Interview mit dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Das Parlament: Herr Professor Winnacker, reichen die Aufwendungen der deutschen Wirtschaft für die Forschung aus?
Ernst-Ludwig Winnacker: Betrachtet man die aktuellen Zahlen, zeigt sich, dass in Deutschland die Industrie rund zwei Drittel der Gesamtaufwendungen für Forschung und Entwicklung übernimmt. Damit liegt die deutsche Wirtschaft deutlich über dem EU-Durchschnitt mit 56,1 Prozent (bezogen auf die alten 15 Mitgliedsstaaten), hinkt aber Schweden und Finnland hinterher.
Das Parlament: Wie sieht es im Vergleich zu den USA aus?
Ernst-Ludwig Winnacker: Wir liegen etwa gleichauf mit den USA. Angesichts allgemein knapper Kassen ist es wichtig, dass die Industrie ins Boot geholt wird und ihren Beitrag zur Forschung und Entwicklung leistet. Wünschenswert ist eine Steigerung der Investitionen in Forschung und Entwicklung in jedem Fall, aber es ist nicht nur eine Frage des Ob, sondern auch des Wie, wenn man im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben möchte.
Das Parlament: Sind Sie mit der Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Wirtschaft zufrieden?
Ernst-Ludwig Winnacker: Die DFG fördert satzungsgemäß die Grundlagenforschung und beschränkt sich auf den vorwettbewerblichen Bereich. 2003 wurden mit den Transferbereichen 19 sehr fruchtbare, über alle Wissenschaftsbereiche verteilte Projekte beziehungsweise Projektgruppen zur Verzahnung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gefördert.
Das Parlament: Also keine Wünsche mehr?
Ernst-Ludwig Winnacker: Sicher gibt es in diesem Bereich noch viel zu tun - auch seitens der DFG. Immer wieder fungiert die DFG durch eine so genannte Technologiebörse als Moderator zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Sie bietet Wissenschaftlern die Möglichkeit zur kostenlosen Publikation einer neuen Erfindung, detaillierter Darstellung der Technologie sowie persönlicher Unterstützung und Betreuung bei der Suche nach Kontakten im Umfeld von Produktion und Vertrieb.
Das Parlament: Sind Ihnen Versuche seitens der Wirtschaft bekannt, durch finanzielle Mittel Forschungsergebnisse in ihrem Sinn zu beeinflussen?
Ernst-Ludwig Winnacker: Sicher sind Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft vielfach Gratwanderungen. Dennoch kann bei selbstbewussten Partnern, die jeweils ihre Rechte einfordern, eine Verbindung der jeweiligen Stärken von Wissenschaft und Wirtschaft für beide Partner Gewinn bringend sein.
Das Parlament: Immer wieder fordert die Politik von der Forschung, dass sie ihre Ergebnisse schneller in Produkte umsetzt. Ist das eine berechtigte oder eine gefährliche Forderung?
Ernst-Ludwig Winnacker: Nicht immer kann man dieses Problem unter dem Aspekt gefährlich/ungefährlich betrachten. Natürlich ist es gefährlich, kurzfristige Perspektiven von der Grundlagenforschung zu verlangen. Meist kommen die Durchbrüche von völlig anderer Seite als erwartet. Dennoch sollen Wissenschaftler potenzielle Anwendungen nicht aus dem Auge verlieren. Und diejenigen, in deren Umgebung Wissenschaftler arbeiten, sollten diese Ausrichtung nicht auch noch erschweren. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es fehlt uns im europäischen Patentwesen immer noch eine Neuheitsschonfrist.
Das Parlament: Es wird gern gesehen, wenn sich junge Forscher selbständig machen und ihre Forschungsergebnisse eigenständig in Produkte umsetzen ...
Ernst-Ludwig Winnacker: ... Gründungen von Akademikern machten gegen Ende der 90er-Jahre insgesamt über 60 Prozent der Neugründungen aus. Die größte Zahl der Spinn-off-Gründer - ebenso wie Gründer der akademischen Start-ups - waren Hochschulabsolventen. Bei Verwertungs-Spinn-offs lag ihr Anteil bei knapp 50 Prozent. Sicher sind solche Zahlen nur Momentaufnahmen.
Das Parlament: Aber sie machen Mut, oder?
Ernst-Ludwig Winnacker: Neugründungen sind auch immer von der Konjunktur und damit der Bereitschaft der Geldgeber abhängig, Kapital zu stellen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, brauchen wir risikobereite Wissenschaftler mit Ideen zur Unternehmensgründung ebenso wie Forscher, die in der Grundlagenforschung Großes leisten - eine Frage der Balance.
Das Parlament: Haben Sie einen Überblick, ob sich junge Forschungsunternehmen besser auf dem Markt behaupten als andere Neugründungen?
Ernst-Ludwig Winnacker: Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, aus den Erfahrungen der letzten Jahre Neugründungen skeptisch zu betrachten. Viele sind untergegangen, wenige haben eine Nische in einem Konzern gefunden. In den forschungsintensiven Wirtschaftszweigen hat sich die Wissenschaftsorientierung der jungen Unternehmen als der wichtigste Erfolgsfaktor erwiesen: Unternehmen, die selbst Forschung und Entwicklung betreiben und die über formelle Kontakte die Wissenschaft als Kooperationspartner nutzen, sind rascher gewachsen und hatten eine höhere Produktivität.
Das Parlament: Einige Universitäten bieten inzwischen Wirtschafts- und Managementkurse für Wissenschaftler an, die eine Firma gründen wollen. Ist das ein Erfolg versprechender Weg?
Ernst-Ludwig Winnacker: Es gibt viele spannende Initiativen, Wissenschaftler zu motivieren, ihr eigenes Unternehmen zu gründen: Business-Plan-Wettbewerbe, Transferpreise, universitäre Vorbereitungskurse und Coachings, Gesprächsplattformen. Das alles bringt Bewegung ins System - über den Erfolg entscheiden aber vielfältige Faktoren, wie etwa die Tragfähigkeit der Idee oder der rechte Zeitpunkt für die eigentliche Gründung. Das Interview führte K. Rüdiger Durth.