Gewalt ist weder männlich noch weiblich. Ausgehend von ihrer Definition als "zielgerichtete, direkte physische Schädigung von Menschen durch Menschen" wäre es absurd, Frauen grundsätzlich von dieser Definition auszunehmen. Weibliche Gewalttaten erstrecken sich von der Misshandlung und Tötung von Kindern und Partnern über die Kriegsteilnahme als Soldatinnen bis hin zur Beteiligung an kollektiven Menschheitsverbrechen etwa als KZ-Aufseherinnen oder, wie vor einigen Monaten be-kannt geworden, in der Mitwirkung an sadistischen Folterungen irakischer Gefangener. Nehmen wir die bei Frauen ähnlich stark verbreiteten, wenn auch weniger häufig zu offener Gewalt führenden Spielarten von Aggression (Wut, Hass und Grausamkeit) hinzu, dann erweist sich die Annahme einer prinzipiellen weiblichen Friedfertigkeit als reiner Mythos. Dennoch stellen weibliche Gewaltäußerungen nach wie vor Ausnahmeerscheinungen dar. An dieser Tatsache hat sich entgegen der immer wieder beschworenen Zunahme von Mädchen- und Frauengewalt grundsätzlich nichts geändert. Die reißerische Berichterstattung über spektakuläre Einzelfälle von weiblicher Gewalt täuscht darüber hinweg, dass faktische Gewaltausübung weiterhin eine männliche Domäne ist. Angesichts des Anteils von Frauen an körperbezogenen Gewaltdelikten von circa drei bis fünf Prozent sowie an Sexualstraftaten unter einem Prozent macht eine Gleichsetzung von männlicher und weiblicher Gewalt wenig Sinn.
Neben diesen statistischen Auffälligkeiten unterscheidet sich die Gewalt von Männern hauptsächlich durch eine fließendere Grenze zwischen Gewaltfaszination, Gewaltbereitschaft und faktischer Gewaltausübung, durch einen reflexhaften Einsatz von Gewalt gegenüber vermeintlichen Bedrohungen der eigenen Integrität, so-wie durch eine weit verbreitete, insbesondere gegen Frauen und Kinder gerichtete Verbindung mit sexuellen Motiven. Zu den häufigsten Erscheinungsformen männlicher Gewalt zählen die häusliche, die sexuelle und die militärisch-kriegerische Gewalt.
Da Gewalt als die "extremste Manifestation menschlicher Aggression" (Kernberg) gilt, steht im Mittelpunkt der meisten psychologischen Erklärungsversuche die Analyse humanspezifischer Aggressionsneigungen. Muss davon ausgegangen werden, dass Jungen und Männer eventuell über ein größeres, vielleicht sogar biologisch verankertes Aggressionspotential als Mädchen und Frauen verfügen? Sicherlich sind auch biologische Vorgänge beteiligt, aber die immer wieder in Mode kommende kausale Herleitung der typisch männlichen Gewaltbereitschaft aus der Hormonverteilung, der Hirnanatomie oder der Evolution läuft ebenso in eine Sackgasse, wie die Zurückführung der Kriminalität auf ein spezielles Verbrecher-Chromosom (Lombroso). Die Bereitschaft zu offener Gewalt ist eine vorwiegend männliche Ressource, die weder genetisch festgelegt, noch allein durch Erziehung und Rollenlernen "erworben" wird und folgerichtig auch nicht durch ein therapeutisches Trainingsprogramm einfach wieder "verlernt" werden kann, wie viele Ansätze und Kampagnen unter dem Label "Männer gegen Männergewalt" behaupten.
Die Wurzeln der männlichen Gewalt liegen viel-mehr in einer besonderen, mit den gesellschaftlich vorherrschenden Formen von Männlichkeit eng verknüpften Wut- und Hassbereitschaft gegenüber ausgewählten "Objekten". Hass entsteht als Reaktion auf Angst auslösende tatsächliche oder vermeintliche Angriffe, Zurücksetzungen und Kränkungen seitens der Umwelt. Im Extremfall kann sich dieser Hass bis zur "Aggressionsneigung gegen das Objekt, zur Absicht, es zu vernichten, steigern" (Freud). Das Festhalten an diesem primitiven Mechanismus der zerstörerischen Gewaltanwendung als Mittel der Abwehr von Unlust und Angst gehört zu den Hauptkennzeichen der Geschlechtsidentität von Jungen und Männern in männlich dominierten Kulturen und Gesellschaften. Die allgemeine Bedeutung dieses für Männer insgesamt typischen "Faustrechts" zeigt sich unter anderem daran, dass Unterschiede der sozialen Herkunft und des Bildungsniveaus bei der Verbreitung von männlicher Gewalt nur eine geringe Rolle spielen.
