Politische Satire gibt es noch. Aber Kabarettisten haben von den Politikern Konkurrenz bekommen
Davon können die Kabarettisten von heute nur noch träumen. Zwar findet politische Satire im deutschen Fernsehen noch statt - wöchentlich bei "extra 3" und einmal im Monat auf verschiedenen Dritten Programmen, zum Beispiel im WDR mit den "Mitternachtsspitzen", - doch für Skandale sorgen sie schon lange nicht mehr. Das deutsche Kabarett ist mit Dieter Hildebrandt älter geworden. Der 77-Jährige hat sich vergangenes Jahr nach 23 Jahren vom "Scheibenwischer" verabschiedet, heute führen unter anderem Bruno Jonas und Mathias Richling die Sendung weiter.
Die Kabarettisten haben Konkurrenz bekommen: durch die Politiker selbst. "Das, was Politiker heute manchmal abliefern, ist Realsatire. Das hätte sich auch Dieter Hildebrandt nicht ausdenken können", sagt Dieter Wiedemann, Medienwissenschaftler von der Hochschule für Film- und Fernsehen "Konrad Wolf". Sei es Scharping, der sich für die "Bunte" mit seiner Freundin im Pool vergnügt; Guido Westerwelle, der ins "Big Brother"-Haus geht. Oder, nicht zu vergessen Friedrich Merz, der stolz verkündet, dass er mal ein Mofa-Rowdy war.
Die Politiker werden alberner, sie inszenieren sich anders als noch in den 60er-Jahren. Früher war Politik bitterernst, die Demokratie noch jung und musste verteidigt werden - die Kabarettisten sahen das als ihre Aufgabe an, waren das politische Gewissen der Nation. Inzwischen ist die Demokratie etabliert, der erhobene Zeigefinger out. Die Kabarettisten von heute passen sich der neuen Politikergeneration an, achten mehr aufs Äußere. Das Lieblingsopfer ist derzeit Angela Merkel: Mit der Frisur sind sie durch, nun bieten die hängenden Mundwinkel eine ideale Vorlage. "Jetzt weiß man wenigstens, wofür sie ihre Strapse verwendet", kommentiert etwa Kabarettist Richling.
Was hat das noch mit politischer Satire zu tun? Sollte es da nicht eigentlich um die Politik der CDU-Chefin gehen? Sollten nicht Missstände ironisch aufgedeckt werden? Medienwissenschaftler Wiedemann findet, dass der "Scheibenwischer" sich verändert hat - und es heute teilweise geschmackloser zugeht. Mathias Richling ist immer noch ein Kabarettist, macht durchaus gute und bitterböse Witze über die Politik selbst, aber er bedient sich auch der Comedy-Mittel. In der Comedy ist alles ein Thema: Hauptsache, es gibt eine Pointe.
Der Comedyboom bei den Privatsendern ist eine weitere Konkurrenz zur politischen Satire. Und es gibt Kabarettisten, die dort ihre Zukunft sehen: Jochen Busse zum Beispiel. Er ging als einer der ersten zu den Privaten. Ausgerechnet der Mann, der in den 80er- Jahren Ensemble-Mitglied der "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" war und durch etliche Städte und Dörfer tourte. In Zeiten, als es noch zum guten Ton gehörte, in eine Kabarett-Vorstellung zu gehen und sich regelmäßig "Scheibenwischer" anzusehen.
Genau dieser Mann präsentiert seit 1996 bei RTL die Sendung "7 Tage, 7 Köpfe". Gemeinsam mit Rudi Carrell baute er den "witzigen Wochenrückblick" auf, der auch durchaus politische Themen aufgreifen sollte. 250 Sendungen später ist Jochen Busse ein kauziger, alter Mann geworden, und seine Crew - zu der Mike Krüger, Gaby Köster und Bernd Stelter zählen - liefert Woche für Woche Pointen aus der Schenkelklopferwitze-Fraktion. Stelter liest Witze vom Blatt ab, Köster plustert sich ein paar Mal auf, und Mike Krüger wird irgendwann auf seine Nase angesprochen.
Mit politischer Satire hat das nichts zu tun, soll es aber auch nicht. Comedy hat ihre eigene Sprache. Und genau mit dieser Sprache entdeckt die Branche mittlerweile politische Themen: etwa Stefan Raab in seiner Sendung "TV total" (Pro7). Als die NPD und DVU bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg so erfolgreich waren, fragte sich Raab, ob es nicht langsam wieder Zeit für einen antifaschistischen Schutzwall sei.
"Comedy wird politischer", bestätigt auch Comedy-Experte Thomas Hermanns. Seit Jahren fördert der Moderator und Chef des "Quatsch Comedy Club" den humoristischen Nachwuchs. Bei Michael Mittermeiers aktuellem Programm "Paranoid" führte er Regie. Darin macht der Comedian etliche Witze über Edmund Stoiber, Roland Koch und natürlich Angela Merkel. "Mittermeier geht dabei aber anders heran als ein Kabarettist", sagt Thomas Hermanns.
