Ein Präsident Kerry würde von Europa mehr Engagement im Irak einfordern
Er kam, sah und siegte: Wieder steht ein JFK aus Massachusetts in Washington ante portas. Wie schon 1960 der demokratische Senator John F. Kennedy (JFK), mit Orden versehener Veteran des Zweiten Weltkrieges, so ist nun erneut ein Yankee aus Massachusetts, ebenfalls demokratischer Senator und hochdekorierter Vietnam-Veteran mit den gleichen Intitialen JFK - John F. Kerry - bereit, die Republikaner das Fürchten zu lehren. Zufall?
Am 2. März, dem zweiten so genannten "Super Tuesday", holte sich der 60-jährige Berufspolitiker Kerry erwartungsgemäß die Vorentscheidung zur Nominierung als Präsidentschaftskandidat seiner Partei der Demokraten. Er gewann mit überwältigenden Mehrheiten in neun von zehn Bundesstaaten, darunter in den bevölkerungsreichsten, Kalifornien und New York, den Auswahlwettbewerb der Demokraten für die Präsidentenwahl am 2. November. Zwar hat er damit noch nicht die numerische Mehrheit der erforderlichen Mindestzahl von 2.162 Delegierten-Stimmen erreicht, die er auf dem Parteitag der Demokraten Ende Juli in Boston für seine Nominierung braucht. Kerry hat es aber geschafft, seinen erfolgreichsten Mitbewerber, den sympathischen Senator John Edwards aus South Carolina, zur Aufgabe zu bewegen. Außerdem steht nach einem solchen "Abräumer" am zweiten "Super Tuesday", wie ihn Kerry hingelegt hat, der Kandidat in der Regel fest. Traditionell wird während des Vorwahlkampfes - der in diesem Jahr nichts anderes ist als ein Kandidatenwettbewerb innerhalb der Partei der Demokraten und bei dem nur eingetragene demokratische Wähler zur Stimmabgabe zugelassen sind - zweimal an einem Dienstag (Tuesday) in mehreren Bundeststaaten gleichzeitig abgestimmt - deshalb "Super Tuesday".
Der republikanische Präsident George W. Bush hat seinem künftigen Herausforderer noch in der Wahlnacht gratuliert. Eine Anstandsgeste, die nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass die USA in den kommenden Monaten bis zur Präsidentenwahl möglicherweise in eine der schlimmsten politischen Schlammschlachten ihrer Geschichte hineintaumeln. Dies zumindest erwarten nicht nur die Demokraten, sondern auch eine Reihe namhafter politischer Kommentatoren der Washingtoner Szene.
Der Grund dafür liegt in erster Linie darin, dass anhand der ständig durchgeführten Wählerumfragen erneut ein sehr enges Ergebnis am 2. November erwartet wird - so wie auch damals zwischen dem Republikaner Richard Nixon und - John F. Kennedy! Seit dem selbst herbeigeführten Irak-Debakel des Präsidenten, sinken dessen noch vor einem Jahr historisch einmalig hohen Beliebtheitswerte stetig. Und bezeichnenderweise beherrschte John F. Kerry am Tag nach seinem Erfolg am "Super Tuesday" die Schlagzeilen nicht allein, sondern musste sich die Aufmacher in den Zeitungen teilen mit einem erneuten Terroranschlag in Bagdad, der 143 schiitische Pilger das Leben kostete.
Die Wahl im November wird folglich in erster Linie eine Abstimmung über Präsident George W. Bush und seine Politik werden. Bush kann sich trotz der hochexplosiven Lage im Irak, die die amerikanische Invasion dort verursachte, einer großen Stammwählerschaft sicher sein. Genauso wie sein Herausforderer Kerry auf die demokratischen Kriegsgegner und notorischen Bush-Hasser zurückgreifen kann. Nur: Beide brauchen mehr. Beide müssen bei der jeweils anderen Feldpostnummer wildern beziehungsweise die große Masse der Unentschlossenen - das ist mindestens die Hälfte der amerikanischen Wahlbevölkerung - auf sich aufmerksam machen. Anders ist keine Mehrheit zu holen. Jedoch: Die Demokraten können fast nur darauf hoffen, dass Bush in den nächsten Monaten ein schwerer Fehler unterläuft oder sich die Lage im Irak dramatisch zuspitzt. Etwas anderes kann vom Kerry-Lager aus nicht unternommen werden.
