*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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5.3.1.7    Biologische Vielfalt und Biopiraterie

Die Gefahren für Biodiversität und für Biopiraterie gehören seit 1960 zu den Hauptverhandlungsthemen im Zusammenhang mit Patentierung. „Dem Verlust der Bio­ diversität ist aus mehreren Gründen Einhalt zu gebieten. Das Übereinkommen über biologische Vielfalt nennt in seiner Präambel hierzu neben dem Eigenwert der Biodiversität deren Wert in ökologischer, genetischer, sozialer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, kultureller und ästhe­ tischer Hinsicht, sowie ihre Erholungsfunk­ tion“ (Brühl 2002: 8) „Heute ist zudem allgemein anerkannt, dass die biologische Vielfalt auch indirekt das Überleben der Menschheit sichert, in dem sie beispielsweise zum Klimaschutz beiträgt.“ (Brühl 2002: 10). Dabei geht es um folgende Konflikte:

„Im Zeitalter der Globalisierung agieren transnationale Unternehmen weltweit und suchen in den Zentren der Bio­ diversität nach neuen Wirkstoffen. Politisch brisant ist dies vor dem Hintergrund des systematischen Ungleichgewichtes in der Verfügbarkeit von genetischen Ressourcen einerseits und Technologie andererseits.“ (Brühl 2002: 10) Insofern wurden die schon 1960 beginnenden Verhandlungen von massiven Konflikten zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern geprägt. „Zugespitzt möchten die Industrieländer (bzw. deren privatwirtschaftlichen Akteure) Zugang zur biologischen Vielfalt haben, um die eigene Forschung und Produktion voranzubringen. Die Entwicklungsländer sind zwar Eigentümer der biologischen Ressourcen, können sie jedoch nicht adäquat nutzen, da ihnen hierfür die Technologie fehlt. Zudem wurde in den 1970er und 1980er Jahren offensichtlich, dass die biologische Vielfalt trotz bestehender Naturschutzbemühungen abnahm (Brühl 2002: 11).

Vandana Shiva, Trägerin des alternativen Nobelpreises und Wissenschaftlerin aus Indien, warnt in diesem Kontext zu Recht vor der Entstehung eines neuen Kolonialismus: „Seit der Kolonialzeit wurden Land, Ressourcen und Rechte der Menschen durch die Kolonialländer ursupiert. Heute findet dieser Prozess auf subtilierer Ebene statt. Die transnationalen Konzerne (TNC) der nördlichen Hemi­    sphäre versuchen exklusive Rechte auf genetische Ressourcen der Pflanzenwelt und der Artenvielfalt der Dritten Welt zu erhalten. Durch Institutionen wie die GATT-Verhandlungen betreiben sie die Ausweitung des ‚Schutzes geistigen Eigentums‘, was eine Monopolisierung von Ideen und eine Entwertung des Wissens der Menschen in der Dritten Welt bedeutet. Der Schutz des geistigen Eigentums ist der Schlüssel zur endgültigen Besitznahme und Kontrolle der Ressourcen und Märkte der Dritten Welt.“ (Greenpeace 1999: 70). So sollten etwa in einem internationalen Forschungsprojekt 720 vom Aussterben bedrohte Volksgruppen mit Blut- und Gewebeproben erfasst werden, um Aufschluss über besondere genetische Anlagen zu geben. Der Kongress der australischen Aborigines verurteilte dieses Unternehmen als „legalisierten Diebstahl“. Der permanente Konflikt wird auch hinsichtlich des Einsatzes von Heilpflanzen deutlich. In einer Studie der Weltbank wurde festgestellt, dass 1990 weltweit 43 Milliarden US-Dollar mit Arzneimitteln umgesetzt wurden, die von indigenen Völkern entdeckt worden waren, ohne dass diese einen nennenswerten Anteil an den Gewinnen erhielten. Und die UN-Entwicklungsorganisation UNDP stellte 1999 fest: „Die biologische Vielfalt ist für die Entwicklung von Medikamenten von größter Bedeutung. Schätzungen zufolge lagern in den Entwicklungsländern 90 Prozent der biologischen Ressourcen der Welt. (...) Gerade diese in langer Tradition erworbenen Kenntnisse des in der Natur vorkommenden Potenzials sind für die Pharmafirmen heute so wertvoll. (...) Ohne Genehmigung der lokalen Bevölkerung wurde dieses Wissen zur Entwicklung hochprofitabler Medikamente eingesetzt. In jeder anderen Situation würde dies als Industriespionage bezeichnet.“ (Greenpeace 1999: 74). Deshalb wurde in der Konvention über biologische Vielfalt, die 1992 auf dem Gipfel in Rio verabschiedet wurde und 1993 in Kraft trat, vertraglich festgelegt, dass die Ursprungsländer bei der Erschließung und Nutzung der biologischen Vielfalt beteiligt werden müssen. Die Konvention erkennt die Rechte der Länder in der Verfügung über ihre genetischen Ressourcen ausdrücklich an. Die TRIPS-Regelungen, aber auch die der europäischen Richtlinie gelten aus Sicht von NGOs, vieler internationaler Organisationen und Wissenschaftler und Entwicklungs- und Schwellenländern als Verstoß gegen diese Konvention. Die UNDP stelle in ihrem „Bericht über die menschliche Entwicklung“ 1999 zu den Patentierungsgesetzen ausdrücklich fest: „Diese Gesetze ignorieren die kulturelle Vielfalt bei der Schaffung von Innovationen und Teilhabe daran. Ebenso wenig berücksichtigen sie die vielfältigen Ansichten darüber, was Gegenstand von Eigentumsansprüchen sein kann und sein darf.“ (UNDP 1999). Mitte Februar 2002 gründeten zwölf Entwicklungs- und Schwellenländer, unter ihnen China, Indien und Brasilien, eine Allianz gegen Biopiraterie. Sie wollen verhindern, dass die genetische Vielfalt weiterhin von transnationalen Konzernen ausgebeutet wird und diese daraus kommerzielle Exklusivrechte in Form von Patentschutz ableiten, ohne dass die lokale Bevölkerung daraus einen Nutzen zieht. In diesen zwölf Ländern konzentrieren sich ca. 70 Prozent der weltweiten Artenvielfalt. Die Initiatoren erklärten, die Initiative diene auch dem Ziel, dass die Frage der Patentierung auf Tiere und Pflanzen im August diesen Jahres auf dem UN-Kongress für nachhaltige Entwicklung zur Sprache gebracht und unter dem UN-Dach gelöst werde (vgl. Kapitel 7.3.2.3).




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