Der Comedy-Experte beschreibt den Unterschied so: "Der Kabarettist sagt ?Was der Herr Schröder (und alle Politiker) da in Berlin so tun...'. Mittermeiers Herangehensweise an Gerhard Schröder aber ist eher die eines enttäuschten Kindes der 70er und 80er." In Witzen ausgedrückt klingt das wie folgt: Mittermeier beschwert sich, dass die SPD das Land so regiert, wie "unsere Eltern uns immer gewarnt haben". Die sagten damals: "Die Roten können nicht mit Geld umgehen, die Roten werden das Land ruinieren." Mittermeiers enttäuschte Reaktion darauf ist: "Und ich bin schon deshalb sauer auf den Schröder, weil ich nicht mehr weiß, was ich zu meinem Vater sagen soll."
Comedy und Kabarett nähern sich an. Den Weg dafür bereitete Harald Schmidt mit seiner Late Night Show. Schmidt, der bei Lore Lorentz im Düsseldorfer "Kom(m)ödchen" mehrere Jahre als Kabarettist auf der Bühne stand, sorgte für Aufsehen, weil er in der "Harald Schmidt Show" (Sat1) Polenwitze erzählte. Kritiker waren entrüstet, wie man ein Volk so denunzieren könne, Schmidt störte das nicht. Provokation und Tabubrüche waren und sind sein Stilmittel, so wie es die politische Satire schon immer gemacht hat.
Trotzdem wurden Harald Schmidts Pointen mit der Zeit niveauvoller. Er war in seiner Show ironisch, sarkastisch und hatte die Souveränität, so vor die Kameras zu treten als verstehe er die Welt, als wisse er auf alles eine Antwort. Dadurch übernahm die "Harald Schmidt Show" eine ähnliche Funktion, wie in den 60er und 70er-Jahren die Kabarettprogramme. Der Entertainer macht derzeit eine "kreative Pause", doch ab 23. Dezember kommt er zurück, mit einer neuen Late Night Show in der ARD.
Was also ist eine gute politische Satire? "Gute Satire entsteht im Kopf der Zuschauer", sagt Dieter Wiedemann. Transportiert wird sie durch Schmidts zynische Anmerkungen, Hildebrandts Stilmittel der unvollendeten Sätze oder in den 90er-Jahren durch die geballte Ladung an Pointen in Friedrich Küppersbuschs Moderationen für "ZAK". Für den Zuschauer war es stets eine Herausforderung, so viele Spitzen und Pointen wie möglich zu erfassen. "ZAK" gibt es nicht mehr.
Geblieben ist "extra 3" - das Satiremagazin des NDR. "Extra 3" ist seit über 28 Jahren auf Sendung, nur wenig älter ist der derzeitige Moderator Thomas Pommer. Der 31-Jährige arbeitet - ganz im Stil von Küppersbusch - in seinen Moderationen mit etlichen Wortspielen. So redet er vom "gehessischen Deutschen Roland Koch" oder von "Saarlands Peter und der böse Wulff aus Niedersachsen". In einer anderen Sendung stellt er fest: "Es gibt Hitlers Helfer, Hitlers Frauen - langsam werden die Themen aber Knopp". Um den Witz zu verstehen, muss der Zuschauer Guido Knopp, den Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, kennen. "Politische Satire setzt eben politisches Wissen voraus", sagt Thomas Pommer. Das haben nicht mehr so viele. Es sind vor allem die Über-50-Jährigen, die sich politische Satire im Fernsehen ansehen.
Auch wenn bei Formaten wie "extra 3" Vorwissen verlangt wird, so sollte ein tiefsinniger Witz nicht weniger komisch sein, sagt Thomas Pommer. Politische Satire dürfe nicht arrogant und überheblich daherkommen. "Trotzdem muss ein politischer Witz auch eine zweite Ebene haben", sagt er. Das sei der Unterschied zur Comedy, wo es nur eine Ebene gibt: etwa, wenn sich jemand über Angela Merkels Frisur lustig macht.
Dass die Genres Kabarett und Comedy verschwimmen, konnte man auch beim diesjährigen Deutschen Fernsehpreis sehen. Da war "Scheibenwischer" in der Kategorie "Best Comedy" nominiert. Gewonnen hat schließlich "Dittsche - Das wirklich wahre Leben", eine WDR-Sendung, in der Comedian Olli Dittrich in die Rolle des arbeitslosen Hamburgers Dittsche schlüpft. Der plaudert im Pyjama und bei mehreren Bier am Tresen, wie er die Sache mit Hartz IV und Karstadt sieht. Dittsche ist der Prototyp des kleinen Mannes, der auf seine eigene, skurrile und manchmal traurige Art aktuelle Themen reflektiert. Die Gespräche sind improvisiert, es gibt kein Drehbuch und gesendet wird jede Woche live aus einer Hamburger Imbissbude. Vielleicht ist das die neue Form des deutschen Kabaretts.