Saarland: Riskanter Spagat der SPD im Superwahljahr
Manchmal geht es in den Sälen richtig aufgewühlt her. Die beiden Matadore ziehen im Klatschmarsch ein, öfters brandet während der Reden Beifall in Stakkato-Wellen auf, "Oskar, Oskar"- und "Heiko, Heiko"-Rufe ertönen. Nach den Auftritten spendet das Publikum stehend Applaus. Während die SPD auf Bundesebene in einem depressiven Dauertief steckt, scheint die Parteibasis an der Saar einen Mobilisierungsschub durchzumachen.
Selbst im kleinen Siersburg strömten jüngst beim Aschermittwochmeeting 1000 Anhänger in die Dorfhalle. Der Landesvorsitzende Heiko Maas, Oppositionsführer im Landtag, und Oskar Lafontaine, auch ohne Amt im deutschen Südwesten nach wie vor recht populär, treffen als Duo im Wahlkampf die Herzen der Genossen: Ihre Reden kreisen um "soziale Gerechtigkeit". Kein anderer Begriff wird so häufig beschworen. Offen geißelt Lafontaine die "falsche Politik" in Berlin. Der saarländische DGB-Vorsitzende Eugen Roth, auch Vize der Saar-SPD: "Hier an der Saar schlägt das Herz noch links." Umjubelt bei Veranstaltungen wird auch Ottmar Schreiner, linker Rebell im Bundestag.
Im Superwahljahr mit Kommunal- und Europawahlen im Juni sowie dem Urnengang für den Landtag am 5. September wagt die SPD an der Saar eine in dieser Konsequenz von keinem anderen Landesverband eingeschlagene Strategie: Maas und die Seinen attackieren nicht nur das Kabinett von CDU-Ministerpräsident Peter Müller, sondern kritisieren auch offensiv den von Berlin betriebenen Kurs des Sozialabbaus, um sich vom negativen Bundestrend abzukoppeln - man will zudem Druck machen für eine politische Neuorientierung der Partei insgesamt.
Maas über das neue Führungstandem aus Kanzler Gerhard Schröder und dem designierten Vorsitzenden Franz Müntefering: Die Malaise der SPD wurzele nicht in einem Problem der "Vermittlung", sondern der Politik. Lafontaine: "Eine Änderung der Politik muss aus der Partei heraus kommen". Allein, dass der von der Bundes-SPD geschnittene "Oskar" als Zugpferd im Wahlkampf agiert, setzt ein Signal. Dessen Credo: "Sozialdemokratische Mehrheiten liegen auf der Straße, wenn wir die Interessen der Arbeitnehmer vertreten".
Solche Botschaften hört die gequälte Genossenseele gern. Denn auch die erfolgsverwöhnte Saar-SPD, die bis zur Niederlage 1999 unter Lafontaine und zuletzt Reinhard Klimmt 14 Jahre lang mit absoluter Mehrheit regierte, sieht sich arg gebeutelt. Wenige Monate vor dem 5. September landen die Roten in Umfragen weit hinter Müllers Union - die Demoskopen sagen der CDU sogar eine absolute Mehrheit der Stimmen und nicht nur wie jetzt der Mandate im Parlament voraus. Im persönlichen Vergleich mit dem Ministerpräsidenten rangiert Maas noch weiter abgeschlagen.
Seit 1999 verlor die SPD zwölf Bürgermeistersessel, und dies selbst in einstigen Hochburgen wie Völklingen oder Saarlouis. Zwar hat die saarländische SPD mit rund 30.000 Mitgliedern bei einer Million Einwohnern noch immer den bundesweit höchsten Organisationsgrad, doch zu den besten Zeiten waren es einmal 38.000 - und aus Protest gegen die Berliner Politik des Sozialabbaus verließen allein 2003 über 2.000 Genossen die Partei.
