Ökologen und Denkmalschützer kämpfen für den Erhalt der Reste von Hitlers Westwall
Von den letzten Häusern am Saarbrücker Stadtrand führt der Weg durch den Wald hinauf zum Halberg. Bräunlichgrau bedecken die Blätter den Boden, nichts Auffälliges ist zu bemerken, nach hundert Metern taucht ein großer Erdhügel auf. Erst genaues Hinsehen offenbart, dass diese Aufschüttung etwas Besonderes ist: Da ist ein Loch, das sich als Schießscharte in einer naturfarben gehaltenen Wand erweist. "Der Tarnputz aus den 30er-Jahren war sehr effektiv", erläutert Jörg Fuhrmeister. "Das war auch ein Witterungsschutz, der über Jahrzehnte zur Erhaltung dieses Bunkers beigetragen hat." Hitlers gigantischer Westwall diente einst den Nazis als militärisch-propagandistischer Coup. Jahrzehntelang in Vergessenheit geraten, hat nun langsam die Natur die Rückeroberung begonnen.
Auf der Rückseite des Hügels öffnet sich eine Eisengittertür, und man taucht in eine Festungswelt der Kriegsvergangenheit ein. "Feind hört mit!", lautet die Warnung neben einem Fernsprecher. Fuhrmeister, ehrenamtlich im Denkmalschutz aktiv, weiß als Fachmann bis ins Detail sämtliche Einrichtungen in den engen Räumen zu erklären: Die Gasschleuse zur Reinigung verseuchter Soldaten, Entgiftungsmittel, ein 28 Meter in die Erde gebohrter Tiefbrunnen zur Wasserversorgung, "die eisernen Essensrationen reichten für fünf Tage", Klappbetten an der Wand für die Besatzung, "der Kommandant hatte ein eigenes Zimmer", eine Belüftungskurbel für Frischluft. Und dann im Mauerwerk zum Schutz vor Beschuss eine dicke schwere Platte, hinter der einst ein Maschinengewehr durch die Scharte nach draußen zielte: "Die hatte ein Gewicht von 18 Tonnen, das gab es sonst nirgends am Westwall." Der Westwall: Das war jenes gigantische Bollwerk, das Hitler vor dem Krieg an der Westgrenze von der Nordsee bis vor die Tore Basels erbauen ließ.
Jörg Fuhrmeister ist Vize-Präsident von "Interfest", eines 1985 in Saarbrücken gegründeten und inzwischen mit Sitz in Berlin international organisierten Verbands. Historische Festungssysteme sind das Faible der 300 Mitglieder aus zwölf Staaten. Die Vereinigung betreut den Bunker am Saarbrücker Halberg, richtet einmal im Jahr einen Tag der Offenen Tür aus und veranstaltet auf Anfrage Führungen. Fuhrmann: "Wir sind keine Militaristen, und schon gar nicht wollen wir Leute aus der rechtsextremen Ecke in unseren Reihen haben." Im Gegenteil: Historiker entdecken den zeitgeschichtlichen Wert der betonierten Festungslinie - auch als Mahnmal für die Kriegstoten.
Die von "Interfest" mit Mitgliedsbeiträgen und Spenden unterhaltene Befestigung gehört zu den wenigen Überbleibseln des gesamten Westwalls, die bislang als Erinnerungsstätten hergerichtet sind. Das dürfte sich künftig ändern: Offizielle Denkmalschützer und passionierte Privathistoriker engagieren sich neuerdings für den Erhalt der Reste der einstigen Festungslinie zwischen Lörrach am Oberrhein und Kleve. Unweit der saarländisch-luxemburgischen Grenze etwa hat jüngst die Stadt Merzig in Kooperation mit einem Geschichtsverein eine größere Anlage restauriert und als Museum gestaltet, das auch den Tourismus fördern soll. Ähnliches plant man in Dillingen.
Erwacht ist das Interesse am Westwall mit dem Widerstand von Denkmalämtern, Öko-Gruppen und Lokalpolitikern gegen das Vorgehen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA), die im Auftrag des Bundesfinanzministeriums seit Ende der 90er-Jahre mehrere hundert Westwall-Überbleibsel aus "Sicherheitserwägungen" zuschüttete, demontierte, abriss oder gar sprengte. Begründung: Man müsse Verletzungsgefahren für Spaziergänger und Kinder beseitigen. Zwischen 2000 und 2004 wurden laut Ministerium rund drei Millionen Euro dafür ausgegeben.
Bei diesem Konflikt - große Aufregung gab es etwa wegen der Zertrümmerung von 17 Anlagen bei Aachen - hat die Historikerfraktion gewichtige Bündnispartner gewonnen: Fledermäuse und Wildkatzen haben sich zuhauf in den alten Bollwerken angesiedelt. Einen Beschützer hat das Kleingetier im Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gefunden: Dessen Regionalverbände in den betroffenen vier Bundesländern haben zur Rettung der Bunker-Biotope das Projekt "Grüner Wall im Westen" gestartet und dabei auch bereits einen ersten Erfolg mit einem vorläufigen Stopp der BIMA-Aktionen in Nordrhein-Westfalen verbucht. Pate steht dabei das "Grüne Band" entlang des Mauerstreifens an der einstigen innerdeutschen Grenze.
