Golo Mann wirkte aber nicht nur als literarisch ambitionierter Historiker, sondern seit seinen Studententagen über die Zeit des Exils bis hin ins hohe Alter auch als politischer Publizist, der wie kein anderes Mitglied der Manns Analysen und Stellungnahmen zum Zeitgeschehen ablegte und ein gefragter Kommentator und Diskutant war. Ihm hat nun Urs Bitterli eine umfangreiche Biographie gewidmet.
Sie setzt mit einer eindringlichen Schilderung des familiären Umfelds ein, in das Golo Mann 1909 hineingeboren wurde. Schon der Vorname lässt die Prägung erkennen, die vom berühmten Vater ausging. Wie bei Hanno in den "Buddenbrooks" handelte es sich auch bei Golo nicht um den eingetragenen Namen, sondern um eine Zusammenziehung aus Angelus Gottfried Thomas. Daran hielt auch der Erwachsene fest, obwohl ihm die Kindheit im Rückblick als "elend" vorkam, - verdorben durch die unnahbare Autorität des Vaters, der dem scheuen und eigenwilligen Kind mit Ablehnung begegnete. Um so bemerkenswerter ist es, wie Golo Mann der Familie immer eng verbunden blieb und dem Vater während der Anfeindungen und Entwurzelung nach 1933 eine wichtige Stütze war. Wer sich für die Familiengeschichte der Manns interessiert, findet bei Bitterli aufschlussreiches Material.
Die Jahre des Exils verbrachte Golo Mann in der Schweiz, in Frankreich und seit 1940 in den USA als Lehrer für Deutsch, Verfasser politischer Aufsätze und schließlich als Historiker an amerikanischen Colleges. Die erste Wiederbegegnung mit dem alten Kontinent erfolgte 1945 als Angehöriger der amerikanischen Streitkräfte. Bis zur endgültigen Rückkehr nach Europa, aber nie wirklich nach Deutschland dauerte es noch bis zum Ende der 50er-Jahre.
Nach einer Zwischenstation in Stuttgart, wo er eine bald wieder aufgegebene Professur für Politikwissenschaft innehatte, nahm er seinen Wohnsitz in Kilchberg bei Zürich in dem Haus, das seine Eltern 1954 erworben hatten, ein Jahr vor dem Tod des Vaters. Katia Mann lebte dort bis an ihr Lebensende 1980; Sohn Golo stand seiner Mutter fürsorglich zur Seite.
Von Kilchberg aus entfaltete Golo Mann seine immense publizistische Tätigkeit, die sich in unzähligen Artikeln für fast alle wichtigen Zeitungen und Zeitschriften niederschlug. Bitterli tut des Guten oft zu viel, wenn er ausgiebig daraus zitiert. Als "Konservativer von liberaler Aufgeschlossenheit", der einen berühmten Namen trug und zu einer Instanz wurde, wie der Autor im Titel zum Ausdruck bringt, war Golo Mann ein beinahe omnipräsenter Autor und Referent. Dabei fühlte er sich keiner intellektuellen Schule oder irgendeiner Institution verpflichtet und verstand sich als Außenseiter, der sich so recht mit niemandem identifizieren wollte.
Besonders bezeichnend war es, dass er für die sozial-liberale Ostpolitik und Willy Brandt als Bundeskanzler eintrat und einige Jahre später für die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß warb. Brandts Ostpolitik unterstützte er, weil damit die Nachkriegsrealitäten in Europa anerkannt wurden und eine Ausgleichs- und Versöhnungspolitik auch in Richtung Osten beginnen konnte. Dass zwei deutsche Staaten existierten und die faktisch bestehende polnische Westgrenze nicht in Frage gestellt werden sollte, gehörte zu den zentralen Punkten, die Golo Mann ähnlich wie etwa Marion Dönhoff oder Henri Nannen der westdeutschen Öffentlichkeit nahe bringen wollte.
Die Entfremdung von Brandt setzte ein, als Mann in völliger Verkennung der tatsächlichen Ziele der sozial-liberalen Ostpolitik dem Bundeskanzler und vor allem Egon Bahr unterstellte, sie hätten die Neutralisierung Deutschlands im Sinn und gingen in der Annäherung an die Sowjetunion so weit, dass sich die Bundesrepublik "aus der Umarmung des Bären nicht mehr lösen kann". Von hier war es nur ein kurzer Schritt zu Brandts Gegenpol auf der konservativen Rechten. Dass auch Strauß dann nicht die ungeteilte Zustimmung fand, war typisch für die stets mitschwingende kritische Distanz Golo Manns, aber auch für eine gewisse Kurzatmigkeit und Subjektivität seines Urteils.
Melancholische Skepsis
Bitterli stellt uns einen Menschen vor, der die Welt "mit melancholischer Skepsis" betrachtete und der vom "kurzen" 20. Jahrhundert nur den Ersten Weltkrieg verpasste, nicht aber die Erschütterungen, die von dieser "Urkatastrophe" des Jahrhunderts ausgingen. Dazu gehörten die politischen und weltanschaulichen Kämpfe der ausgehenden Weimarer Republik und der Einschnitt von 1933, den Bitterli mit einigem Recht "nicht als Ergebnis einer folgerichtigen Entwicklung", aber doch verharmlosend "als freilich höchst gravierenden Betriebsunfall" deutet. Ferner gehörten dazu der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg und darauf folgend der Kalte Krieg. Schließlich erfährt der Leser viel über Politik und Kultur der westdeutschen Nachkriegsgeschichte bis hin zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die Mann noch erlebte, bevor er 1994 starb.
Urs Bitterli
Golo Mann. Eine Biografie.
Kindler Verlag, Hamburg 2004; 736 S., 29,90 Euro
Professor Gottfried Niedhart lehrt Neuere Geschichte an der Universität Mannheim.