Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 46 / 08.11.2004
Gerhard Amendt

Über die These von der Verdammnis durch die Frauen

Alle Männer sind schlecht - und warum sie sich nicht gegen diese Behauptung wehren
Niemand kann sagen, dass Männer auf den Verdammungsfeminismus im Gefolge der Frauenbewegung nicht reagiert hätten. Die Frage ist allerdings, ob sich dadurch die Beziehungen von Männern und Frauen in wünschenswerter Weise verändert haben. Dagegen spricht, dass sich in den letzten 20 Jahren eine diffuse Feindseligkeit gegenüber Männern breitgemacht hat. Man begegnet ihr besonders oft an Universitäten, aber ebenso in TV-Redaktionen für Frauenbelange und vor allem in Gleichstellungsbürokratien. Das Feindselige ist so alltäglich geworden, dass schon kleine Jungen als Monster vorgestellt werden. Wie in einer Plakataktion des Bundesfamilienministeriums unter dem Titel "Mehr Respekt vor Kindern" geschehen, die Jungen als die Gewalttäter der Zukunft porträtieren.

Niemand hat sich bis heute Gedanken darüber gemacht, warum Männer auf die verdammungsfeministischen Abwertungen nicht zornig reagiert haben. Statt dessen stehen sie der wabernden Verdammungskultur schweigend gegenüber. Aber für das beredte Schweigen gibt es keine einfachen Antworten, denn das Schweigen der Männer hat unendlich viele Gesichter. Die meisten haben ihre Etikettierung als Unholde im privaten und als Schuldige im öffentlichen Leben nicht einmal mitbekommen oder sie nur kopfschüttelnd angehört. Andere gehen mit ihren Partnerinnen oder allein ihre eigenen Wege, die das Althergebrachte fortsetzen oder es unauffällig Ände-rungen unterziehen. Wenige nur bieten der Verdam-mungskultur die Stirn.

Trotz des vielgestaltigen Schweigens lassen sich zwei Richtungen herauskristallisieren. Die eine nennen wir "progressiv" die andere "bewahrend". Es sind Selbstbilder von Männlichkeit jenseits von Parteipräferenzen. In der Öffentlichkeit gilt eher, dass die Progressiven aus der Frauenbewegung zumindest etwas, die Bewahrenden hingegen gar nichts gelernt haben. Die These ist fragwürdig, zumal nicht klar ist, was Männer "lernen" sollen. Erstaunlicherweise folgen auch progressive Männer letztlich dem klassischen Selbstbild eines Versorgers von Frau und Kind. Der abschätzigen Kritik an der Männlichkeit geben sie grundsätzlich Recht; besonders dass Gewalt nur vom Mann ausgeht und keine von der Frau. Was im Widerspruch zur Forschung steht. Sie sehen für sich nur eine Zukunft, wenn sie sich dem Verdammungsfeminismus unterwerfen und die Männlichkeit wie einen ver-schlissenen Mantel ablegen. So als hätten sie keine guten Väter gehabt, die vorbildhaft für gute Männlichkeit waren und keine Mütter, die die Väter geliebt hätten.

Damit ihnen die Sinnstiftung nicht abhanden kommt, unterwerfen sie sich dem Urteil, nach dem sie an allem Schuld sind, was Frauen unbefriedigt lässt. Dazu zählt fast alles: die Verantwortung für die instrumentelle Vernunft, die angeblich nur männlich ist, die zerstörte Umwelt, die fehlenden Windkrafträder, die Benachteiligung der Mädchen in der Schule, die Kriege natürlich ebenso, wie die Frauendiskriminierung, der Verlust der Religion, die Pornografie, die Gewalt in Partnerschaften und gegen Kinder, die Verarmung der Frauen nach der Scheidung etcetera - und dass alle Männer potentielle Vergewaltiger seien! Für sie entsteht Schuld, weil sie beim Beglücken der Frauen versagen. So haben progressive Männer den Verdammungsfeminismus - nicht die Frauenbewegung - verstanden.

Dass dessen Idee patriarchaler Macht problema-tisch, manipuliert und weitgehend widerlegt ist, änderte nichts an ihrer Unterwerfung. Dass matriarchale Macht der männlichen gegenübersteht, kommt dem progressiven Männertyp nicht in den Sinn. Deshalb halten sie am verheißungsvollen Matriarchat fest. Sie träumen mit Verdammungsfeministen von einer Welt weiblicher Friedfertigkeit und einer besseren Zukunft der Menschheit. Männer werden wieder "gut", wenn sie an diese Utopie glauben. Weil dieser öffentlichkeitswirksame Feminismus von großer Sehnsucht nach dem ohnmächtigen Martyrium beherrscht ist, bleibt rätselhaft, wie denn Frauen eine bessere Gesellschaft bewerkstelligen könnten. Es bleibt allenfalls übrig, dass die "bösen Täter" es übernehmen, Frauen als den "armen Opfern" auf die Sprünge zu helfen. Aber wo gab es das, dass "Täter" ihren "Opfern" freiwillig die Macht übergaben, von der ihre Herrschaft zehrt? Nichts Überzeugendes hat demnach die Männer veranlasst, sich dem verdammenden Feminismus anzu-schließen. Eher sind es Gefühle einer peinigenden Bringschuld. So endet der Ausflug der Progressisten bei der alten Beschützerfunktion gegenüber Frauen. Aber Unterwerfung hat weder für Männer noch für Frauen je Freiheit gebracht.