Aus Sicht von Paul Kröfges, Vize-Vorsitzender von BUND an Rhein und Ruhr, werden die vom verbliebenen Westwall ausgehenden Risiken "maßlos überschätzt". In den vergangenen Jahrzehnten seien nur wenige Unfälle passiert. Kröfges: "Der Abriss ist eine enorme Steuerverschwendung zu Lasten des Natur- und Denkmalschutzes."
Ohne Waffen wird Jahrzehnte nach dem Krieg noch einmal um den Westwall gekämpft. Zwischen 1936 und 1939 ließ Hitler an der Westgrenze über eine Länge von 630 Kilometern eine gigantische Festungslinie mit 20.000 Bunkern, Panzersperren, Schützengräben, Stollen, Munitionsdepots, Infanterieständen, Sanitätsunterkünften und Artillerieposten installieren. 3,5 Milliarden Reichsmark kostete der Westwall damals, acht Millionen Tonnen Beton und 1,2 Millionen Tonnen Kruppstahl wurden verbaut. Für den Transport von Kies, Stahl und Zement fuhren täglich bis zu 8.000 Güterwaggons durchs Land. 400.000 Arbeiter waren für das Vorhaben im Einsatz.
Mit dem Westwall, von der Nazi-Propaganda martialisch als "Siegfried-Linie" gefeiert und als Abschrecckung für den Feind gedacht, sollte Hitlers Angriffsfeldzug im Osten abgesichert werden. Beim "Blitzkrieg" der Deutschen im Westen war das Bollwerk militärisch von keinem Belang. Nur gegen Kriegsende kam es an einzelnen Stellen zu grauenvollen Gefechten. In den Jahren nach 1945 wurden die meisten Bunker von den Besatzungsmächten gesprengt, die Trümmer blieben meist in der Landschaft zurück und gerieten in Vergessenheit.
Im Laufe der Jahrzehnte mauserten sich die Trümmer oft zu Eldorados für Fauna und Flora. Seltene Pflanzen gedeihen in diesen Nischen, Fledermäuse nisten dort, Wildkatzen ziehen ihren Nachwuchs auf, Insekten summen, Salamander, Dachse, Waldmäuse, Marder und Hasen treiben sich herum. Öko-Gruppen stufen die Westwall-Reste als einzigartiges Bio-Refugium ein, wobei neben den Bunkern auch die für Traktoren und Sensen unzugänglichen Panzersperren ("Höckerlinien") eine wesentliche Rolle spielen.
An der Saar, wo vor dem Krieg ein Viertel aller Westwall-Bauten hochgezogen wurde, will das Landesdenkmalamt rund 500 intakte oder nur leicht beschädigte Anlagen unter Denkmalschutz stellen. In keinem anderen Bundesland wurden derart viele Elemente ganz oder weitgehend erhalten. Für Behördenchefin Ulrike Wendland ist der Westwall, hinter dem ein "fast archaischer Festungsgedanke" gestanden habe, ein "hochrangiges Geschichtszeugnis": Dieses Bollwerk markiere auf dem gesamten Erdball die letzte große kriegerische Festungslinie, so etwas werde es nie wieder geben. Weitaus größer als der militärische Nutzen des Westwalls sei für die Nazis dessen propagandistischer Wert nach innen wie gegenüber den Alliierten gewesen.
Wenn Überbleibsel als Museen gestaltet werden, betont Wendland, müssten sie "auch ein Mahnmal für die Kriegstoten" sein. Dem Eifel-Verein geht es ebenfalls um die Erinnerung an eine unheilvolle Zeit: Die Bunkerreste sollen als "sichtbare Spuren des mörderischen Zweiten Weltkriegs" stehen bleiben, "um künftigen Generationen als Friedens-Mahnmal zu dienen".
In Nordrhein-Westfalen soll jetzt ein umfassendes Konzept für Erhalt und Nutzung des Westwalls erarbeitet werden. Auf Initiative von BUND einigten sich das Düsseldorfer Umweltministerium, die BIMA, mehrere Landkreise sowie das Amt für Bodendenkmalpflege auf ein zweijähriges Abriss-Moratorium. Paul Kröfges: "Wir haben ein erstes Teilziel erreich." Bis 2007 will der BUND mit Hilfe der Stiftung für Umwelt und Entwicklung sein Projekt "Grüner Wall im Westen" konkret unterfüttern. Da geht es um eine exakte Bestandsaufnahme der Biotop-Nischen, um die Errichtung von musealen Erinnerungsstätten, natürlich auch um die Finanzierung dieses Programms. Auf längere Sicht kann sich der BUND einen Westwall-Wanderweg mit "erlebnisorientierter Informationsarbeit" vorstellen. In der Eifel verkündet neben einem alten Bunker eine Info-Tafel schon mal ein sinniges Motto: "Vom Bollwerk zum Biotop."
Im Internet:
www.gruenerwallimwesten.de