Sie war schon lange fällig, diese Themenausgabe. Ganz besonders als Thema der politischen Bildung. Denn ohne Männer geht ja gar nichts. Wir nehmen journalistisch alles auseinander: die Globalisierung, die sozialen Systeme, die EU-Erweiterung, die Entwicklungspolitik, das Handwerk, die Zukunft, die Jugend, die Frauen, den "annehmbarsten Naturfehler", wie sie einst der englische Dichter John Milton (1608-74) bezeichnete. Warum also jetzt erst die Männer? Weil sie unauffällig sind, weil sie eben nichts besonderes sind insofern, als sie eben in unserem Selbstverständnis kein "Fehler der Natur" sind, sondern im Gegenteil, Männer sind das Normale, die Norm, an der sich alles messen lassen muss, nach der sich alle zu richten haben. Diese Sichtweise ist tief verwurzelt, Jahrtausende alt, zementiert auch durch monotheistische Religionen wie dem Judentum, dem Islam und dem Christentum: Eva wurde "nur" aus der Rippe des Adam geformt.
Dennoch befindet sich diese Sichtweise und damit langsam, aber sicher der Androzentrismus in Auflösung. Klar ist: Auch Männer haben ein Geschlecht, sind genauso "unbekannte Wesen" wie die Frauen - auch für sich selbst. Und es tut Not und gut, dass sich zunehmend mehr - Männer - mit ihrem eigenen Geschlecht auseinandersetzen, wissenschaftlich, analytisch, soziologisch, hinterfragend. In dieser Themenausgabe sind einige Lebensbereiche - beileibe nicht alle - aufgenommen worden. Die Autorinnen und Autoren, und es sind - bezeichnenderweise? - mehr Frauen als Männer, beleuchten Bereiche, die für Männer eher "Frauensache" sind: Mode, Ökologie oder Gesundheit.
Jeff Hearn und Ralf Lange gehen der Frage nach, welche Auswirkungen eigentlich die traditionelle Männlichkeit und die überproportional große Besetzung von Führungspositionen in Unternehmen mit Geschlechtsgenossen für die Standortfrage, bezüglich des demografischen Wandels - Stichwort Fachkräftemangel - und auch hinsichtlich des weltweiten Aktionsradius' dieser Firmen haben. Uta Klein und Oliver Geden analysieren die Männlichkeitskonstruktionen in den vorletzten Mannesbastionen Militär und Sport. Ralf Puchert und Rolf Pohl beschäftigen sich mit dem Thema Gewalt. Der eine erklärt, warum der weit überwiegende Teil aller Gewalttaten von Männern begangen wird. Der andere nimmt ein Tabuthema auf: Männer als Opfer von Gewalt. Vera Riesenfeld berichtigt mit ihrem Beitrag das landläufige Bild vom "Familienernährer": Auch Männer haben keine Lust mehr, den Wochenend-Papa zu geben. Die derzeitigen Strukturen in Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt, die tradierten Ansichten vieler Arbeitgeber sowie die politischen Rahmenbedingungen - Stichwort Kinderbetreuung - aber lassen einen Ausgleich zwischen Leben und Arbeiten auch für Männer im Moment noch nicht zu - Leidtragende sind hier ganz klar auch Frauen, die das Kinderkriegen in Deutschland weitgehend einstellen.
Klaus Hurrelmann stellt klar, dass Männer nicht das starke Geschlecht sind: Sie sterben früher, weil sie risikoreicher leben, weil es nicht zu ihrem Selbstbild passt, rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Claudia Heine schließt mit ihrem Beitrag daran an und beschreibt die Schwierigkeiten, die Männer wesentlich häufiger zum Selbstmord treiben als Frauen - auch dies ist dem Umstand geschuldet, dass "der" Mann stark zu sein hat.
Die herkömmlichen Konstruktionen von Männlichkeit bedürfen dringend der Überarbeitung, der Anpassung an gewünschte und zum Teil auch bereits praktizierte Lebensentwürfe, bedürfen eines Paradigmenwechsels. Frauen kämpfen dafür seit Beginn des 18. Jahrhunderts (1. Frauenbewegung). Es wird Zeit, dass auch Männer sich einmischen, sich gegen (Leit-)Bilder wehren, sich emanzipieren. Das geht auch mit der europäischen Strategie des Gender Mainstreaming.
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Bonn.