Wege in die Politik
Damenschneiderin und Förster, Dolmetscherin und Winzer - die Abgeordneten im Deutschen Bundestag kommen aus ganz verschiedenen Berufen. Die am häufigsten vertretene Berufsgruppe bilden mit 23 Prozent die Juristen. Der Rest der insgesamt 612 Abgeordneten hat in 121 anderen Berufen und Berufungen Erfahrungen gesammelt. In unserer Serie "Wege in die Politik" stellen wir heute die Landwirtin und Agraringenieurin Ulrike Höfken (Bündnis 90/Die Grünen) vor.
Es begann zunächst ganz klassisch dort, wo man als junger
Mensch erste politische Erfahrungen sammeln kann - in der Schule
und bei der Schülerzeitung. Aber der Weg von Ulrike
Höfken ins Parlament nahm dann doch einen untypischen Umweg
über ein Landwirtschaftsstudium und einen Bauernhof mit
Hühnern, Schweinen und Ziegen in der Eifel.
Der grüne Faden
Als die Grünen in den 80er Jahren in den Bundestag kamen,
"fand ich die sogar eher zu angepasst. Ich war skeptisch, was
Parteien bewegen konnte", sagt die heutige Bundespolitikerin und
Ausschussvorsitzende. Damals glaubte sie an die Schlagkraft der
außerparlamentarischen Bewegung. Parteien kamen viel
langsamer zu Entscheidungen und waren gesellschaftlich zu wenig
verankert. Sie war aktiv in der Anti-Atom-, Umwelt- und der
beginnenden Verbraucherschutzbewegung, gab die Zeitung
"Konsumkritik" mit heraus und gründete das
Pestizid-Aktions-Netzwerk und die Verbraucher-Initiative.
Gleichzeitig baute sie mit ihrem Mann einen landwirtschaftlichen
Ökobetrieb in der Eifel auf, den sie zehn Jahre lang parallel
betrieb.
Dennoch begann mit dem Einzug der Grünen auch der Einstieg von
Ulrike Höfken in die praktische Politik. Sie wurde
nebenberuflich wissenschaftliche Mitarbeiterin von Antje Vollmer.
Die ersten Erfolge der alternativen Partei imponierten ihr.
"Parteimitglied wurde ich aber erst mal nicht", so
Höfken.
Von heute aus betrachtet erscheinen alle Stationen sinnvoll, weil
sie ihr das sichere Fundament für die Arbeit auf dem
politischen Feld gegeben haben. Sie nennt es ihren "grünen
Faden". "Es ist mir auch sehr wichtig, dass ich das, was ich
beruflich gelernt habe und vom Hof und aus der Arbeit von
Nichtregierungsorganisationen kenne, einbringen und verbinden
kann."
Außerparlamentarisch zum politischen
Mandat
Zu ihrem ersten politischen Mandat kam sie völlig
unverhofft. Eigentlich fühlte sie sich ausgelastet, als 1989
die Bitburger Grünen anriefen und sie für Kommunalpolitik
ihrer Region gewinnen wollten. Aber dann "habe ich mich doch in der
Pflicht gesehen, auch lokal für meine Überzeugung und
globalen Verantwortung, in der ich uns in Deutschland sehe,
einzutreten." Gleich auf ihrer ersten Sitzung wurde sie auf die
Kreistagsliste gewählt und landete schließlich auch im
Kreistag.
Die Arbeit nahm sie sehr ernst und wurde dann auch bald auf
Landesebene für die kommende Bundestagswahl aufgestellt. "Ich
hätte nie gedacht, in den Bundestag zu kommen", sagt sie. Dazu
kam es 1990 allerdings auch noch nicht. Die Grünen sind mit
ihrem Wahlspruch "Alle reden von Deutschland, wir vom Wetter" bei
der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl gescheitert.
Das Wahldesaster wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. Beim
nächsten Mal würde sie nicht mehr die Newcomer-Kandidatin
sein und übernahm als Landesvorsitzende der Grünen in
Rheinland-Pfalz die strategische Ausrichtung und Verantwortung.
1994 wurde sie in den Bundestag gewählt.
Traumberuf: Landwirtin
Verantwortung musste sie bereits früh übernehmen.
Für ihren Stiefvater galt Schule und Lernen als Beweis von
Faulenzen. Mit 13 Jahren hat sie ihr eigenes Geld in einem
Lebensmittelgeschäft verdienen müssen, mit 14 ist sie
ausgezogen. Schule und Abitur hat sie unter diesen Bedingungen
trotzdem geschafft.
Nach einer Stippvisite in einer Berliner Wohngemeinschaft besann
sie sich auf das, was sie als Kind schon wollte: Landwirtin werden.
Das war 1974. Aber ihre Suche nach einer Lehre war
ernüchternd: "Es gab keine Betriebe, die Mädchen haben
wollten, höchstens als künftige Schwiegertochter". Also
studierte sie Landwirtschaft.
Prägende Erfahrungen in Lateinamerika
Ihr Studium unterbrach sie für ein Praktikum in einem
Großbetrieb in Guatemala. Das Praktikum verlängerte sie
um ein Jahr, um in der Entwicklungshilfe bei Kleinstbauern in
Ecuador und Brasilien zu arbeiten. "Ich lernte brutale Gewalt,
schlimme Umweltverseuchung, Unterernährung, soziale
Unterdrückung kennen." Es seien auch deutsche Firmen gewesen,
die Pestizide in die Länder brachten und Katastrophen
anrichteten. Hier erkannte sie ihre Verpflichtung: "Ich kam aus
einem Land, das mitverantwortlich ist."
Von der Entwicklungshilfe war sie desillusioniert: „Es wurden
in vielen Projekten vor allem die Industrialisierung vorangetrieben
und die Industrieinteressen Deutschlands gestützt", so
Höfken. Das hat ihre Eine-Welt-Sichtweise bestärkt,
genauso ihre politische Motivation, der sie noch immer treu ist.
Auch Menschen ohne ausreichendes Einkommen müssen mit gesunden
Lebensmitteln versorgt werden, die Landwirtschaft und die
Lebensgrundlagen wie Boden und Wasser erhalten bleiben.
Und Ulrike Höfken wünscht sich, irgendwann auch wieder
Landwirtin zu sein.