Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 52-53 / 20.12.2004

Chancen erkennen und nutzen

Auszüge aus der Rede der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel

Es ist jetzt wieder unsere Aufgabe, diese Soziale Marktwirtschaft unter den veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts neu wirksam werden zu lassen. Dafür müssen wir das Vertrauen der Menschen neu gewinnen. Genau deshalb haben wir vor einem Jahr wichtige Entscheidungen in Leipzig getroffen. Leipzig war wegweisend, wegweisend für ein grundlegend neues Einkommenssteuerrecht, wegweisend für die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme. Darauf sind wir stolz. Und ich sage, darauf sind wir zu Recht stolz.

Aber ich sage genauso, wir dürfen bei Leipzig nicht stehen bleiben. Wir dürfen uns damit nicht zufrieden geben. Viele haben ja hinterher gesagt, Leipzig sei zu hart, zu kalt und zu konsequent. Ich bin überzeugt, die Lage unseres Landes ist so, dass wir gar nicht konsequent genug sein können. Inkonsequente Politik haben wir schon zu lange in Deutschland. Genau deshalb haben wir ja die Probleme und nichts belastet die Schwachen mehr als das. Nichts oder zu wenig tun, das ist das Herzloseste, was Politik machen kann.

Und deshalb gilt: Wir dürfen bei Leipzig nicht stehen bleiben. Leipzig war eine wichtige Etappe, aber eben nur eine Etappe. Es waren Einzelschritte, unverzichtbar und notwendig allesamt, bei den Steuern, der Gesundheit, der Rente, der Pflege. Es waren Einzelschritte, die uns zum Teil in unbekanntes Gelände geführt haben. Deshalb waren und sind sie mutig. Aber reicht das in unserer heutigen Zeit schon aus, für unser Land, für unsere Partei? Ich sage ein klares Nein...

Es muss um mehr als Einzelmaßnahmen gehen, es geht um einen in sich schlüssigen Reformweg für Deutschland - mit einem klaren Ziel: Wir wollen Deutschlands Chancen erkennen. Wir wollen Deutschlands Chancen nutzen. In einer Zeit, in der sich weltweit vieles bewegt, in der Menschen in allen Kontinenten ihre Chancen für ihr Leben suchen und finden, da sagen wir: Wir wollen unsere, Deutschlands Chancen nutzen, konsequent, weil es in unserem ureigensten Interesse ist. Das ist das Signal von Düsseldorf. Das ist das Signal dieses Parteitages...

Ich will, dass deutsche Interessen wieder beachtet und geachtet werden. Ich bin es satt, überall zu lesen, dass wir der kranke Mann in Europa sind. Ich kann das Wort vom Schlusslicht in Europa nicht mehr hören. Ich gebe mich nicht zufrieden mit Mittelmaß statt Spitzenplatz... Ein schlüssiger Reformweg führt Deutschland wieder nach oben. Dabei geht es uns nicht um Großmannssucht. Wir machen es auch nicht als Selbstzweck. Es geht einzig und allein um das Wohl der Menschen.

Deutschland braucht Eliten

Schöne Worte, werden jetzt manche sagen, aber wie soll das gehen in einer Zeit, in der kein Stein auf dem anderen zu bleiben scheint? ... Kann Politik überhaupt noch etwas gestalten? Ein Zurück zur so genannten guten alten Zeit ist unmöglich. Wir können und dürfen uns auch nicht verzweifelt an Gewohntem festhalten. Politik mit Gestaltungsanspruch klammert nicht. Sie stellt alles auf den Prüfstand. Politik mit Gestaltungswillen ist der Zukunft zugewandt. Sie bewahrt und verändert.

Wir sollten uns also etwas vornehmen, gleichsam als unsere Definition von Reform: Lasst uns bewahren, was das Land voranbringt. Und lasst uns verändern, was das Land belastet. Noch einmal: Bewahren, was das Land voranbringt, verändern, was es belastet... Wir setzen auf Chancen - Chancen für Deutschland. Unser Land braucht Eliten. Es braucht Eliten, und zwar in allen Bereichen - Eliten bei handwerklichen und sozialen Tätigkeiten, Eliten in kulturellen, wirtschaftlichen Tätigkeiten, Eliten in forschenden Tätigkeiten. Wir brauchen den qualifizierten Facharbeiter ebenso wie den Forscher von Weltrang...Wir Deutschen müssen in einigen Bereichen etwas können, was andere nicht können. Wir müssen in einigen Bereichen besser sein als alle anderen. Damit nutzen wir Deutschlands Chancen für die Zukunft...


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.