"Politische Entscheidungen müssen glaubwürdig sein"
Die Abgeordnete Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hat die "mangelnde Distanz" zwischen staatlichen Stellen und der Gentechnik-Industrie kristiert. Im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" (Erscheinungstag 26. Mai 2008) sprach die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz von einer Art "Steigbügelhaltung für industrielle Interessen", die nicht hinnehmbar sei.
Die Abgeordnete zeigte sich überzeugt, dass die Bevölkerung in Deutschland und Europa die Agro-Gentechnik umso stärker ablehne, je mehr Informationen sie zu diesem Thema habe. Es gebe jedoch eine "massive Anstrengung" der konservativen Politik und der Wirtschaft gegen den Markt, die Gentechnik zu etablieren. Dies sei leider auch mit erheblichen öffentlichen Fördermitteln verbunden, so die Grünen-Politikerin.
Das Interview im Wortlaut:
Im März dieses Jahres haben Studenten in Gießen ein Versuchsfeld besetzt, auf dem Gen-Gerste angebaut wird. Eine UN-Konferenz in Bonn zum Thema Gentechnik in der Landwirtschaft wurde von heftigen Protesten begleitet. Die Menschen scheinen nicht viel von der Agro-Gentechnik zu halten. Kann die Politik das ignorieren?
Nein, ich bin überzeugt, dass die Bevölkerung in Deutschland und Europa die Agro-Gentechnik umso stärker ablehnt, je mehr Informationen sie zu diesem Thema hat. Das bestätigen auch einschlägige Umfragen und natürlich das Kaufverhalten der Menschen. Es gibt aber absurderweise eine massive Anstrengung der konservativen Politik und der Wirtschaft gegen den Markt, die Gentechnik zu etablieren. Das ist leider auch mit erheblichen öffentlichen Fördermitteln verbunden. Wobei die Unterstützung von Innovationen, jedenfalls in der Anfangsphase, völlig in Ordnung ist. Im Bereich der Agro-Gentechnik geht es jedoch über eine normale Starthilfe hinaus. Da werden beispielsweise staatliche Mittel für Akzeptanzstrategien verwendet, also die "Werbung" für Gentechnik finanziert. Ich halte es wirklich nicht für die Aufgabe der Bundesregierung und des Staates, eine Markteinführungsstrategie für die Industrie zu fahren.
Warum wird das so gemacht?
Das läuft nun schon über zehn Jahre von Seiten der Bundeskanzler, Wirtschafts- und Forschungsminister. Dahinter steckt sicherlich auf der einen Seite der Glaube, eine positive Forschungsentwicklung unterstützen zu wollen. Negativ ausgedrückt: Das ist eine Art Steigbügelhaltung für industrielle Interessen, die ich nicht in Ordnung finde.
In Frankreich ist man einen mutigen Weg gegangen. Dort wurde der Anbau von Genmais Mon 810 kurzerhand verboten. Warum sollte die gleiche Pflanze in Deutschland ungefährlich sein?
Wir haben in Deutschland offensichtlich ein Problem der mangelnden Distanz von Zulassungsbehörden und industriellen Interessenverbänden. Das ist auch der Grund, warum ich zu diesem Thema eine Studie in Auftrag gegeben habe. Ich war selbst erschrocken über das Ergebnis. Wir konnten nachweisen, dass es engste Verbindungen gibt zwischen den Hauptakteuren in den Behörden - die eigentlich die Bundesregierung beraten sollten - und den zu Kontrollierenden. Auf diese Art und Weise gibt es eine Beratung der Bundesregierung durch die nachgeordneten Behörden, die nicht objektiv ist. Das lässt sich auch an aktuellen Entscheidungen klar nachweisen.
Zum Beispiel?
Nehmen wir die Entscheidung zum Genmais Mon 810. Das ist ein Mais der Firma Monsanto, der 1998 vor dem Regierungswechsel unter Gesundheitsminister Horst Seehofer zugelassen wurde. In der rot-grünen Regierungszeit erhielt er keine Zulassung als Sorte, die nötig ist, um in den Anbau gehen zu können. Diese erhielt der Mais erst 2006, als Minister Seehofer wieder die Verantwortung hatte. Dann ging es in den kommerziellen Anbau. Es gibt aber eine Reihe von Studien, die auf ein großes Gefahrenpotenzial hinweisen. Die Pollen fliegen beispielsweise viel weiter als erwartet wurde. Es gibt eine Menge kritischer Bewertungen. Im April 2007 hat Minister Seehofer dann nach der Aussaat die Erlaubnis zurückgezogen mit dem Hinweis, dass Monsanto die Überwachungsauflagen noch zu erfüllen hat. Diese sind unerlässlich, um überhaupt Wirkungen der Gentechnik feststellen zu können und zudem ein Teil der EU-Regeln.