Sicherlich ist die Annahme eines universell gültigen Männlichkeitsbildes unzulässig, da zwischen den jeweils überlegenen ("hegemonialen") und den ausge-grenzten ("marginalisierten") Männlichkeiten (Connell) unzählige Abstufungen existieren; dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen diesen Erscheinungsformen, die auf eine ähnliche "Tiefenstruktur von Männlichkeit" (Gilmore) verweisen. Männlichkeit ist aber kein Ergebnis biologischer Reifung, sondern ein kulturelles Konstrukt und damit ein unsicherer Zustand, der nach eigenem Selbstverständnis erkämpft und im "Notfall" verteidigt werden muss. Neben der Hierarchie innerhalb der Gruppe der Männer, in der bezeichnenderweise fast überall der homosexuelle Mann auf der untersten Stufe steht, ist eine Tatsache entscheidend, die in den männlichen Habitus, das Selbstbewusstsein und das männliche Körperbild integriert werden muss: Mannsein heißt Nicht-Frau und deshalb nicht-weiblich zu sein. Männer erwerben ihre brüchige Geschlechtsidentität nicht nur unter dem Druck, sich als ein anderes, sondern vor allem sich als überlegenes Geschlecht zu setzen und zu beweisen.
Im Zentrum des Männlichkeitsideals einer auf hierarchischen Geschlechtergegensätzen aufgebauten Kultur steht daher das Bild einer an die Abwertung des Weiblichen gebundenen intakten, zugleich aber ständig bedrohten Männlichkeit. Gewalt von Jungen und Männern entsteht allerdings nicht aus patriarchaler Machtvollkommenheit, sondern aus der Unfähigkeit, insbesondere im Sexualverhalten das gängige Männlichkeitsideal mit seinen Attributen der Härte, Kontrolle und Verleugnung von Schwäche zu erfüllen. Die größte Bedrohung des männlichen Strebens nach Vormachtstellung und Autonomie scheint dabei von der Frau und den mit weiblicher Sexualität unbewusst verbundenen Gefahren auszugehen. Nach einer repräsentativen Studie nehmen bezeichnenderweise die Angst vor Frauen mit 88 Prozent und die Angst vor Potenzversagen mit 84 Prozent die Spitzenplätze in der Rangfolge männlicher Ängste ein. Eine der Hauptquellen geschlechtsbezogener Gewaltbereitschaft liegt in der eigenen sexuellen Lust, da sie den Mann vom "Objekt" seines Begehrens abhängig macht. Der gewaltbereite Hass gegen das (weibliche) Objekt entsteht aus der Angst, die durch diese Abhängigkeit ausgelöst wird. In vielen Fällen sexueller Gewalt wird die Frau auch für die Lust bestraft, die sie im männlichen Täter auslöst. Die allgemein verbreitete Überzeugung, den Tätern ginge es überhaupt nicht um Sexualität, sondern nur um die Befriedigung von Machtbedürfnissen durch Gewalt, übersieht diese Verstrickung des Mannes zwischen Lust, Angst und Hass, zwischen Autonomie und Abhängigkeit. Im Grunde bestätigt diese Position sogar den männlichen Autonomiewahn durch ihre Annahme, Männer könnten jederzeit kontrolliert und souverän ihre Sexualität als Waffe gegen die Frauen einsetzen.
Eine Eindämmung von männlicher Gewalt wird nur dann möglich sein, wenn diese Fallstricke der männlichen Sexualität und die in ihnen zum Ausdruck kommende, allgemein verbreitete Einstellung zur Weiblichkeit systematisch berücksichtigt werden.
Grundsätzlich ist allerdings zu bedenken, dass (männliche) Gewalt und ihre Akzeptanz in erster Linie ein gesellschaftliches und politisches Problem darstellen - Lösungswege können deshalb nicht allein am Individuum ansetzen. Insbesondere die Logik militärischen Denkens mit klaren Feindbezügen entspricht der typisch männlichen Abwehr-Kampf-Haltung gegenüber tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen. Auf diesem Hintergrund ist etwa die nach dem 11. September von Bundeskanzler Schröder für Deutschland geforderte "Enttabuisierung des Militärischen" unter gewaltpräventiven Gesichtspunkten sicherlich ein falsches Signal.
Der Autor ist Privatdozent für Sozialpsychologie an der Universität Hannover.