkschaften explizit84, dass als eine wesentliche
Voraussetzung für positive Wirkungen von Kodizes Beratungs-
und Schulungsmaßnahmen für Beschäftigte und
betroffene Gemeinden (bei rohstofffördernden Industrien)
durchgeführt werden müssen. Einige Unternehmen wie etwa
Nike, Adidas und Reebok haben bspw. mit chinesischen
Arbeitsrechtsorganisationen die Durchführungen von
Fortbildungen im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz
vereinbart.
In der
Vergangenheit hat sich in wenigen Einzelfällen gezeigt, dass
per Selbstverpflichtung nationale Standards unterlaufen werden
können. Mit der Anerkennung der Kernarbeitsnormen durch eine
große Mehrheit deutscher Unternehmen wird eher das Gegenteil
der Fall sein, sofern Unternehmen, NGO und Gewerkschaften
dafür im Dialog die Voraussetzungen schaffen. Eindeutige
Grenzen hingegen bestehen dort, wo politische Rahmenbedingungen
nicht gegeben sind (Fall Triumph – Burma). Dabei kommt die in
der Regel problematische Frage des Boykotts ins Spiel, die jedoch
für die Anwendung von Kodizes von deutschen Unternehmen
gegenwärtig keine Bedeutung hat.
Der
Enquete-Kommission war es aus Zeitgründen nicht möglich,
neben den bisherigen Ergebnissen des Runden Tisches auch andere
Initiativen85 bzw.
Hintergründe86 und
Erfahrungen mit Verhaltenskodizes detaillierter zu untersuchen und
darzustellen. Diese Arbeit bleibt einer Folge-Enquete
überlassen. Dazu gehört auch eine Untersuchung
staatlicher Initiativen bzw. der Wirksamkeit gesetzlicher
Regelungen.87
83 Gewerkschaften verweisen auf die positiven Wirkungen
von Sozialklauseln und berufen sich u. a. auf empirische Studien
zur Wirkung von Sozialklauseln in Handelsvereinbarungen
bezüglich der Durchsetzung der Gewerkschaftsfreiheit.
Unternehmen lehnen Sozialklauseln demgegenüber in der Regel
eher ab. Bei NGO, insbesondere zwischen Akteuren im Norden und
Süden, besteht eine generelle Uneinigkeit – insbesondere
hinsichtlich möglicher protektionistischer Wirkungen.
84 Z. B. der chinesischen Arbeitsrechtsnetzwerke und der
unabhängigen Gewerkschaften in Hongkong.
85 Etwa der Entwurf eines Code of Conduct für die
Gas- und Ölindustrie des Hilfswerks „Brot für die
Welt“.
86 Etwa Werner und Weiss (2001).
87 Verwiesen sei auf die gesetzliche Berichtspflicht
für Unternehmen in den Niederlanden, die bei der Vergabe von
öffentlichen Aufträgen vorausgesetzt wird oder der
belgische Gesetzesentwurf, wonach Wirtschaftstätigkeit auch
exterritorial gerichtsrelevant ist, was während eines
gemeinsamen Gesprächs mit dem Runden Tisch angesprochen
wurde.
|