Eigentlich haben sie schon genug Probleme: Sie sind fernab ihrer Heimat, dürfen nicht arbeiten oder finden keinen Job und sind möglicherweise überdies noch vor Bürgerkrieg oder politischer Verfolgung geflohen. Migranten werden oft nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Zwar werden Handel und Finanzmärkte zunehmend liberalisiert, dies gilt aber nicht für den Arbeitsmarkt. Viele Industrieländer betreiben inzwischen eine restriktive Einwanderungspolitik; Schlepperbanden nutzen dies aus, und so geraten immer mehr Migranten in die Illegalität. Die gesellschaftliche Atmosphäre im Aufnahmeland tut ihr Übriges.
Die Männer unter den Migranten haben aber noch mit ganz speziellen Problemen zu kämpfen: Gerade junge männliche Migranten suchen in aller Regel allein ihr Glück in der gelobten Fremde. Arbeitslosigkeit ist hier ein ganz entscheidender Faktor. So ergab eine Studie der Europäischen Union, dass für Männer wirtschaftliche Motive bei der Entscheidung für die Migration im Vordergrund stehen, während für Frauen meist familiäre Gründe wichtiger sind. Männer halten oft auch jenseits der Grenzen Ausschau nach Arbeit, so wie es schon viele ihrer Freunde und Verwandten erfolgreich getan haben. Gerade in afrikanischen Ländern werden darüber hinaus junge, allein stehende männliche Familienmitglieder ins reiche Europa geschickt, damit sie von dort aus zum Familienunterhalt beitragen können. Ohne ihre gewohnte gesellschaftliche Umgebung halten sie sich dann in einem Land auf, dessen Sprache sie nicht beherrschen und dessen Traditionen und kulturelle Gegebenheiten sie nicht verstehen. Auch in Deutschland ist der größte Teil der Ausländer zwischen 21 und 40 Jahre alt, rund 40 Prozent der insgesamt 7,3 Millionen Ausländer hierzulande sind in diesem Alter.
Das gelobte fremde Land hält aber zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht meist nicht, was den Migranten versprochen wird. Je nachdem, wo sie herstammen, dürfen viele Ausländer in Deutschland zunächst einmal bis zu drei Jahre lang gar nicht arbeiten. Und auch danach können sie eine gefundene Arbeit nicht ohne weiteres aufnehmen, weil zunächst Deutsche beziehungsweise EU-Ausländer diesen Job abgelehnt haben müssen. Und das sorgt vor allem bei den männlichen Migranten für Frustration und damit für neue Probleme, berichtet der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, Memet Kilic: "Die traditionelle Rollenteilung schafft für männliche Migranten zusätzliche Belastungen, wenn sie mit ihrer Familie oder zu einer Familie einwandern. Diese Gruppe verkraftet psychisch die anfängliche oder gar langwierige Arbeitslosigkeit viel weniger, weil der Mann in vielen Kulturen als der allein für den Familienunterhalt Verantwortliche angesehen wird." Dazu kommt, dass auch die Zahl der arbeitslosen Ausländer in Deutschland steigt: Gab es Ausländerarbeitslosigkeit in Deutschland während der 60er-Jahre praktisch nicht - die Gastar-beiter mussten bei Verlust des Jobs kurzfristig heimkehren - beläuft sich heute die Zahl der Migranten ohne Beschäftigung auf mindestens eine halbe Million. Die Arbeitslosenquote bei den männlichen Migranten liegt bei 9,1 Prozent. Sie sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen; viele ihrer ursprünglichen Arbeitsplätze in der industriellen Massenproduktion und in der Schwerindustrie gingen durch den strukturellen Wandel der Wirtschaft verloren.
