Interview mit Terry Davis, dem neu gewählten Generalsekretär des Europarates
Das Parlament: Die EU hat seit dem 1. Mai 25 Mitglieder und erhebt den Anspruch, die Stimme Europas zu sein. Welche Rolle bleibt da noch dem Europarat?
Terry Davis: Der Europarat ist mit heute 45 und nach der Aufnahme Monacos schon sehr bald 46 Mitgliedstaaten weiterhin viel größer als die EU. Er umfasst alle Staaten Europas mit Ausnahme von Weißrussland. Aber es ist nicht eine Frage der Größe, weder zahlenmäßig noch geografisch. Der große Unterschied zwischen beiden Organisationen ist, der Europarat konzentriert sich vor allem auf die Durchsetzung der Menschenrechte und der Demokratie. Ein weiterer Aufgabenbereich liegt in der Kultur. Es gibt keine europäische Kultur oder gar eine westeuropäische, sondern die enorme Vielfalt, und die gilt es zu bewahren.
Als eine ganz wichtige Frage befasst sich der Europarat mit den Problemen den Hunderttausenden von Flüchtlingen, sowohl innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Es liegt im Interesse der Bürger und Steuerzahler Europas, dass sich beide Organisation auf ihre unterschiedlichen Aufgabenbereiche konzentrieren. Ich beschreibe manchmal den Unterschied so: Die EU ist verantwortlich für den Lebensstandard und der Europarat für die Lebensqualität der Bürger.
Das Parlament: Länder, die in die EU wollen, müssen erst das Gütesiegel für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch den Europarat erworben haben. Ist diese Funktion eines Vorzimmers der EU noch nötig?
Terry Davis: Darüber muss die Europäische Union entscheiden. Natürlich bin ich sehr erfreut, wenn die EU der Arbeit des Europarats auf diese Weise würdigt. Aber ich möchte betonen, es ist die Aufgabe des Europarats, wenn der Generalsekretär die Mitgliedstaaten, die der EU beitreten wollen, durch regelmäßige Berichte dabei unterstützt, die Menschenrechte, die Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu stärken. Das ist ja in jedem Fall im Interesse der Bürger.
Das Parlament: Einige Länder, wie beispielsweise Frankreich, möchten dem Europarat die Aufgabe eines Bindegliedes zwischen seinem Mitgliedsland Russland und der EU zuweisen. Halten Sie das für möglich?
Terry Davis: Einige Leute haben in der Tat vorgeschlagen, der Europarat könne ein Ort sein, wo sich Russland und die Ukraine mit der Europäischen Union treffen könnten. Ich halte das nicht für realistisch. Diese beiden Länder haben ihre bilateralen Beziehungen mit der EU. Wenn sie mit ihr sprechen wollen, werden sie nach Brüssel gehen, und nicht nach Straßburg kommen.
Das Parlament: Welches Konzept haben sie, um die Normen des Europarats überall durchzusetzen? War der ER gegenüber einigen Ländern zu großzügig?
Terry Davis: Ja ich höre oft Klagen, besonders von Ländern, die erst vor kurzem dem Europarat beigetreten sind. Sie beklagen, dass von ihnen die Erfüllung von Verpflichtungen erwartet wird, die früher lange Zeit auch von den alten Mitgliedern wie Großbritannien oder Deutschland nicht erwartet wurden. Diese Klagen sind meist übertrieben, aber es liegt manchmal auch ein Kern von Berechtigung in ihnen. Als Generalsekretär habe ich deshalb die Aufgabe sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten fair und gleich behandelt werden, unabhängig von ihrer Größe, ihrer wirtschaftlichen Stärke oder ihrer geografischen Lage.
Das Parlament: Ein schwarzer Fleck auf der Landkarte Europas ist noch immer Weißrussland. Wie kann das geändert werden? Durch mehr Zusammenarbeit oder durch Warten auf die Ära nach Lukaschenko?
Terry Davis: Ich habe mich immer für einen Dialog ausgesprochen. Ich glaube nicht, dass eine Isolierung im Interesse des weißrussischen Volkes liegt. Nur wenn wir miteinander sprechen, können wir den Menschen dort erklären, warum wir solche Standards bei den Menschenrechten haben, und warum die Vorherrschaft des Rechts so wichtig ist. Wir wollen Veränderungen erreichen, auch wenn es lange Zeit zum Umdenken braucht.
Das Parlament: Ein anderer Fall ist Monaco. Macht es wirklich Sinn, Zwergstaaten mit nur begrenzter Souveränität aufzunehmen, nur um die Zahl der Mitgliedstaaten zu vergrößern?
Terry Davis: Die Faszination des Europarats ist es, dass wir sehr große und sehr kleine Länder als Mitglieder haben. Denken Sie nur an Liechtenstein, San Marino und Andorra. Sollen die Menschen dieser Länder ausgeschlossen bleiben? Diese drei kleinen Staaten haben in den zwölf Jahren, in denen ich im Europarat mitarbeite, sehr große Beiträge zu der gemeinsamen Arbeit geleistet.
Das Parlament: Kann das Land überhaupt seinen Verpflichtungen politischer und organisatorischer Art nachkommen?
Terry Davis: Liechtenstein hatte erst kürzlich den Vorsitz im Ministerkomitee unserer Organisation, und ich habe keinerlei Kritik wegen irgendwelcher Mängel gehört. Sie haben die Präsidentschaft sehr gut ausgeübt.
Das Parlament: Wie will der Europarat sein Kernanliegen wahrnehmen, die Menschenrechte zu verteidigen, angesichts der restriktiven Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, insbesondere im Verhältnis zu den USA?
Terry Davis: Es geht darum, ein Gleichgewicht zu finden: auf der einen Seite den Terrorismus effektiv zu bekämpfen und auf der anderen Seite die Menschenrechte zu bewahren. Ich war ein Kritiker der Antwort, die in Großbritannien gefunden wurde. Unser Komitee hat sich dafür ausgesprochen, dass das Vereinigte Königreich ein neues Anti-Terrorismus-Gesetz beschließt, das nicht auf einer Ausnahme von der Europäischen Menschenrechtscharta beruht.
Das Parlament: Es wird ein dritter Europaratsgipfel geplant. Ist das nicht eine Alibiveranstaltung? Ist der Aufwand angesichts der bisher bekannten Beratungsthemen nicht zu hoch?
Terry Davis: Die Botschafter der 45 Staaten hier in Straßburg sind dabei, Vorschläge für den Gipfel auszuarbeiten. Ich bin dafür, dass die Staats- und Regierungschefs sich den Themen Menschenrechte, Sozialpolitik und Kulturpolitik widmen werden. Es besteht ein klarer Unterschied zwischen den Aufgaben der Europäischen Union und dem Europarat sowie auch der OSZE, die ebenfalls eine hohe Anzahl von Mitgliedsländern hat. Manchmal führt die Zusammenarbeit zu Partnerschaft, aber oft gibt es auch Zeitverschwendung durch Doppelarbeit. Das muss geregelt werden. Man darf nicht vergessen, dass es um Steuergelder geht.
Das Parlament: Aber können Sie wirklich sicher sein, dass die "Chefs" überhaupt zum Gipfel kommen?
Terry Davis: Ich glaube, es wird notwendig sein, dass die Staats- und Regierungschefs den Gipfel unterstützen. Ich hoffe sehr, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder und die anderen Regierungsschefs die Gelegenheit nutzen, um dem Europarat größeres Interesse zu widmen als bisher. Es muss möglich sein, vor dem Treffen eine Liste mit den wesentlichen Standards aufzustellen.