Die Musiksender setzen immer mehr auf das Luxus-Leben von Stars und schaffen damit einen neuen Markt
Im Vergleich zu manch anderem gigantischen Anwesen ist das Reich des Briten Robbie Williams noch bescheiden. US-Star Christina Aguilera zum Beispiel hat in ihrem Hollywood-Haus im Wohnzimmer einen Wasserfall und ein Heimkino für 50 Personen. Für Korsett und Höschen gibt sie 350 Dollar aus. Das alles erfährt der Zuschauer in der Viva-Show "It's good to be …". In der Sendung wird das glamouröse und verschwenderische Leben der Promis zelebriert. Geben die Stars diese Informationen nicht freiwillig heraus, werden eben der Architekt oder die Dessous-Boutique-Besitzerin befragt, Klatschreporter kommentieren in der Show den Lebensstil. Noch nie wussten Fans so viel über ihre Stars wie heute.
Dadurch ist der Einfluss auf die Identitätsbildung von Jugendlichen gestiegen, sagt Uwe Sander, Medienpädagoge und Jugendforscher an der Universität Bielefeld. "Früher orientierten sich Jugendliche meist an einer Person aus der Familie oder dem sozialen Nahraum. Heute gibt es eher Patchwork-Identitäten." Jugendliche können sich bei verschiedenen Vorbildern das heraussuchen, was ihnen gefällt: Der Berufswunsch eines Bekannten, der Sprachstil eines Freundes, ein paar eigene Vorstellungen und das Aussehen von Pop-Sängerin Britney Spears oder Rapper Eminem. Eltern sind als Vorbilder weniger prägend als früher.
Wohin der Starkult führen kann, zeigt die Doku-Reihe "I Want A Famous Face", die seit 4. Juli bei MTV läuft: Hier werden junge Menschen begleitet, die sich Schönheitsoperationen unterziehen, etwa die Zwillingsbrüder Matt und Mike, die beide wie Brad Pitt aussehen wollen. So hoffen sie, leichter eine Freundin zu finden. Ganz nebenbei wollen sie noch Schauspieler werden. Die TV-Dokumentation begleitet die 21-jährigen Brüder aus Arizona vor, während und nach ihrer Verwandlung. Zu sehen sind auch blutige OP-Bilder: der Schönheitschirurg stochert an der Nase herum; den Zwillingen werden Implantate in die Wangen und ins Kinn eingesetzt. Danach sieht der Zuschauer ihre aufgequollenen Gesichter. Obwohl der eine noch halb narkotisiert ist, nuschelt er erwartungsvoll: "Ob ich wie Brad Pitt aussehe?"
Nachdem die Wunden verheilt sind und sie ein neues Styling bekommen haben, präsentieren sich die Zwillinge auf einer Party. "Die Jungs sehen jetzt schon gut aus", sagt Monika, für die Mike schwärmt. Doch auch nach der OP hat er keine Chance bei ihr. "Brad Pitt ist eben Brad Pitt." Und sie fügt hinzu: "Nur, weil er sein Äußeres ändert, verändern sich nicht meine Gefühle." Wirklich gelohnt hat sich die OP also nicht, bleibt nur noch die Hoffnung, berühmt zu werden.
Die MTV-Dokumentation beleuchtet das Thema Schönheits-OP durchaus kritisch und betont auch, dass ihre Protagonisten den Weg, unabhängig von der Sendung ohne finanzielle Unterstützung durch MTV gewählt haben. Zwischendrin wird noch Chris gezeigt, bei dem eine Nasenoperation schief gelaufen ist. Dennoch: Am Ende bedient "MTV I Want A Famous Face" den Voyeurismus der Zuschauer.
"Es erschließt sich mir nicht, warum man eine Schönheits-OP machen sollte: die Jungs leiden richtig, denen geht es dreckig", sagt Anke Greifeneder, Head of Program Planing bei MTV Deutschland. Sie wählt vorab die US-Shows aus, die für das deutsche Programm in Frage kommen. "Wir greifen Themen auf, die für Jugendliche wichtig sind. Schönheits-OPs sind in der Zielgruppe durchaus ein Thema, in den USA natürlich mehr als bei uns." Doch Deutschland holt nach, was in den USA bereits als normal gilt: Laut der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) sind mittlerweile ein Viertel aller "Schönheits-Patientinnen" 15 bis 25 Jahre alt. Für Medienpädagoge Uwe Sander ist das eine Folge "unserer Gesellschaft, in der der erste Eindruck zählt". Dass Aussehen immer wichtiger wird, hat auch Axel Dammler, Kommunikationswissenschaftler und Jugendmarktforscher von der Agentur Iconkids & Youth, herausgefunden. Für Bauer Media hat das Forschungsteam die Studie "Bravo Faktor Jugend" durchgeführt. Mehr als 70 Prozent der Befragten (zwischen 12 und 18 Jahren) gehen inzwischen davon aus, dass Aussehen wichtiger ist als Charakter. Welches Styling und welche Musik "in" sind, sehen die Jugendlichen als erstes im Musikfernsehen. "Viva ist Trendfernsehen", sagt Programmdirektor Kauertz. Der deutsche Sender begann 1993 mit folgendem Satz von Heike Makatsch, der auch heute noch gilt: "Wir sind euer Sprachrohr und euer Freund. Ab jetzt bleiben wir immer zusammen." Und so lernen sie von ihren TV-Freunden, wie man zu sein hat - durch die Moderatoren und vor allem durch die Popstars. Ähnlich wie die Jugendlichen selbst müssen auch die Stars ihre eigene Identität erst finden. Wenn sie im Business starten, wird eine öffentliche Person kreiert, die nicht nur gut auszusehen hat, sondern auch ein Image bedienen muss. "Als Star verlierst du deine Identität", sagte der kürzlich verstorbene Schauspieler Marlon Brando.
