Europäische Kommission will Bürokratie abbauen
Es ist nicht das erste Mal, dass die Bürokraten in Brüssel ihre eigene Bürokratie unter Beschuss nehmen. Bereits in der letzten Kommission un-ter dem Italiener Romano Prodi hatten die Kommissarinnen und Kommissare versucht, sich gegen ihren Apparat durchzusetzen - mit gemischten Ergebnissen. Jetzt haben Kommissionspräsident José Manuel Barroso und sein mächtigster Vize, Industriekommissar Günter Verheugen, die Entbürokratisierung zur Chefsache erklärt. Nach der Überprüfung von 183 EU-Rechtsvorschriften hat die Kommission jetzt beschlossen über ein Drittel dieser Gesetzesvorhaben, insgesamt 68, aus dem Verkehr zu ziehen. Bei den allermeisten der Vorlagen, die in den Papierkorb wanderten, handelt es sich um Texte, die durch die Entwicklung überholt worden sind, rund die Hälfte davon durch die Erweiterung der EU im vergangenen Jahr.
"Wir wollen Wachstumskräfte in der Wirtschaft freisetzen, die durch zu viele oder zu komplizierte Vorschriften gehemmt sind", sagt Verheugen. Die EU soll das Image des "regulierungswütigen bürokratischen Monsters" verlieren. Die Kommission will damit auch dem Eindruck entgegentreten, die von der Verfassungskrise paralysierte Union sei politisch nicht handlungsfähig. Außerdem brauche der Binnenmarkt auch in Zukunft einen zuverlässigen Rechtsrahmen, so Verheugen.
Der soll allerdings regelmäßig überprüft und notfalls gelichtet werden - in einem dreistufigen Verfahren. Zunächst sollen alle Gesetzesvorhaben nach entbehrlichen Vorschriften durchforstet werden, danach wollen sich die Kommissarinnen und Kommissare die bestehenden Richtlinien und Verordnungen vornehmen, schließlich sollen ihre Beamten bei neuen Texten größere Sorgfalt walten lassen. Vor allem sollen sie sich mehr Gedanken darüber machen, was neue Vorschriften für die Unternehmen bedeuten.
Die jetzt von der Kommission beschlossene Entrümpelungsaktion betrifft nur solche Texte, die dem Ministerrat und dem Parlament bis Ende 2003 zugeleitet und noch nicht beschlossen worden sind.
Nach dem EU-Vertrag kann die Kommission das ihr zustehende Initiativrecht (danach ist alleine sie befugt, Rechtstexte vorzuschlagen) jederzeit ausüben und Texte zurückziehen. Im Europäischen Parlament stößt das überwiegend auf ein positives Echo, politisch fühlen sich manche Abgeordnete allerdings übergangen. Dass man über die Pläne der Kommission aus den Zeitun-gen erfahren habe, verstoße gegen die bestehenden Vereinbarungen zwischen Kommission, Rat und Parlament, beschwerte sich der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Martin Schulz.
Doch auf der linken Seite des Parlaments ist auch Kritik an der Entbürokratisierung zu hören. Dort fürchtet man, dass dem neuen Kurs der Kommission anspruchsvolle Sozialstandards zum Opfer fallen könnten. Konservative und Liberale unterstützen die Kommission dagegen in ihrem Bemühen, die Bürokratie innerhalb der Union anzubauen - jedenfalls im Prinzip. Was Verheugen jetzt vorgelegt habe, sagt Hartmut Nassauer (EVP/DE), könne nur "der Anfang auf dem Weg zum Bürokratieabbau sein". Das hat der Kommissar auch versprochen. Noch im Oktober will er die ersten Rechtsakte benennen, die schon in Kraft sind und gestrichen werden sollen.