Architekten der "Genfer Initiative"
Stellt die "Genfer Initiative" ein Tor zum Frieden im Nahen Osten dar? Unter diesem Titel präsentierten und diskutierten unter Leitung von Jörg Bremer, FAZ-Nahostkorrespondent, die Initiatoren dieses Planes, der Israeli Yossi Beilin und der Palästinenser Yasser Abed Rabbo, im Januar in der Friedrich-Ebert-Stiftung ihren "Friedensfahrplan". Diesen Plan hatten der ehemalige israelische Justizminister Beilin und der frühere Kulturminister der Autonomieregierung Abed Rabbo im Dezember in Genf der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Allgemein richtete sich neue Hoffnung auf den schwierigen Prozess. Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, schrieb dazu in der "Zeit": "Ein Beweis dafür, dass wichtige Staaten im Ausland die Genfer Vereinbarung ernst nehmen und dieses Initiative fördern, könnte in den Augen der israelischen Bürger die Glaubwürdigkeit des Projekts erhöhen."
Das wichtigste Ergebnis dieses Plans besteht darin, dass erstmalig ein umfassender Vertrag für die Lösung des Konfliktes vorliegt, wie unzureichend er im Detail auch immer sein mag. Die Motivation der beiden Delegationen war, die in Taba im Januar 2001 abgebrochenen Verhandlungen wieder aufzunehmen und zu einem Ergebnis zu führen, um die Gewalt im Nahen Osten zu stoppen. "Taba war eine große Frustration, weil es dort keine Übereinkunft über die gesamte Angelegenheit gab", so Beilin.
In dreijährigen Geheimverhandlungen in einigen Ländern Europas wurden dieses Mal zentrale Streitpunkte geregelt: Im Westjordanland und im Gaza-Streifen wird ein palästinensischer Staat geschaffen. Jerusalem wird laut Genf die Hauptstadt beider Staaten sein und Israel die Souveränität in den Stadtvierteln behalten, in denen überwiegend Juden wohnen. Gleiches gilt für die Palästinenser in den arabischen Quartieren. Der Haram al Sharif (Tempelberg) bliebe (weitgehend) unter palästinensischer Souveränität, die Klagemauer, das jüdische Viertel, die Zitadelle, der jüdische Friedhof auf dem Ölberg und der Tunnel unter der Westmauer unter israelischer. Die Westbank und der Gaza-Streifen würden durch einen Korridor verbunden, der unter israelischer Oberhoheit stünde, aber von den Palästinensern verwaltet würde. Ferner verzichten die Palästinenser weitgehend auf ein Rückkehrrecht von etwa 3,8 Millionen Flüchtlingen nach Israel. Schließlich stimmt Israel dem Abzug seiner Truppen und Siedlern aus palästinensischen Gebieten zu. Israel wird als jüdischer Staat anerkannt.
Neben den genannten Punkten hat die Vereinbarung gezeigt, dass es auf palästinensischer Seite Partner gibt, die bereit zu einer Lösung sind, obwohl der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon und Ehud Barak, der frühere israelische Ministerpräsident, immer behauptet haben, dass sie keinen Verhandlungspartner hätten.
Das deutsche politische Establishment begrüßte die "Genfer Initiative" einhellig. Angefangen von Bundeskanzler Gerhard Schröder bis zu den Abgeordneten trafen die beiden Delegationen die politische Prominenz der Berliner Republik. "Die Welt wünscht sich, dass wir unsere Probleme lösen", sagte Beilin in der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Grundsätzlich sieht Beilin den "Genfer Friedensplan" als die konkrete Weiterentwicklung der Roadmap: "Was wir vorschlagen, ist eine Option für die dritte Phase der Roadmap. Die erste sind vertrauensbildende Maßnahmen, die zweite Phase ist ein Palästinenserstaat mit provisorischen Grenzen, und die dritte Phase, eine dauerhafte Lösung, sollte nach der Roadmap erst 2005 verhandelt werden. Und wir haben dieses dauerhafte Lösung geschaffen. Es ist eine Ergänzung zur Roadmap", hatte Beilin andernorts zuvor gegenüber der Presse geäußert.
Allerdings wurde sowohl in Israel als auch Palästina selbst die "Genfer Initiative" heftigst kritisiert. Insbesondere die israelische Regierung unter Sharon lehnt diese ab. Und ob sich Abed Rabbo mit diesem Plan in ein palästinensisches Flüchtlingslager wagen kann, erscheint fraglich. Erregte doch der Verzicht auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge in ihre Heimat schon unter einigen anwesenden Exilpalästinensern heftigsten Widerspruch, der Abed Rabbo zu einer emotionalen Gegenattacke provozierte.
Dem zahlreich erschienenen Publikum war der Inhalt der "Genfer Initiative" weitgehend unbekannt. Die Diskussion trug wenig zu dessen Vermittlung bei. Auf die zentralen inhaltlichen Probleme wie den Verweis auf einen noch nicht bekannten Anhang X wurde nicht eingegangen. Überall, wo es schwierig wurde, erfolgte im Haupttext dieser Hinweis. Abed Rabbo erläuterte zwar die fünf Optionen für die Flüchtlinge, bestritt aber, dass er auf das Rückkehrrecht offiziell verzichtet habe. Jeder Flüchtling besitze jetzt ein Wahlrecht, wohin er gehen möchte. "Es gibt sogar eine begrenzte Rückkehr nach Israel."
Eine weiterer strittige Frage war die weitreichende Anerkennung des Rechtes des jüdischen Volkes und nicht des israelischen Volkes auf einen Staat durch die palästinensische Verhandlungsdelegation. Die beiden Völker, über die in der "Genfer Initiative" gesprochen wird, sind nicht das israelische und palästinensische Volk, sondern das jüdische Volk generell und das palästinensische in der Westbank und dem Gaza-Streifen. Diese problematische und weitreichende Anerkennung stellte offensichtlich kein Problem für die Palästinenser dar, wie Beilin ausführte. War Abed Rabbo diese semantische Feinheit vielleicht gar nicht bewusst? Was diese "Friedensformel" bewirkt, ist die Vergrößerung des jüdischen Volkes über Israel hinaus und die Reduzierung des palästinensischen auf die besetzten Gebiete; die 3,5 Millionen. Exilpalästinenser, fallen damit der politischen Irrelevanz anheim.