Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 23-24 / 01.06.2004
Matthias Lohre

Der Weg zur UNO führt über die ehemalige Hauptstadt

Internationales Flair: Bonn zieht mit dem Fach European Studies Studenten aus der ganzen Welt an

Bonn ist besser als Tokio, sagt eine, die es wissen muss. Yuki Itakura blickt entspannt auf die Menschen, die ringsum im sonnigen Straßencafé ihre Milchkaffees trinken. Frühlingsstimmung im Rheinland. Itakura ist in der japanischen Hauptstadt aufgewachsen und wohnt seit zwei Jahren in Bonn. In Tokio hat sie sich nie so wohl gefühlt. Die Rheinländer sind viel mehr ihr Fall als die Menschen in der hektischen Metropole Tokio, in der U-Bahn-Personal Fahrgäste in die überfüllten Waggons drückt. Dass ihr Deutsch noch nicht perfekt ist, scheint in Bonn niemanden zu stören. Und mit den meisten Leuten spricht die Frau mit der ruhigen Stimme und dem schüchternen Lächeln sowieso Englisch. Eine zweite Muttersprache für sie und ihre 31 Master-Studienkollegen, die hoffen, in siebeneinhalb Monaten den letzten Schliff zu bekommen für eine Karriere bei EU, IWF oder UNO.

137 Studenten wie Yuki Itakura haben seit 1998 das Bonner Programm durchlaufen. Anders als im zentralistischen Frankreich können die Nachwuchs-Diplomaten hierzulande an mehreren Universitäten den begehrten "Master of European Studies" erarbeiten: in Berlin, Hamburg, Saarbrücken und Bonn. Neben Politik und Wirtschaftswissenschaften zählt EU-Recht zu den Seminarinhalten. Taufpaten der Ausbildung sind der Stiftungsverband der Deutschen Wissenschaft, das Auswärtige Amt und das Bundesbildungsministerium. Sie erhoffen sich kräftigen Nachwuchs, der deutsche Interessen weltweit selbstbewusst vertreten kann.

Dabei hat, wer wie Yuki Itakura im unscheinbaren Bürogebäude nahe dem ehemaligen Regierungsviertel studieren darf, schon mehrere Hürden auf seinem Karriereweg gemeistert. Ein überdurchschnittlicher Studienabschluss ist ebenso ein Muss wie fließendes Englisch. Wer Kenntnisse einer weiteren europäischen Sprache hat und Berufserfahrungen in internationalen Institutionen vorweisen kann, erhöht seine Chancen. Graduierte aller Fachrichtungen können sich bewerben, aber vor allem Politik und Wirtschaftswissenschaftler haben in den vergangenen Jahren einen der begehrten Plätze bekommen. Ein Drittel der Plätze ist für deutsche Bewerber bestimmt, für die anderen gibt es keine Beschränkungen. In Yuki Itakuras Jahrgang treffen acht Deutsche auf sieben Mitstudenten aus Osteuropa, fünf aus Westeuropa sowie je eine Führungskraft in spe aus Südkorea, der Ukraine und Chile. "Die Länderquote spielt aber erstmal keine Rolle, an erster Stelle steht die Qualifikation", sagt Programmleiterin Cordula Janowski.

Wie bei der Wahl ihres Wohnorts, so hat sich Yuki Itakura auch bei ihrem Arbeitsfeld für eine Nische entschieden. Ihr Praktikum im Rahmen des Master-Studiengangs absolvierte sie im vergangenen Jahr bei einer Institution, die wohl nur sehr wenige kennen: dem Bonner UN-Sekretariat für das Abkommen zur Erhaltung der Kleinwale in Nord- und Ostsee (ASCOBANS). Im Anschluss hat sie im benachbarten Sekretariat zum Schutz afrikanisch-eurasisch wandernder Wasservögel (AEWA) einen Referentenjob bekommen. Sie ist zufrieden, die Arbeit gefällt ihr. Yuki Itakuras Lebenslauf zeigt, dass viele Wege in internationale Institutionen führen. Während die meisten ihrer Kollegen zwischen 23 und 28 Jahren alt sind und den Master-Studiengang im Anschluss an ihr Studium belegen, hat die 36-Jährige noch anderes erlebt: Nach der Schule arbeitete Itakura sechs Jahre lang auf einem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Tokio, eine diplomatische Karriere war damals nicht in Sicht. Danach folgten vier Jahre Studium an einer von der US-Armee unterstützten Außenstelle der University of Maryland - in Schwäbisch Gmünd. Die Umweltpolitik in der Europäischen Union und das Kyoto-Protokoll zum Schutz des Weltklimas haben es ihr seitdem angetan. "Wie die EU ist auch Japan sehr an nachhaltiger Entwicklung interessiert", sagt Yuki Itakura. Eine Erklärung dafür, warum sich eine Japanerin mit amerikanischer Universitätslaufbahn auf einen Master of European Studies einlässt. Jetzt, mit Mitte 30, ist sie auf ihrem Marsch durch die Institutionen.

Die für deutsche Verhältnisse hohen Studienkosten von 6.500 Euro hat Itakura teilweise selbst gezahlt, den Rest steuerten ihre Eltern bei. Zehn Studenten bekommen momentan ein Stipendium. "Für unsere deutschen Studenten sieht es leider zur Zeit bitter aus", sagt Cordula Janowski. Private Fördermittel fließen hierzulande weit spärlicher als etwa in den USA.

Seit dem vergangenen Sommer ist Yuki Itakuras Master-Ausbildung zu Ende. Auf die Zeit mit den 31 Kollegen blickt die Japanerin gern zurück. Die kulturellen Unterschiede hat sie stets als Bereicherung elebt. "Ich fühle mich viel wohler, wenn ich mit Leuten aus vielen verschiedenen Kulturen arbeite. Das ist bedeutend besser, als nur von Menschen einer Nationalität umgeben zu sein", sagt Itakura. Zu vielen Kollegen hält sie weiter Kontakt. Ganz im Sinne der Programmleiterin Cordula Janowski, die sich von der noch jungen Einrichtung ein wachsendes Netz aus Kontakten erhofft: in Diplomatie, Politik und Wirtschaft. Absolventen mit Jobs bei der Deutschen Botschaft in Belgrad, dem Bundesverband der Deutschen Industrie und der Brüsseler EU-Kommission bestärken sie darin. Hochrangige Dozenten, etwa aus dem Auswärtigen Amt oder der Europäischen Zentralbank, sollen das Übrige tun, um das Programm und seine Absolventen bekannt zu machen.

Der so genannte Europa-Dialog des Programms ist darauf aus, die jungen Führungskräfte von morgen schon heute den Schaltzentralen der Macht nahe zu bringen: So stehen Besuche im Auswärtigen Amt in Berlin ebenso auf dem Stundenplan wie eine Exkursion ins Straßburger EU-Parlament und zur Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Die jungen Leute sollen nach dem Wunsch der Programm-Macher Generalisten sein, die nicht nur in einer Berufssparte Großes leisten können, sondern flexibel einsetzbar sind.

Trotzdem hat sich für Yuki Itakura die Spezialisierung bezahlt gemacht. Wenn es nach ihr geht, wird sie auch in fünf Jahren in Bonn wohnen und für eine Umwelt-Abteilung der UNO arbeiten. Mindestens genauso gut wie ihre Wahlheimat gefällt ihr nur noch eine Station auf ihrem Lebensweg: Schwäbisch Gmünd. Dorthin zurück will sie dann aber doch nicht. Bei aller Liebe zur Nische.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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