Bundestag stimmt Verschiebung des Stichtags zu
Der Bundestag hat am Freitag, dem 11. April 2008, in namentlicher Abstimmung (Namenslisten) entschieden, den Stichtag für die Forschung an embryonalen Stammzellen einmalig auf den 1. Mai 2007 zu verschieben. Insgesamt lagen vier Gesetzentwürfe zur Änderung des Stammzellgesetzes vor.
Die Abgeordneten hatten in ihren Anträgen entweder die
einmalige Verschiebung des geltenden Stichtages im Stammzellgesetz,
die Streichung des Stichtages, seine Beibehaltung oder ein Verbot
der Forschung mit embryonalen Stammzellen gefordert.
Abstimmungsergebnisse
In zweiter und dritter Lesung wurde der Antrag ( 16/7981) der Abgeordneten René Röspel (SPD), Ilse Aigner (CDU/CSU) und Jörg Tauss (SPD) angenommen. Damit wird der bisherige Stichtag für die Forschung mit embryonalen Stammzellen einmalig auf den 1. Mai 2007 verschoben. 346 Abgeordnete stimmten dafür.
Der Antrag ( 16/7982) der Abgeordneten Ulrike Flach (FDP), Katherina Reiche (CDU/CSU) und Rolf Stöckel (SPD), der eine Abschaffung des Stichtages forderte, wurde hingegen in zweiter Lesung abgelehnt, ebenso der der Antrag ( 16/7983) der CDU/CSU-Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria Eichhorn. Sie hatten ein grundsätzliches Verbot der Stammzellforschung gefordert.
Außerdem lehnte der Bundestag den Antrag (
16/7984) der Abgeordneten Priska Hinz
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Julia Klöckner (CDU/CSU),
Herta Däubler-Gmelin (SPD) ab, der die Straffreiheit von
Forschern, die an ausländischen Forschungsvorhaben teilnehmen,
sowie die Beibehaltung des Stichtags befürwortete. Über
ihn wurde nicht mehr namentlich abgestimmt, nachdem der Bundestag
bereits die Verschiebung des Stichtags beschlossen hatte.
Bisheriges Stammzellgesetz 2002 verabschiedet
Das bisher geltende Stammzellgesetz war 2002 verabschiedet
worden und setzt seither den rechtlichen Rahmen für die
Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen. Es legt zum
Beispiel fest, dass die Stammzellforschung ausschließlich
hochrangigen Forschungszielen wie der Grundlagenforschung oder der
Erweiterung medizinischer Kenntnisse zur Entwicklung
diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren
dienen muss. Es bestimmt außerdem, dass in Deutschland nur an
Stammzellen geforscht werden darf, die vor dem Stichtag am 1.
Januar 2002 gewonnen wurden und aus dem Ausland stammen.
Zwischen Forschungsfreiheit und Lebensschutz
Wissenschaftler und Mediziner verbinden mit der Forschung an embryonalen Stammzellen die Hoffnung, unheilbare Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson in Zukunft heilen zu können sowie eine Reparatur von Organ- und Gewebeschäden zu ermöglichen. Die derzeitige Stichtagsregelung kritisieren sie mit dem Argument, die zur Verfügung stehenden Zellen seien zu alt und führten zu fehlerhaften Versuchen.
Demgegenüber argumentieren die Gegner der Stammzellforschung, sie verstoße gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf Leben und die Menschenwürde. Außerdem gebe es inzwischen alternative Möglichkeiten, die ethisch vertretbarer seien.
Stichtag wird verschoben
Der Bundestag stimmte am 11. April 2008 mehrheitlich dem Antrag von René Röspel (SPD), Ilse Aigner (CDU/CSU) und Jörg Tauss (SPD) zu, der eine Verschiebung des Stichtags vorsieht ( 16/7981). Der Schutzmechanismus des Stammzellgesetzes bleibe bestehen, es werde jedoch an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst, so die Antragsteller.
