Baden-Württemberg: Viele Schulen und Kommunen sind verärgert über die Bildungspolitik
Annette Schavan ist stets um Seriosität und souveräne Gelassenheit bemüht. Rhetorisch pflegt sie mit dem geschliffenen Florett und nicht mit dem schweren Säbel zu fechten. Zuweilen wird die Stuttgarter Kultusministerin aber auch deutlicher: Als "unsinnig, falsch und böswillig" konterte die CDU-Politikerin empört vom "Focus" erhobene Vorwürfe, wonach Baden-Württemberg das "Sorgenkind" bei der Umsetzung des milliardenschweren Ganztagsschulprogramms der Bundesregierung sei.
Im Berliner Bildungsministerium moniere man, so das Magazin, dass in Baden und Schwaben bei der Auswahl der vom Geldregen begünstigten Schulen pädagogische Konzepte nicht im Vordergrund gestanden hätten. Die dünnhäutige Reaktion Schavans auf einen einzelnen Medienbericht kommt nicht von ungefähr, trifft dieser Streit doch einen wunden Punkt der Bildungspolitik im Südwesten: Bei der Ganztagsbetreuung an Schulen nimmt das "Musterländle" republikweit nicht gerade einen vorderen Rang ein.
Bei der Verteilung der Bundesmittel gingen 349 Schulen zwischen Bodensee und Odenwald leer aus, weil der Baden-Württemberg zustehende Finanztopf bereits ausgeschöpft ist. Er gebe "offen zu", sagt Günther Oettinger, den Bedarf unterschätzt zu haben. Der neue Ministerpräsident wird jetzt schon in seinen ersten 100 Tagen von einem handfesten Konflikt heimgesucht: Viele Kommunen, der Städtetag, die Opposition, Lehrerverbände und selbst CDU-Politiker fordern eine Aufstockung des Programms mit Landesgeldern - und dies bei einem ausgemergelten Etat.
Rund vier Milliarden Euro stellt die Bundesregierung zwischen 2003 und 2007 den Ländern im Rahmen des "Investitionsprogramms Zukunft, Bildung und Betreuung" (IZBB) zur Verfügung, um den Ganztagsunterricht auszubauen. Bei den einzelnen Projekten vor Ort zahlt Berlin 90 Prozent der Kosten, zehn Prozent müssen die jeweiligen Städte und Gemeinden übernehmen. 528 Millionen Euro entfallen auf Baden-Württemberg.
Die CDU-Ministerin hat sich immer vehement gegen die Einmischung des Bundes in Bildungsfragen als einer Domäne der Länder gewehrt. So entschied man sich in Stuttgart bei der Verteilung der Gelder für das eher formale "Windhundverfahren": Die Schulen bekamen Geld in der Reihenfolge ihrer Anträge. 565 Schulen bekamen bisher den Zuschlag. Allerdings wollten in diesem Jahr weitere 349 Bildungseinrichtungen einen Ganztagsbetrieb aufnehmen; sie hatten dafür oft viel Aufwand in pädagogische Konzepte investiert. Diese Schulen schauen nun in die Röhre. So ist es kein Wunder, dass man in vielen Rektoraten und auch in zahlreichen Rathäusern sauer ist.
Das Hauptproblem sind nicht die Zuteilungskriterien; es ist einfach nicht genügend Geld da. Mehrere hundert Millionen Euro wären zusätzlich nötig, um auch die leer ausgegangenen 349 Schulen in dieses Modell einzubeziehen. In dieser Situation wird die Erinnerung wach an den Konkurrenzkampf zwischen Oettinger und Schavan um die Teufel-Nachfolge: Dabei hatte Oettinger in erster Linie mit seiner Wirtschaftspolitik, aber auch mit der Zusage gepunktet, den Ganztagsunterricht zu verstärken.
So bleibt es nicht aus, dass sich der baden-württembergische Städtetag für eine Aufstockung der Landesmitteln stark macht: Dies sei "dringend notwendig", sagt Präsident Ivo Gönner, OB in Ulm. Der Kommunalverband der Südwest-CDU bläst ebenfalls in dieses Horn und plädiert für ein eigenes Landesprogramm.
Natürlich lässt sich auch die Opposition die Chance nicht entgehen, Oettinger in die Enge zu treiben. Die SPD verlangt eine mit 400 Millionen Euro ausgestattete Initiative, die je zur Hälfte von der Landesregierung und von den Kommunen aufgebracht werden sollen. Die SPD-Vorsitzende Ute Vogt wirft Schavan "Politikverweigerung" vor, wenn sie lediglich auf den leeren Fördertopf des Bundes verweise. Die Grünen mahnen ein 100-Millionen-Landesprogramm an.
Doch weder die Kultusministerin noch der Regierungschef zeigen sich bislang bereit, solchen Forderungen nachzukommen. Oetinger und Schavan verweisen gleichermaßen auf die Finanzlage. In der Tat ist der Haushalt auch im reichen Baden-Württemberg dramatisch überschuldet, auf insgesamt 40 Milliarden Euro belaufen sich die Kredite. Allein in diesem Jahr sollen wegen magerer Steuereinnahmen 100 Millionen Euro zusätzlich eingespart werden. Immerhin erhält Sozialminister Andreas Renner weitere 1,6 Millionen, um die Betreuung von Kleinkindern unter drei Jahren in Krippen oder durch Tagesmütter auszuweiten. Aber für Ganztagsschulen wollen Oettinger, Schavan und Finanzminister Gerhard Stratthaus bisher nicht mehr zahlen.
Die missliche Finanzlage war Oettinger natürlich bekannt, als er beim Kampf um den Einzug in die Villa Reitzenstein seine Versprechungen für mehr Ganztagsunterricht machte. Die Geister, die er rief, dürfte er so schnell nicht loswerden. Immerhin hat der Ministerpräsident Gespräche mit den Kommunalverbänden angekündigt, falls die Bundesregierung ihrerseits die IZBB-Mittel angesichts der enormen Nachfrage nicht noch erhöhen sollte.