Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 52-53 / 20.12.2004
Sandra Schmid

"Abgeordnete sind auch nur Menschen"

Nachwuchsredakteure erleben Politik und Medien hautnah im Deutschen Bundestag
40 Schülerzeitungsredakteure schauten eine Woche lang beim Workshop "Medien und Politik - (un)geliebte Beziehungen?" in Bundestag und Hauptstadtredaktionen hinter die Kulissen, trafen Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zum Mittagessen, begleiteten Hauptstadtkorrespondenten in die Bundespressekonferenz und kamen dabei zu erstaunlichen Einsichten: Politiker sind keine Übermenschen und Journalisten gar nicht so eitel wie gedacht.

Hauptstadtjournalisten und Abgeordneten endlich einmal jede Frage stellen können und auch noch eine Antwort bekommen, dazu hatten junge Nachwuchsjournalisten eine Woche lang Gelegenheit: Auf Einladung des Deutschen Bundestags, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Jugendpresse Deutschland reisten 40 Schülerzeitungsredakteure vom 29. November bis zum 3. Dezember nach Berlin, um herauszufinden, wie Politik und Medien funktionieren. Wie arbeitet der Bundestag? Warum ist das Plenum so leer, und warum darf man dort nicht fotografieren? Wie bekommen Journalisten ihre Informationen, und was bedeutet es, wenn ein Politiker zu einem Journalisten etwas "unter drei" sagt?

Focus-, Bild-; ARD-, oder dpa-Redakteure nahmen die 14 bis 22-Jährigen einen Tag lang mit auf Termine, in ihre Redaktionen und Studios und ließen sie dort ein wenig Journalistenalltag schnuppern. Von diesen Begegnungen waren dann nicht nur die jungen Redakteure begeistert, auch einer der "alten Hasen" zeigte sich beeindruckt: "Angeblich gehört ihr zur Null-Bock-Generation, aber selten habe ich so engagierte junge Menschen gesehen, die so zielstrebig an ihrer Zukunft basteln", sagte Gerd Reuter, dpa-Journalist, bei einem gemeinsamen Abendessen im Bundestagsrestaurant. "Bleibt so, wie ihr seid!"

Neugierig, aufgeweckt, kritisch - so blieben sie zumindest während der folgenden Tage in Berlin. Für die jungen Journalisten öffneten sich Türen, die sonst für normale Besucher geschlossen bleiben: ein Essen in der parlamentarischen Gesellschaft, ein Besuch im Bundeskanzleramt und in der Bundespressekonferenz. Durften hier die Nachwuchsjournalisten ausnahmsweise mal nichts fragen, so konnten sie dafür anschließend Regierungssprecher Bela Anda löchern. Der musste sich dann nicht nur fragen lassen, warum er die Seite des Schreibtischs vom Journalisten zum Pressesprecher gewechselt habe, wann er eigentlich aufstehe und ob man - mal ganz ehrlich - nicht auch ein wenig eitel sein müsse, um so einen Job machen zu wollen.

Der Kanzler war zwar nicht zu Hause, als die Jugendlichen bei der Führung durch das Kanzleramt einen Blick in sein Arbeitszimmer warfen, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse jedoch nahm sich Zeit für ein gemeinsames Mittagessen und tat damit einiges, um Vorurteile über Politiker zu widerlegen. Es sei "wichtig, hinter die Kulissen zu schauen", meinte der zweite Mann im Staat dann auch, denn: "Vorurteile stellen sich von allein ein, für Sachkenntnis muss man arbeiten." Die Sache "mit dem hinter die Kulissen schauen" nahmen die Nachwuchsjournalisten ganz wörtlich: Paul-Löbe-Haus, Reichstagsgebäude, Jakob-Kaiser-Haus - in Fahrstühlen, Fluren und unterirdischen Gängen trafen sie immer wieder auf bekannte Gesichter: Im Plenum gab Umweltminister Jürgen Trittin die Regierungserklärung zum Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls ab, Friedrich Merz, ehemaliger Unions-Fraktionsvize und Finanzexperte seiner Partei, wurde auf dem Weg zu einem Meeting gesichtet, genauso wie FDP-Fraktionsführer Wolfgang Gerhardt beim Warten auf den Aufzug. Besondere Begeisterung löste aber eine unerwartete Begegnung mit Gerhard Schröder aus: "Ich war zu spät für das Abendessen im Bundestagsrestaurant im ersten Stock und wartete bei der Kontrolle am Eingang," erzählte eine Teilnehmerin, "als ich plötzlich zur Seite treten musste." Der Kanzler kam und wollte eben auch zu Abend essen - zwei Stockwerke darüber, auf der Dachterrasse.

