"Live 8" in Berlin und auf der weltweit: Die Hoffnung, mehr als ein Zeichen setzen zu können
Neun Konzerte auf drei Kontinenten mit über 150 berühmten Rockstars spielten und begeis-terten am 2. Juli zwei Millionen Zuhörer weltweit. Alle Musiker spielten ohne Gage, der Eintritt war frei. Auf den Bühnen in London, Cornwall, Paris, Rom, Moskau, Philadelphia, Johannesburg, Tokio und dem kanadischen Barrie standen die bekanntesten Musiker der Welt: Madonna, U2, Robbie Williams, Paul McCartney, Björk und viele andere. In Berlin traten neben internationalen Stars wie Chris de Burgh, Roxy Music oder Green Day viele deutsche Stars auf: Die Toten Hosen, Söhne Mannheims, BAP, Wir sind Helden, Juli, Silbermond, Herbert Grönemeyer. Sie begeisterten die rund 200.000 Zuschauer elf Stunden lang.
"Live 8" ist eine riesengroße PR-Aktion und soll die Führer der Industrienationen dazu bewegen, die Entwicklungshilfe für die armen Länder massiv zu erhöhen und deren Schulden zu erlassen. Die Konzertreihe gilt ihnen: "Die acht von Live 8 sind nicht etwa acht Musiker oder Bands, sondern Sie - die acht G-8-Führer", hieß es in einer Zeitungsanzeige von Bob Geldof. Auf dem Festival wurden Unterschriften für eine Petition gesammelt, und am Tag darauf fuhren gesponserte Busse zum Gipfeltreffen ins schottische Edinburgh, um den politischen Wilen zu unterstreichen.
Aber am Abend der Konzerte stand zunächst der Spaß an erster Stelle. Nachdem Die Toten Hosen in Berlin als erste Band auf die Bühne gestiegen waren, ruft ihr Sänger Campino: "Dies ist kein Rockkonzert, sondern eine Demonstration." Die Menge schreit begeistert auf. Die Fans in den vorderen Reihen tanzen und schwenken ekstatisch Fahnen mit Totenköpfen hin und her. Dann singt Campino: "Ich glaube, dass die Welt sich nochmal ändern wird, und dann Gut über Böse siegt." Viele heben ihre Arme und wiegen sie zum Takt der Musik.
Ob ein Konzert ein Umdenken der Politik bewirken kann, darüber sind die Ansichten im meist jungen Publikum geteilt. In den hinteren Reihen - die Bühne ist von hier aus nur noch so groß wie ein Schuhkarton - mosert die 30-jährige Julia über die vielen "unpolitischen Papas und Mamas", die angeblich hier sind. "Das ist wie früher bei der Love Parade", kritisiert sie. "Da wurde ja auch immer gesagt, das ist eine Demonstration. Und wie hieß das Motto? ,Friede, Freude, Eierkuchen'." Sie glaubt, dass die vielen Zuschauer nur wegen der Bands gekommen sind. "Afrika ist denen doch scheißegal."
Der 23-jährige Jens sieht das zwar ähnlich. Trotzdem ist der Politikstudent der Meinung, "Live 8" hätte schon im Vorfeld viel bewegt. "Plötzlich waren die Zeitungen voll mit dem Thema Entwicklungshilfe", sagt er. "Das ist doch auch schon eine Wirkung."
Das Presseecho war allerdings geteilt. Live-8-Organisator Bob Geldof musste viel Kritik einstecken. 1985 hatte der ehemalige Rockmusiker unter dem Namen "Live Aid" zwei riesige Benefizkonzerte mit berühmten Bands in Philadelphia und Wembley bei London organisiert. Die Konzerte hatten Eintritt gekostet, und der Gewinn sollte an Hungernde in Äthiopien, Eritrea und im Sudan fließen. Das Geld sei niemals bei den Notleidenden angekommen, war der breite Tenor in der interantionalen Presse. Vielmehr hätten sich korrupte Clanchefs von den Hilfsgeldern Waffen und Luxusgüter gekauft.
Die Kritik war ein Grund, warum Geldof dieses Mal auf das Spendensammeln verzichtete. "Live 8 is not asking for your money, but your voice", heißt es jetzt. Wichtiger als zu spenden sei es, das Bewusstsein für die Armut der Dritten Welt zu wecken und politischen Druck auf die Mächtigen der Welt auszuüben.
Der Politikstudent Jens findet das richtig. Er hat sich mit Entwicklungspolitik beschäftigt und überlegt, selbst später in dem Bereich zu arbeiten. "Man muss sehr genau darauf achten, an wen das Geld fließt", sagt er. Statt Entwicklungshilfe sollte man lieber die Handelsabkommen ändern, die "künstliche Barrieren" für die Exporte aus armen Ländern bildeten. Ein echter Realpolitiker. Ob er zum Demonstrieren nach Edinburgh fahre? Jens schüttelt mit dem Kopf. So weit geht das Engagement dann doch nicht.
Auf Großleinwänden neben der Bühne wird zu den anderen Konzerten geschaltet. Aus London wird Madonna eingeblendet. Als klar wird, welche Massen von Menschen sich zur gleichen Zeit zum selben Thema vor den Bühnen in aller Welt versammeln, geht ein Raunen durch das Publikum. Es ist ein Gefühl, als wäre man tatsächlich Teil einer weltumspannenden Bewegung. Für einen kurzen Moment hat "Live 8" die Menschen für Afrika in seinen Bann gezogen.