In der "MTV Cribs"-Wohnungstour irgendwann im Badezimmer angekommen, bleibt Sänger Robbie Williams vor seinem Garderobenspiegel stehen und redet mit seinem Spiegelbild: "Lieben mich die Fans? Hören sie meine Liedtexte? Sehen sie wirklich mich oder nur die Fassade?" Er macht Witze darüber, liebt es, sarkastisch zu sein, und trotzdem weiß der gut informierte MTV- und Viva-Zuschauer, dass der Musiker immer wieder gesteht, sich einsam zu fühlen. Lange Zeit hatte er Drogenprobleme.
Drogen, Zickereien, Exzesse - wenn sie an die Öffentlichkeit kommen, zeigt sich, wie absurd das Promi-Leben sein kann. Und so verwundert es nicht, dass es auch dafür bei Viva eine eigene Show gibt: "101 Most Shocking Moments in Entertainment". Zu den schockierendsten Momenten zählen misslungene Promi-Frisuren ebenso wie Michael Jackson, der in Berlin sein Baby aus dem Hotelfenster baumeln lässt. Alles - und sei es noch so schockierend - ist Unterhaltung.
Bislang handelt es sich bei allen Celebrity-Formaten um US-Shows, die lediglich mit Untertiteln ins deutsche Programm gebracht werden. "Ein deutsches ‚Cribs' würde nicht funktionieren", sagt MTV-Programmplanerin Anke Greifeneder. "Die deutschen Stars lassen sich einfach nicht in die Häuser schauen. Und die Sternchen, die es vielleicht machen würden, wollen wir nicht." Einzige Ausnahme sind bisweilen Millionärinnen, wie Mutter und Tochter Ohoven. Während die Mutter ihr Image als Charitylady pflegt, gibt sich Tochter Chiara besonders extrovertiert in ihrer Neigung zum Glamour: Ihr Hund heißt Gucci, ihr Lebensstil sind High-Heels. Zu der Veränderung ihrer Lippen, die nun an einen Schmollmund erinnern, erklärt sie vor laufender Kamera, dass es vielleicht an der Haartönung liege. Da komme alles ein bisschen mehr zur Geltung. Aber die Damen Ohoven sind in Deutschland Ausnahmen. Echte Stars dosieren - so wie die Sportler Oliver Kahn und Boris Becker: Bei ihnen gehört ein bisschen Glanz dazu. Manchmal.
"Anders als die Amerikaner haben wir Deutschen ein zwiespältiges Verhältnis zu Luxus", sagt Kommunikationswissenschaftler Axel Dammler. "Wer über Reichtum verfügt, muss sich rechtfertigen, woher er das Geld hat." Ein deutscher Promi hat bescheiden zu sein. Deutsche Showstars betonen gerne, dass sie dank ihrer Familie auf dem Boden geblieben sind. So kann sich jeder Fan mit ihnen identifizieren.
Genau mit diesem Image spielt eine andere Viva-Show: "Deutschland gilt gemeinhin als Land der Neider", heißt es in der Werbung, und die Macher titeln entsprechend konfrontativ: "Nie war Sozialneid unterhaltsamer." Dass die Jugendlichen ernsthaft neidisch sind, glaubt Stefan Kauertz, Programmdirektor von Viva, aber nicht. "Der Unterhaltungsaspekt steht ganz klar im Vordergrund." Schließlich ginge es um Superstars, die mit der alltäglichen Welt der Zuschauer nichts gemein hätten. Auch Medienpädagoge und Jugendforscher Uwe Sander, glaubt, dass Stars wie Christina Aguilera für die Jugendlichen eher Fabelwesen sind. "Irgendwann sind die Millionen nicht mehr fassbar", sagt der Professor von der Universität Bielefeld. "Der Neidfaktor setzt eher ein, wenn der Nachbar gut aussieht, oder der Bekannte eine Lehrstelle bekommt, man selbst aber arbeitslos ist." Doch wer gibt schon gerne zu, dass er neidisch ist?