Auch an der Saar wird die SPD vor allem vom Gegenwind aus Berlin durchgeschüttelt. Hausgemachte Ursachen fehlen freilich ebenfalls nicht: So findet vor dem Saarbrücker Landgericht momentan der Berufungsprozess gegen den erstinstanzlich wegen Untreue verurteilten Saarbrücker SPD-OB Hajo Hoffmann statt, der zwar vom Dienst suspendiert, aber immer noch im Amt ist. Besonders im jetzigen Wahljahr markiert dieses Verfahren für die SPD, die ohnehin in der Defensive steckt, einen zusätzlichen Klotz am Bein.
Der lange Zeit etwas farblos wirkende Heiko Maas ist inzwischen zu kämpferischer Form aufgelaufen und weiß als Redner die Zuhörer besser zu packen als bisher. Tapfer nimmt der SPD-Spitzenkandidat den Regierungschef aufs Korn. Es ist ja nicht so, dass die CDU keine Angriffsflächen böte. So ist der Landesetat enorm verschuldet, Maas bezeichnet Müller "als Bankrotteur des Jahres". 2003 verzeichnete das Saarland einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um ein Prozent, was deutlich über dem Bundesschnitt liegt. Republikweit nimmt die Region bei Firmenpleiten einen Spitzenplatz ein.
Landespolitisch macht die SPD bei den Wählern indes bislang kaum Punkte: In der angestammten Klientel dominieren Frust und Ärger über Sozialkürzungen, über Einschnitte bei den Renten, über die finanziellen Belastungen von Patienten. Maas: "Die schmerzhafte Situation geht zum großen Teil auf unser Konto." Trotz aller Kritik an der Bundes-SPD übt sich Maas im Spagat gegenüber Berlin, um einen offenen Bruch zu vermeiden. "Kritische Solidarität", so seine Botschaft, wolle er mit der Bundespartei üben.
Er hofft, "dass Müntefering die Zeichen der Zeit erkannt hat". Die Saar-SPD fordert die Bürgerversicherung, die Ausbildungsplatzabgabe und höhere Steuern auf größere Erbschaften. Maas: "Wir blicken der Entwicklung gespannt entgegen". Lafontaine pflegt eine deutlichere Sprache: Bei den Wahlen dieses Jahres dürfe die Saar-SPD "nicht abgewatscht werden, weil in Berlin so viel Mist gebaut wird".
Auch wegen des spektakulären Prozesses gegen Saarbrückens OB Hoffmann sorgt sich die Landespartei stärker, als nach außen gesagt wird. So etwas ist bundesweit einmalig: Noch nie hat der Rathauschef einer Großstadt trotz Schuldspruchs sein Amt beibehalten, um aus einer gewählten Position heraus in zweiter Instanz für einen Freispruch und für die Rückkehr an seinen Schreibtisch zu kämpfen.
Im Mai 2002 hatte das Amtsgericht den SPD-Politiker zu einer Geldstrafe von 25.000 Euro wegen Untreue verurteilt: Bei der Errichtung von Hoffmanns Privathaus sollen Boden- und Gartenarbeiten im Gesamtwert von 28.000 Euro über das Millionen-Projekt einer städtischen Siedlungsgesellschaft abgerechnet worden sein, deren Aufsichtsratsvorsitzender der OB war. Hoffmann, den das Innenministerium im August 2002 nach dem Richterentscheid suspendierte und dessen Amtsgeschäfte seither ohne Fortune der grüne Stellvertreter Kajo Breuer führt, bestreitet nach wie vor die Vorwürfe. Jedoch wäre der OB bereit, eine Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld gegen Zahlung einer Geldbuße zu akzeptieren - womit er nicht vorbestraft wäre.
Sollte der SPD-Mann tatsächlich seine Rückkehr ins Rathaus erreichen, wäre dies bundesweit eine Sensation: Ein OB kämpft sich in Amt und Würden auch gegen die öffentliche Stimmung durch die rechtlichen Instanzen. Bei der Saar-SPD hofft man freilich vor allem inständig, dass diese unerquickliche Affäre möglichst bald im Wahlkampf aus der Welt geschafft und mit einem Urteil des Landgerichts abgeschlossen wird - so oder so.