Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 12-13 / 15.03.2004
Götz Hausding

Täglich 1.200 Arbeitsplätze weg

Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung

Auf Antrag des Landes Hessen diskutierte der Bundesrat in seiner Sitzung am 12. März den Jahreswirtschaftsbericht 2004 der Bundesregierung und das Jahresgutachten des Sachverständigenrates. Dabei fiel die Beurteilung der Gesamtsituation der deutschen Wirtschaft erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Während der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff von einer "dramatischen Wirtschaftslage" sprach und sein thüringischer Amtskollege Dieter Althaus der Bundesregierung "Realitätsverlust" angesichts der als "zufriedenstellend" beurteilten Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft vorwarf, sah der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftministerium, Gerd Andres, vor dem Hintergrund eines prognostizierten Wachstums von 1,5 bis 2 Prozent die wirtschaftliche Stagnation als "überwunden" an.

Für Ministerpräsident Christian Wulff aus Niedersachsen ist der Verlust von täglich 1.200 Arbeitsplätzen durch Betriebsschließungen, Pleiten und Abwanderung das Ergebnis der verfehlten Wirtschaftpolitik der Bundesregierung. Sie habe nur noch das Prinzip Hoffnung, was allein dadurch dokumentiert werde, dass lediglich der Wegfall von Feiertagen im Jahre 2004 Anlass zur Hoffnung auf Wachstum biete. Der Bundesrat wolle eine andere Politik, betonte Wulff. Im Jahreswirtschaftsgutachten 2003/2004 seien viele Forderungen der unionsregierten Länder übernommen. So werde mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt gefordert, insbesondere im Bereich des Kündigungsschutzes. Auch bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe seien wesentliche Anreizpunkte nicht hinreichend beachtet worden. Im Bereich der Gesundheitspolitik plädiere der Sachverständigenrat, ebenso wie die Union, für ein Gesundheitsprämienmodell. Damit, so der Ministerpräsident, könne man Arbeitsplätze schaffen - die von der Bundesregierung bevorzugte Bürgerversicherung hingegen vernichte sie. Er forderte, die Vorschläge des Sachverständigenrates ernst zu nehmen. "Die Gutachter empfehlen das Gegenteil von dem, was die Bundesregierung zu ihrer Politik macht", kritisierte Wulff. Als "weiterhin alarmierend" bezeichnete der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Die Hartz-Gesetze hätten zu keiner wesentlichen Verbesserung geführt. Gemessen an den Erwartungen seien die Ergebnisse sogar ein kompletter Ausfall. Auch der so genannte "Job-Floater" zeige wenig Wirkung. Von knapp 11.000 Stellen entfielen nur 1.800 Arbeitsplätze auf die jungen Länder. Er wolle nicht den Aufbau Ost schlecht reden, aber man dürfe die Probleme auch nicht unter den Teppich kehren, schließlich sei die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie in der alten Ländern. Für den wirtschaftlichen Aufbauprozess in den jungen Länder seien auch zukünftig EU-Strukturhilfen nötig. Die Bundesregierung müsse sich in Brüssel dafür einsetzen, das diese Gelder auch nach der EU-Erweiterung in der bisherigen Höhe zur Verfügung stünden, forderte Althaus.

Der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres sieht keinen Grund, die wirtschaftlichen Prognosen für 2004 zu korrigieren. "Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind günstig", sagte Andres und verwies auf die moderaten Lohnstückkosten in Deutschland. Man wisse jedoch: Die konjunkturelle Erholung ist nach fragil. Deshalb müsse der Weg der konsequenten Strukturreform weiter gegangen werden. Der Länderkammer warf er vor, bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme im Vermittlungsausschuss "nicht viel geleistet" zu haben. Er widersprach der Meinung, die Hartz-Gesetze wären nicht erfolgreich gewesen. Schließlich sei im Jahre 2003 trotz eines Minuswachstums die Beschäftigungslage stabil geblieben. Kein Verständnis habe er für die wiederholten Forderungen des Bundesrates nach einer weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Diese Versuche seien schon im Dezember im Vermittlungsausschuss gescheitert. Zu Recht, so Andres, denn diese Fragen sollten auch in Zukunft die Tarifpartner klären.


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