Ein Highlight für die meisten der jungen Journalisten war jedoch das Treffen mit jungen Abgeordneten. Swen Schulz (SPD), Julia Klöckner (CDU), Andreas Bonde (Grüne) und Michael Kauch (FDP) zählen zu den Jüngsten in ihren Parteien und kamen, um einen Abend lang den Jüngsten im Journalismus über ihr Leben in der Politik zu berichten. Und auch sie mussten sich einiges fragen lassen: Wie machtgeil man sein müsse, um auf so viel Lebenszeit zu verzichten? Ob negative Schlagzeilen verletzen, und wie man es schaffe, die Bodenhaftung nicht zu verlieren? Die vier Abgeordneten antworteten offen und manchmal sehr persönlich: Dass es schwer sei, wirklich mal abzuschalten, dass man sich auch mal unzulänglich fühle. Das machte Eindruck: "Früher dachte ich bei Politikern besonders an Reichtum und an Privilegien", sagte die 18-jährige Annika Böddeling aus Hamburg zum Abschluss des Workshops, "heute sehe ich das anders. Ich bemerke die Bemühungen der Politiker, wirklich etwas zu bewegen."

Doch auch Kontroversen hatte der Workshop zu bieten: Thomas Leif, SWR-Chefreporter und Vorsitzender des Vereins Netzwerk Recherche traf in einem Streitgespräch auf Michael Geffken, Leiter des Deutschen Instituts für Public Affairs, und trat dann allen gleichzeitig auf die Füße: Die Intransparenz des Lobbyismus war das Thema der Diskussion, die Kritisierten waren Lobbyisten, Politiker und Journalisten gleichermaßen. Denn, so monierte Leif, das Prinzip der Intransparenz, nach dem Lobbyisten arbeiteten, sei in einer Demokratie höchst bedenklich. Seine Schlussfolgerung lautete daher: Die Macht des Lobbyismus ist die Schwäche des Parlamentarismus. Doch weder Politiker noch Lobbyisten hätten ein Interesse daran, an dieser Situation etwas zu verändern. Und die, klagte Leif, die eigentlich die Aufgabe hätten, auf solche Missstände hinzuweisen, würden entweder aus Zeitnot, Personalmangel oder Faulheit nicht mehr richtig recherchieren - die Journalisten.

Die Nähe zwischen Politikern und Lobbyisten, die Nähe zwischen Politikern und Journalisten - dieses Thema beschäftigte die Nachwuchsredakteure stark. Auch die Talkrunde, die zum Finale des Workshops im Bundestagsfernsehen übertragen wurde, drehte sich um das Verhältnis von Politik und Medien. Moderiert von Katrin Hünemörder, Jugendpresse Deutschland, diskutierten Vize-Bundestagspräsidentin Susanne Kastner, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, NBC GIGA-Moderator Christoph Rieth und zwei der Teilnehmer, Rebecca Beerheide und Julian Kothe, darüber, ob Medien Politik verzerrt darstellen, wie viel Distanz Journalisten zu Politikern halten sollten und wie Medien über Politik berichten können, so dass es Jugendliche interessiert. Ein Weg, wie es funktionieren kann, junge Zuschauer für Politik gewinnen, zeigt der Sender NBC GIGA mit seinem Politik-Talk. Jeden Abend empfängt das Moderatoren-Duo Christoph Rieth und Vanessa Dreckmann einen Gast im GIGA Real-Studio am Pariser Platz.

Die Fragen stellen aber nicht nur die Moderatoren, sondern auch die Zuschauer, die per Mail und SMS ins Studio gelangen. "Ich bin nicht der kluge Journalist, sondern eher ein Mittler, der die Fragen an den Talkgast weitergibt", erklärte Christoph Rieth, der seit 2001 das Magazin moderiert, seine Rolle. Und wer dort einen Politiker live sähe und selbst Fragen stellen könne, der entwickle möglicherweise auch ein größeres Interesse für politische Themen, meinte Rieth.

Ein Ansatz, den auch Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung mit dem Workshop "Medien und Politik - (un)geliebte Beziehungen verfolgen und jungen Journalisten den Blick hinter die Kulissen des politischen Berlins ermöglichen. "Wer einmal selbst hier war, der schaltet vielleicht auch eine politische Sendung im Fernsehen nicht gleich wieder ab." Davon ist Susanne Kastner überzeugt. Auf die Wirkung persönlicher Erfahrungen setzt auch Thomas Krüger: "Durch konkrete Begegnungen lernt man, baut Vorurteile ab." Ein Ziel, das der Workshop wohl erreicht hat: "Politiker sind auch nur Menschen, die ihren Job machen," so das Fazit des 19-jährigen Teilnehmers Florian Humpenöder.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.