Rekordverdächtige Sitzung im Bundesrat
Was bitte, so fragt sich der Beobachter, hat den Bundesratsmitgliedern denn derart den Debattiermut genommen? Zugegeben - es gab schon Tagesordnungen mit brisanteren Themen. Weder die Neuregelung der Fleischhygiene-Verordnung, noch die Entschließung zur Europäischen Forststrategie ließen emotionale Redebeiträge erwarten. Doch die tatsächlichen Gründe liegen wohl eher im speziellen Zeitpunkt der Sitzung begründet. Nicht ganz eine Woche nach der fast unentschieden ausgegangenen Bundestagswahl war die allgemeine Verunsicherung im Lande auch auf dem Bundesratsparkett zu spüren. Wie geht es weiter? Wer bildet die zukünftige Bundesregierung? Große Koalition oder kleine Minderheitsregierung, farbenfrohe Ampeln oder Neuwahlen? Alles scheint möglich. Es wird weiterhin sondiert!
Im Sitzungssaal und auf den Gängen im ehemaligen Herrenhaus des Preußischen Landtages herrschte denn auch eine gespannte Atmosphäre. Wer redet mit wem und worüber? Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) bittet den Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aus dem Saal hinaus. Erst ernste Mienen, dann ein Scherz - haben die beiden gerade die Große Koalition vereinbart?
Im Bundesratsplenum trat derweil Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ans Rednerpult der Länderkammer. Er erteilte der Schaffung einer neuen EU-Grundrechteagentur eine Absage. Der Aufbau einer neuen Bürokratie sei nicht sinnvoll, sondern nur teuer. Sein Land trete aus fester Überzeugung und mit großem Engagement für den Schutz der Grundrechte ein. Dafür brauche es jedoch keine neuen Agenturen. Es gäbe einen hinreichenden Vorsorgeschutz. "Was genug ist, ist genug", stellte Koch fest.
Mit Bundesaußenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) ließ sich dann zumindest kurzzeitig einer auf der Regierungsbank nieder, der wohl definitiv nicht mehr im Führungsteam der nächsten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages dabei sein wird. So dürfte dies sein letzter Besuch in jenem Haus gewesen sein, in dem er in den vergangenen sieben Jahren mehrfach engagiert für die EU-Erweiterung und die Europäische Verfassung geworben hat. Gefehlt hingegen hat sein Parteikollege, der noch amtierende Umweltminister Jürgen Trittin. Noch vor wenigen Monaten hätte dieser sicherlich dem Vorschlag des sächsischen Umweltministers Stanislaw Tillich (CDU), den Waldzustandsbericht künftig nur noch im dreijährigen Turnus zu erstellen, energisch widersprochen. Aus der Sicht des sächsischen Umweltministers ist die bisher vorgeschriebene jährliche Erstellung eines Waldzustandsberichtes "weder sinnvoll, noch zeitgerecht". "Der Zustand der Wälder ändert sich durch Handeln, nicht durch dauerndes Berichteschreiben", so Tillich. Mit der Abkehr vom jährlichen Berichtszeitraum würde sich der Erkenntnis- und Informationsverlust im tolerierbaren Bereich halten. Jedoch könne eine deutliche Entlastung der Verwaltungen erreicht werden, sagte er und bat die Bundesländer um Unterstützung für sein Anliegen.
Auf der Regierungsbank Platz genommen hatte ebenfalls Bundesjustizministerin, Brigitte Zypries (SPD). Sie warb noch einmal für das von der Bundesregierung vorgelegte Anti-Stalking Gesetz. Wer anderen Menschen nachstellt, sie permanent per Telefon belästigt oder gar mit Gewalt bedroht, muss demnach mit Gefängnisstrafen bis zu drei Jahren rechnen. Die Länderkammer wollte sich dem nicht anschließen. Ihr gehen die Regelungen nicht weit genug. Das Gesetz müsse gewährleisten, so Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU), dass besonders gefährliche Täter vorbeugend auch in Haft genommen werden dürften.
Zustimmung erfuhr Zypries hingegen bei ihren Plänen zur Absicherung der Altersvorsorge selbständiger Unternehmer. Der Pfändungsschutz für Lebensversicherungen, die einen wesentlichen Bestandteil der Altersvorsorge bilden, würde damit deutlich verbessert, sagte die Ministerin. "Versicherungen von Selbstständigen werden zukünftig genauso geschützt wie etwa die Rente oder Pensionen bei abhängig Beschäftigten", äußerte sie sich zufrieden. Ob Brigitte Zypries indes auch in naher Zukunft als Justizministerin fungieren wird, blieb erwartungsgemäß nach der rekordverdächtig schnellen Sitzung weiter unklar.