Ein Problem, das Männer schwerer trifft als Frauen: Denn nach wirtschaftswissenschaftlichen Untersu-chungen finden Frauen leichter Anschluss an den Dienstleistungssektor und können so alternative Beschäftigungsmöglichkeiten suchen. Dies gilt in Deutschland in besonderem Maße für ausländische Frauen. Bereits in den 60er- und 70er-Jahren kamen hoch motivierte junge Frauen - überwiegend aus den Großstädten der Türkei - nach Deutschland. Sie wurden gezielt vor allem von der Textil- und Elektroindustrie angeworben. In der Regel gut ausgebildet, waren sie bereit, mit Rollenklischees zu brechen. Als auch sie in der Produktion und Fertigung von Arbeitslosigkeit bedroht waren, suchten sie nach Möglichkeiten, ihre Qualifikationen auch in Deutschland einzusetzen. Aus diesem Kreis stammen nach Erkenntnissen der Essener Wissenschaftlerin Yasemin Karakasoglu die ersten Muttersprachenlehrerinnen und Sozialberaterinnen, die zur Betreuung der ausländischen Bevölkerung eingestellt wurden. Dies passt ebenso wenig zum Klischee der von männlichen Entscheidungen abhängigen türkischen Frau vom Lande wie die Tatsache, dass die Frauen auf die Migration einen wichtigen Einfluss nehmen: "Die Entscheidung für die Familienmigration ist in den meisten Fällen eine Familien-Entscheidung, wobei die Meinung der Frau in der Regel maßgeblich ist", so der Heidelberger Anwalt Kilic.
Dies zeigt, dass die Probleme der männlichen Migranten auch davon abhängen, aus welchem Land oder Kulturkreis sie stammen - und welchen Bildungsstand sie haben. Die Bildungsstruktur männlicher Zuwanderer aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Italien, Griechenland, Spanien und Portugal unterscheidet sich erheblich von der schulischen und beruflichen Ausbildung deutscher Männer. Sehr viel öfter haben männliche Migranten keinen Abschluss oder lediglich einen primären Bildungsabschluss ohne Berufsausbildung. Und obwohl sich diese Tendenz insgesamt über die vergangenen Jahrzehnte leicht verbessert hat, ist die Bildungsbeteiligung vor allem junger Ausländer besorgniserregend: Sie sind nach einer Untersuchung des Wirtschaftswissenschaftlers Bert Rürup nur in sehr geringem Maße an deutschen Hochschulen repräsentiert. Der Anteil ausländischer Schulabgänger, die sowohl allgemein bildende als auch berufliche Schulen ohne Abschluss verlassen, ist doppelt so hoch wie der ihrer deutschen Mitschüler. Zudem sind deutsche Berufsschüler zu 62 Prozent in einer Lehre, bei den ausländischen Schülern sind es gerade einmal 46 Prozent. Die Ungelerntenquote insbesondere bei männlichen ausländischen Jugendlichen ist überdurchschnittlich hoch.
Hierin sehen Experten den Grund für ein weiteres, insbesondere männliches Problem der Migranten: Kriminalität. Dieses Problem ist zum großen Teil in der Gesellschaft des Aufnahmelandes hausgemacht, denn von der erhöhten Straffälligkeit sind vor allem Einwandererkinder betroffen. Als Ursachen führen Fachleute Erfahrungen gesellschaftlicher Diskriminierung an, zum Beispiel die Benachteiligung von Migrantenfamilien bei der Vergabe von Kindergartenplätzen und die Tatsache, dass Einwandererkinder viel öfter als ihre deutschen Altersgenossen an eine Hauptschule empfohlen werden. Viele junge Ausländer bekommen so einen schlechten Start ins Berufsleben. Dabei ist die Qualität des Schulabschlusses für berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und somit auch für die gesell-schaftliche Teilhabe entscheidend: "Wenige schaffen es, allein mit der Bildung das traditionelle Rollenverständnis zu überwinden. Bildung ist aber essentiell dafür, dass die nachkommenden Generationen ein liberales Rollenverständnis entwickeln und somit sich auch die Tradition liberalisiert", unterstreicht Kilic. Ein wichtiger Indikator für die soziale Integration ist somit vor allem das Bildungsniveau. Und da unterscheiden sich die Probleme der männlichen Migranten kaum noch von denen ihrer deutschen Geschlechtsgenossen.
Constanze Hacke arbeitet als freie Wirtschaftsjournalistin in Köln.