So hängt das passive Selbstbild dieser Feministinnen, das sie mit aktiver Leidenschaft propagieren, eng mit dem Wunsch zusammen, der Mann möge wie bisher funktionieren. Es werden weibliche Passivität - Opfer sein - und männliche Aktivität wieder zu einer Einheit verschmolzen. Das modern sich Gebende ist in Wirklichkeit das Althergebrachte. Denn die Opfer-Täter-Polarität entspricht dem alten Gegensatz von aktiven Männern und passiven Frauen.

Wodurch unterscheidet sich nun der bewahrende Männertyp vom progressiven? An den Traditionen wollen sie ebenfalls nichts ändern. So soll Frauen keine allzu große Verantwortung aufgebürdet werden. Ins feindliche Leben hinaus muss der Mann, um Frauen den behüteten Platz im Hause zu sichern. Wenn Frauen arbeiten, dann weil die Männer es allein nicht schaffen. Dass sich Frauen außerhäuslich betätigen möchten, weil sie im Hause nicht mehr allein herrschen wollen, kommt ihnen weniger in den Sinn. Berufstätige Frauen stehen bei ihnen eher nicht für Verwirklichungsstreben. Durch die höhere Bedeutung von Ehe und Familie begreifen sie ihre Pflichten als Versprechen an die Frau. Die sie allerdings nicht eingehalten haben. So verkündet es der Feminismus, und so akzeptieren sie es auch. Ihr Versprechen ist ihre Pflicht, für die Frau zu sorgen, damit sie nicht arbeiten gehen muss, sondern die Kinder versorgen kann. Das beschreibt die Wunschvorstellung des treusorgenden "Good Provider". Sein Selbstbild und das der Ehefrau von ihm bilden ein deckungsgleiches Lebensarrangement. Dieses Geschlechterarrangement hat Bestand, solange darüber zwischen beiden Konsens besteht.

Der bewahrende Mann neigt auch nicht dazu, den "Softi" als Ausdruck neuer Männlichkeit, noch den "neuen Vater" mit Windel- und Müllentsorgung zu verwechseln oder die Teilnahme an der Geburt zum Standard zu erheben. Im "Softi" sehen sie das Ergebnis einer Unterwerfung. Die Selbstwahrnehmung des traditionellen Mannes ist eindeutiger und selbstgewisser. Er nimmt die verdammungsfeministische Kritik an der unvollkommenen Welt wie die Progressiven vorbehaltlos ernst. Er reagiert mit einer Frage: Was will die Frau, was sie nicht bekommt? Und was mache ich falsch? Deshalb versteht er den Verdammungsfeminismus als verkapptes Lamento darüber, dass Männer nicht so sind, wie Frauen sie haben wollen. Die amerikanische Philosophin und Feministin Bethke Elshtain folgert verständnisvoll daraus, dass "Mythen der männlichen Macht oft dann gerne behauptet würden, wenn Männer gerade nicht in den selbstsicheren Weisen dominieren, wie der Mythos es verheißt". Demnach würde an die männliche Omnipotenz appelliert, die es in Wirklichkeit noch nie gegeben hat. Deshalb könnte der Mythos auch als Angst der Frauen vor der Freiheit der Selbstständigkeit verstanden werden. Sie müssten selber tun, was sie Männern zuschieben, was diese wiederum glauben, freiwillig leisten zu können. So versteht der traditionelle Männertyp den verdammenden Feminismus eher als Erinnerung an gute alte Illusionen männlicher Allmacht.

Dann entstehen Schuldgefühle, die dem Bejammerten ein Ende bereiten wollen. Statt an den Rand zu treten, rücken Verpflichtungen gegenüber Frauen abermals in den Mittelpunkt. Sie werden zum Trumpf, der ihnen in die Hand gedrückt wird und den sie pflichtversessen annehmen. Daraus ist in den USA eine politische Wiedergutmachungsbewegung entstanden. Unter dem Namen "Promise Keepers" - "die ihre Versprechen halten" - arbeiten traditionelle Männer mit aktivem Zuspruch ihrer Frauen daran, es diesen recht zu machen. Was sie dazu ändern müssen, ist in den Vorwürfen des Verdammungsfeminismus festgelegt. Mit ihren Ehefrauen bilden sie eine Massenbewegung, die Stadien füllt.

Anders als die gleichheitspolitische Frauenbewe-gung hat der nachfolgende Verdammungsfeminismus die Menschheitsgeschichte in schuldige und unschuldige Teilnehmer auseinanderdividiert. Viele Männer hat das in ihrem konservativen Verständnis von Männlichkeit bestärkt, zumal ihre "empfangend-erwartungsvollen" Frauen sie dabei ermutigt haben.

Offensichtlich eint beide Richtungen die grundsätzliche Bereitschaft Frauen zu versorgen. Weil der Verdammungsfeminismus auf Konservatives zusteuert, kam es weder zu einer Auseinandersetzungen über die Machtformen, die Männer und Frauen im Berufsleben ausüben, noch wie sie typisch für beide in ihrem Verhalten in Beziehungen sind. Diese zukunftsweisende Debatte hat noch nicht einmal begonnen.

Wenn das Geschlechterarrangement in seiner Polarisierung und Konfliktunfähigkeit gemildert werden soll, bedarf es vertrauensbildender Diskurse. Die müssen sich erst bilden, denn zur Zeit verharren wir in trostlosen Polarisierungen, die sich im Kampf um moralische Überlegenheit der einen über die anderen erschöpfen. Sie sind auch aus dem desinteressierten, bedrückten oder mutlosen Schweigen der Männer zum Verdammungsfeminismus entstanden.

Prof. Dr. Gerhard Amendt arbeitet am Institut für Geschlechter- und Generationenforschung der Universität Bremen.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.