Aus diesem Grund sei eine Verschiebung "vertretbar“, sagte Annette Schavan (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung, in der Debatte, die der Abstimmung vorausging. Ihre Kabinettskollegin Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) betonte, die Verschiebung sei ein "fairer Ausgleich“ zwischen dem Recht auf Leben und der Forschungsfreiheit. Zu der Diskussion, ob eine Zelllinie dieselbe Würde habe wie ein Mensch, sagte René Röspel, diese Frage sei noch nicht entschieden. Er mahnte: "Wir sollten es nicht den Gerichten überlassen, irgendwann über den Import von Zelllinien entscheiden zu müssen“. Eine parlamentarische Übereinkunft in dem Dilemma zwischen Forschungsfreiheit und Lebensschutz sei dringend notwendig.
Liberalisierung der Stammzellforschung angelehnt
Der von Ulrike Flach (FDP), Katherina Reiche (CDU/CSU) und Rolf Stöckel (SPD) vorgelegte Gesetzentwurf ( 16/7982) plädierte für die gänzliche Abschaffung des Stichtages und damit für eine weitgehende Liberalisierung der Stammzellforschung. Damit entfiele auch die Strafbarkeit der Forscher im Zusammenhang mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Ulrike Flach sprach sich für „die Ethik des Heilens als Messlatte“ aus. Die Gesetzgebung müsse international gleichwertige Forschungsbedingungen schaffen, damit schwerkranke Patienten Hoffnung auf Heilung haben könnten. Rolf Stöckel betonte zudem die Bedeutung der Forschungsfreiheit. Sie dürfe nicht auf ihre „Anwendungspotenziale“ reduziert werden.
Stichtag beibehalten
Nach Auffassung der Abgeordneten Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Julia Klöckner (CDU/CSU), Herta Däubler-Gmelin (SPD) und anderen sollte der bisherige Stichtag beibehalten werden ( 16/7985). In ihrem Gesetzentwurf ( 16/7984) befürworteten sie zudem die Straffreiheit von Forschern, die an ausländischen Forschungsvorhaben teilnehmen. Strafbar solle die Verwendung von Stammzellen nur sein, wenn diese sich im Inland befinden.
Maria Böhmer (CDU) warnte in der Debatte eindringlich vor einer Verschiebung des Stichtags. Sie sei „mehr als eine Gesetzeskorrektur“, sie greife in die „Logik des Stammzellgesetzes“ ein. Die Grünen-Abgeordnete Priska Hinz betonte zudem, sie „beschädige das ethische Versprechen des Parlaments“.
Stammzellforschung verbieten
Der von den CDU/CSU-Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria Eichhorn initiierte Gesetzentwurf ( 16/7983) forderte hingegen das vollständige Verbot der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Die Antragsteller führen an, dass inzwischen alternativ auch auf ethisch unbedenkliche Art menschliche pluripotente Stammzellen erzeugt werden können. Sie finden sich etwa im Nabelschnurblut oder im Fruchtwasser. Monika Knoche (DIE LINKE.) begründete ihre grundsätzliche Ablehnung der Stammzellenforschung mit dem Hinweis auf die Würde des menschlichen Embryos. In Deutschland sei er zwar ein „Rechtssubjekt“, aber in anderen Ländern oft nur „materielles Objekt". „Wir dürfen keinen Niesnutz aus im Ausland erzeugten Embryonen ziehen“, forderte Knoche.
Beratung im Ausschuss
Der Bundestag hatte über die Vorlagen bereits Mitte Februar im Plenum intensiv debattiert. Anschließend beschäftigte sich der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am 3. März 2008 in einer öffentlichen Anhörung mit ihnen. Die geladenen Sachverständigen, darunter Biologen, Juristen, Mediziner und Theologen, waren wie die Angeordneten geteilter Meinung über die mögliche Änderung des Stammzellgesetzes.
Weitere Informationen
Bundestagsdrucksachen zum Thema
- 16/7981 - Gesetzentwurf: Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes
- Namensliste der namenltichen Abstimmung zu 16/7981
- 16/7982 - Gesetzentwurf: Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes
- Namensliste der namenltichen Abstimmung zu 16/7982
- 16/7983 - Gesetzentwurf: Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit menschlichen embryonalen Stammzellen (Stammzellgesetz - StZG)
- Namensliste der namenltichen Abstimmung zu 16/7983
- 16/7984 - Gesetzentwurf: Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes
- 16/7985 - Antrag: Keine Änderung des Stichtages im Stammzellgesetz - Adulte Stammzellforschung fördern
- 16/8658 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung