Bayern: CSU muss herbe Verluste hinnehmen
Der Ausgang der Bundestagswahl mag vielleicht die deutsche Politik in Berlin lähmen, in der bayerischen Landespolitik sorgt er aber nach Sommerferien und Wahlkampfpause für Schwung und Bewegung. Auswirkungen könnte das vor allem im Bereich Haushalt, Bildung und Soziales haben. Die seit 43 Jahren im Freistaat allein regierende CSU hat nämlich am 18. September zu ihrem Schrecken und zur Freude von SPD und Grünen mit "nur" 49,3 Prozent fast zehn Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl 2002 eingefahren und damit die magische 50-Prozent-Marke verpasst.
Die Ursache dafür wird selbst innerhalb der Partei zu einem Teil in landespolitischen Fehlern und Ungeschicklichkeiten vermutet. In der CSU-Landtagsfraktion wird daneben verstärkt der Regierungsstil von Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber hinterfragt.
Als ernste Belastung im Verhältnis der CSU zu ihrer breiten Wählerschaft in den meisten Gesellschaftsgruppen gilt vor allem der scharf gefahrene Sparkurs, der viele Betroffene - von den Kommunen über die Schulen bis zu sozialen Einrichtungen - in Nöte bringt und negative Stimmung macht. Mit einiger Sorge blicken die Mandatsträger auf das Jahr 2008 mit Landtags- und Kommunalwahlen in Bayern.
Die Opposition wittert Morgenluft und erhofft sich neue Chancen für ihre bisher abgeschmetterten Forderungen nach mehr staatlichen Investitionen vor allem in Schulen, Umwelt und für soziale Belange. Auf Klausuren haben beide Fraktionen entsprechend die Marschrichtung für die kommenden Monate festgelegt.
Die CSU-Fraktion war unterdessen in Anwesenheit von Stoiber voll damit beschäftigt, erst einmal ihr weit hinter den Erwartungen zurückgebliebenes Wahlergebnis zu verdauen. Nach offizieller Lesart ist an dem Einbruch zwar nur das Zweitstimmengeschenk vieler CSU-Wähler an die FDP schuld (sie holte 9,5 Prozent nach 4,5 Prozent 2002), doch die Abgeordneten stoßen bei ihrer Ursachenforschung nicht nur auf Fehler im Wahlkampf - vom Zaudern Stoibers bei der Entscheidung über einen Wechsel nach Berlin bis zur Präsentation von Paul Kirchhoff und das künftige Steuerkonzept. Barbara Stamm, Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags und stellvertretende CSU-Vorsitzende, übte mit als Erste auch Kritik an der Führung in Bayern. Es könne nicht sein, dass einige wenige entscheiden, wie die Strategien sind, und die anderen dann Solidarität zu üben haben, merkte sie nach der Wahl an. Das war auf die Staatskanzlei gemünzt, wo ein enger Zirkel um Stoiber die politischen Fäden am liebsten im Alleingang zieht. Die nach der Verfassung eigenverantwortlichen Ministerien werden an die kurze Leine gelegt, und in der Fraktion kommt immer wieder das Gefühl auf, dass man vorwiegend nur noch zum Abnicken gebraucht wird.
Landtagspräsident Alois Glück, gleichzeitig Vorsitzender des größten CSU-Bezirksverbands Oberbayern und Chef der Grundsatzkommission seiner Partei, mahnt auch inhaltliche Mängel im Wahlkampf an, die sich freilich auf die bayerische Politik übertragen lassen. Stabile Mehrheiten, sagte er wiederholt, könne man auf Dauer nur mit einer Balance von ökonomischer Kompetenz und sozialer Sensibilität erreichen. Dabei stellt Glück nicht die Ziele der CSU-Politik in Frage, sondern hauptsächlich die Art der Vermittlung notwendiger sozialer Härten. Die Menschen müssten spüren, "dass es uns selber wehtut, wenn wir ihnen weh tun müssen", sagte er in einem Interview.
Der Vorsitzende der Landtags-SPD, Franz Maget, sah es auf der Klausur seiner Fraktion in der CSU bereits "gären" ("Stoibers Götterdämmerung hat begonnen"). Hatte seine eigene Partei mit 25,5 Prozent in Bayern noch Stimmen gegenüber 2002 (26,1 Prozent) eingebüßt, blies er gleichwohl zum Angriff. Die CSU sei angreifbar und verwundbar geworden und sie könne auch verlieren, stellte er fest. Konkret will die SPD mit ihren künftigen Initiativen überall dort punkten, wo sich die CSU Ärger bei den Betroffenen eingehandelte. Maget erwähnte besonders die Haushalts- und Sparpolitik, die ungenügend vorbereitete Einführung des G-8-Gymnasiums (SPD: "Eine Billigversion") und bei den Schulkindern die Erhebung von Büchergeld ab 1. Oktober. Der Beginn des neuen Schuljahrs mit Lehrermangel und Unterrichtsausfall sei ein Fehlstart gewesen.
Nicht von ungefähr will die SPD die Bildungspolitik zum besonderen Schwerpunkt machen und mit einem Gesetzentwurf zur Abschaffung des Büchergeldes den ersten Schritt tun. Rückenwind verspricht sie sich von Eltern, Lehrerverbänden und den Kommunen, die entsetzt über den bürokratischen Aufwand sind und gegen die Neuerung bereits lautstark protestiert haben. Auch an der CSU sind diese Erschütterungen nicht spurlos vorbeigegangen, doch will man vor etwaigen Änderungen erst einmal die Erfahrungen auswerten.
Daneben fordert die SPD-Fraktion unter Hinweis auf die einschlägigen Haushaltskürzungen Kurskorrekturen in der Sozial- und Familienpolitik. Insbesondere möchte sie auch Defizite bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgreifen und verstärkte staatliche Anstrengungen bei der Kinderbetreuung erreichen. Dagegen will Maget "Gedankenspiele" nicht ernsthaft verfolgen, den SPD-Landesverband in eine eigene "Sozialdemokratische Partei Bayern" umzuwandeln, entsprechend dem Beispiel von CSU und CDU. Gleichwohl wurmt es den Fraktionschef, dass sein Landesverband einer eigenständigen Partei gegenübersteht, die daraus sämtliche Vorteile wie Auftreten im Fernsehen oder Industriespenden nutze, bei Nachteilen aus der Konstellation aber betone, sie sei mit der CDU zusammen nur eine Kraft.
Soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der Bildung haben auch die Grünen zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht, gleichzeitig treten sie für eine "ökologische Modernisierung" Bayerns an. Als einzige Landtagspartei und als einziger grüner Landesverband im Westen haben sie bei der Bundestagswahl wenigstens leicht hinzugewonnen, von 7,6 Prozent (2002) auf 7,9 Prozent. Jetzt rechnen sie sich aus, dass ihnen im Fall einer Großen Koalition in Berlin in Bayern die SPD nicht mehr das (selbst verliehene) Prädikat "Premium-Opposition" streitig machen kann. Fraktionschef Sepp Dürr bezeichnete Stoiber - "vor zwei Jahren noch gottähnlich" - angesichts des Wahlergebnisses schwer angeschlagen und "orientierungslos wie seine Partei", als hauptverantwortlich für die beklagte soziale Kälte. Auch die Grünen verlangen von eine Kursänderung und fordern die Zurücknahme unsozialer Haushaltskürzungen sowie den Verzicht aufs Büchergeld, daneben zugunsten der Kommunen eine Revitalisierung der Gewerbesteuer und Übernahme der Mehrkosten für das G8 durch den Staat.
Mit-Fraktionschefin Margarete Bause unterstrich die Notwendigkeit einer wirklichen Bildungsreform im Freistaat einschließlich einer an den pädagogischen Bedürfnissen ausgerichteten Lehrerausbildung, die im Gegensatz zur bisherigen auf die Praxis an den Schulen vorbereite. Ein besonderes Anliegen ist den Grünen schließlich, im Entwurf des neuen Landesentwicklungsprogramms die ihrer Meinung nach "eindeutige Dominanz der wirtschaftlichen Interessen" (Bause) zurückzudrängen.
Unterdessen wies CSU-Fraktionschef Joachim Herrmannn den Vorwurf der sozialen Kälte zurück und sprach sich klar gegen einen Kurswechsel aus. Seine Fraktion halte am Ziel des ausgeglichenen Haushalts ohne neue Schulden für 2006 fest, um nicht die kommenden Generationen zu belasten.