Der Spruch des Senators aus Massachusetts, er wolle die "Zweifel der Bürger durch Hoffnung ersetzen, und Angst durch Sicherheit", klingt wie eine Anlehnung an das Bush-Repertoire. Und die Manager der Wahlkampagne von Bush werden darauf herumreiten, dass der Demokrat Kerry nach dem Terroranschlag gegen die USA im Senat allen Anträgen des Präsidenten zugestimmt hat, bis hin zum Abnicken der Invasion im Irak. Die nächsten Monate werden erfahrungsgemäß viele persönliche Schmutzkampagnen, auch unter die Gürtellinie, produzieren. Das Privatleben des John Kerry ist nicht unproblematisch. Er ist einmal geschieden - ein rotes Tuch für Katholiken -, lebt in zweiter Ehe mit einer fünf Jahre älteren Frau aus dem Ketchup-Imperium "Heinz" zusammen, die ein loses Mundwerk hat und auch schon mal gerne einen Cocktail hebt.
Vor allem aber sein Anschluss an die Friedensbewegung gegen den Krieg in Vietnam nach seiner Rück-kehr von dort wird ihm heute von den Veteranen übel genommen und wirft kein starkes Licht auf ihn als möglichen Oberkommandierenden der amerikanischen Streitkräfte im Falle seines Einzuges ins Weiße Haus. Das Land ist im Krieg: in Afghanistan, im Irak. Die USA sind mit zahlreichen Truppen in diversen Krisen rund um den Globus engagiert: auf den Philippinen, in Haiti, Kolumbien, Korea, Liberia, auf dem Balkan, in Usbekistan, und stets bereit, eine dritte große militärischer Herausforderung anzunehmen. Da ist eine starke Führungspersönlichkeit mit militärischem Willen gefragt, zumindest bei der Mehrheit der Bevölkerung. Jene Stimmen, die "Ami go home" im eigenen Land fordern, sind zwar laut, aber nicht repräsentativ.
John Kerry ist schon jetzt anzumerken, dass er auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik vorsichtig in seinen Argumenten bleibt. Er ist kein Ankläger, wie Howard Dean, der vor drei Wochen als Kandidat scheiterte. Er hat nur noch ein halbes Jahr Zeit, sein Profil zu schärfen, sich von Bush abzuheben, seine Alternativen vorzustellen.
Im Grunde genommen interessiert dies aber kaum einen Wähler. Entscheidend wird sein, wie sich Kerry in den berühmten drei Fernsehdebatten kurz vor dem Wahltag der Öffentlichkeit präsentieren kann - und: welche Fehler der Präsident macht, dessen Amt er haben will.
Aus europäischer Sicht ist wichtig zu wissen, dass Senator Kerry zwar über ein hohes Bildungsniveau verfügt, nicht aber über Auslandserfahrung. Seine außenpolitischen Kenntnisse beschränken sich auf angelesenes Bücherwissen.
Im Fall des Irak gibt er sich zum Beispiel zuversichtlich, er könne als Präsident die verfahrene innenpolitische Lage zwischen Euphrat und Tigris mit mehr internationaler Unterstützung lösen als George Bush. Kerry glaubt, die europäischen "Nein-Sager" wären bereit, ihm, "dem Guten", jenes zu geben, was sie Präsident Bush, "dem Bösen", versagen: Truppen und Geld, und sei es nur, um Bush im nachhinein zu ärgern. Auch glaubt Kerry, mit einem konzilianteren Auftreten vor der UNO die Sympathie der Weltgemeinschaft für die Vereinigten Staaten zurückzugewinnen und auf diesem Wege ebenfalls Engagement im und für den Irak herausschlagen zu können, mit dem Ziel, die Marines wieder nach Hause zu bringen, so schnell wie möglich. Das war sein Ziel für Vietnam. Das ist sein Ziel für den Irak. Und damit das arabische Land nicht ins gleiche Chaos verfällt wie Indochina, bedarf eine US-Regierung unter Kerry ganz besonders der Hilfe der Europäer, respektive Deutschlands und Frankreichs. Wer in Berlin würde ihm die ausgestreckte Hand ausschlagen?
Es ist derzeit leicht für jedwede europäische Regierung, dem in der Alten Welt als Hardliner wirkenden Bush entgegenzutreten, aber auch einem, wenngleich konservativen Liberalen?
Vielleicht wünscht sich deshalb manch' deutscher Politiker auf dem linken Spektrum, dass lieber Bush im Amt bleiben möge. Es ist allemal leichter, einem George W. Bush weiterhin das Image des "schießwütigen dümmlichen Cowboys" anzuhängen als dem intellektuellen, telegenen Liberalen John F. Kerry.
Falls ein zweiter JFK ins Weiße Haus einziehen sollte, werden auf Deutschland, auf Europa insgesamt, wesentlich mehr weltpolitische Verantwortung und Engagement zukommen, militärisch wie finanziell.