Im Dezember 2007 gab es die Erlaubnis wieder zurück.
Ja, es wurde im April deutlich gemacht, dass die Überwachung der Firma nicht ausreicht. Ende Dezember hatte sich nichts geändert. Monsanto hat die Bedingungen, die das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gestellt hat, nicht erfüllt. Es wurden Schlupflöcher genutzt, die peinlicherweise das Bundesamt Monsanto selbst genannt hat. Das waren andere Monitorings, die beispielsweise von Imkerverbänden freiwillig gemacht werden. Es wurde aber nicht geprüft, ob diese überhaupt geeignet sind. Genau das sind sie nicht. Das alles ist kein Zufall: Man muss ganz klar sagen, dass der zuständige Beamte auch die Weisungen des Ministers und des Behördenleiters selbst nicht mitgetragen hat. Eine interne Mail kam auf unerklärlichen Wegen zur Firma Monsanto und als Vorlage in gerichtliche Auseinandersetzungen. Das heißt, die Beamten des eigenen Hauses tragen dazu bei, die gestellten Anforderungen zu umgehen. Der Verkauf wurde so wieder vor der nächsten Aussaat freigegeben.
Sie haben Bedenken, dass staatliche Stellen wirtschaftliche Interessen mehr achten als kritische Studien.
Zumindest muss man sagen, dass offensichtlich die Intention des Gesetzgebers auf der deutschen und der europäischen Ebene innerhalb der Behörde nicht akzeptiert wird. Das kann man in dem Fall Mon 810 nicht anders ausdrücken. Welche persönlichen Interessen dahinter stehen, weiß ich nicht. Was wir aber belegen können, ist, dass genau dieser Beamte in etlichen Verbänden und Initiativen aktiv ist, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Agro-Gentechnik zu fördern. Die notwendige Distanz ist nicht da, mit der Folge, dass etliche Behörden nicht unabhängig arbeiten. Das ist eine Situation, die man als Parlamentarier nicht hinnehmen kann.
Was Sie geschildert haben, ist ein Ergebnis der Studie, die Sie in Auftrag gegeben haben. Wird es nun als Folge parlamentarische Initiativen geben?
Ich nehme das nicht auf die leichte Schulter. Es wird in jedem Fall parlamentarische Anträgen geben. Wir müssen uns als Politik auf die Unabhängigkeit der Experten verlassen. Gerade beim Thema Gentechnik müssen politische Entscheidungen glaubwürdig sein. Die Bevölkerung ist da äußerst misstrauisch.
Werden Sie versuchen, Agrarminister Horst Seehofer von der CSU zum Handeln zu drängen?
Ja, auf jeden Fall. Ich werde ihm meine Studie noch einmal persönlich schicken. Viele Dinge könnten auch wirklich neu für ihn sein. Ich erwarte nicht, dass der Minister über alle Entwicklungen im Detail im Bilde ist.
Noch einmal zu den praktischen Problemen: Was macht nun der Bauer, in dessen Feld gentechnisch veränderte Pflanzen sprießen, weil sein Nachbar diese anbaut?
Das ist eine komplizierte Situation. Wir haben in Deutschland ein ziemlich gutes Haftungsrecht. Der Bauer hat im Prinzip den Anspruch auf eine Entschädigung. Die Analysen muss der Landwirt allerdings zunächst selbst bezahlen. Mit denen muss er nur nachweisen, dass gentechnisch verändertes Material in seinen Produkten ist, nicht aber wer Schuld daran hat. Die Verantwortung trägt immer der, der gentechnisch verändertes Material pflanzt. Probleme hat der betroffene Bauer dann, wenn die Verunreinigungen geringer sind als sie die Kennzeichnungsschwelle oft akzeptiert.
Auf der Konferenz der Vereinten Nationen in Bonn, an der Sie teilgenommen haben, ging es um internationale Haftungsfragen. Wer bezahlt eigentlich die Umweltschäden, die durch Gentechnik verursacht werden?
Über die Ausgestaltung der Haftungsregeln wird es in den
nächsten zwei Jahren noch große Auseinandersetzungen
geben. Wir finden den deutschen Ansatz einer
verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung ganz gut, wie
er zu rot-grünen Regierungszeiten aufgenommen wurde. Dieser
darf sich aber nicht nur auf Nutzflächen beziehen, sondern
auch auf die Umwelt. Wir wünschen uns gesetzliche Regelungen,
die im Kern beinhalten: Wer Genprodukte anbaut und dadurch die
Umwelt kontaminiert, muss den Schaden zahlen.
Das Interview führte Marco Pecht.
Ulrike Höfken (53) ist Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie ist seit 1994 im Parlament. Ihr Wahlkreis ist Bitburg-Prüm in Rheinland-Pfalz.