Köhler: Es gibt keinen Schlussstrich
Berlin: (hib/MAR) Mit einer zentralen Gedenkveranstaltung im Bundestag haben die Verfassungsorgane am heutigen Sonntag an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 60 Jahren und das Ende der NS-Diktatur erinnert. Die meisten Deutschen seien erleichtert gewesen, erklärte Bundespräsident Horst Köhler in seiner Ansprache, zugleich aber "wie betäubt von der Wucht der Niederlage". Allerdings habe das Ende des Krieges noch lange nicht das Ende des Leids gebracht, es wirke bis heute fort. "Schrecken und Scham" erfüllten die Deutschen im Rückblick auf den von Deutschland entfesselten Krieg und den Zivilisationsbruch Holocaust, bekannte Köhler. "Wir haben die Verantwortung, die Erinnerung an all das Leid und seine Ursachen wach zu halten, und wir müssen dafür sorgen, dass es nie wieder dazu kommt. Es gibt keinen Schlussstrich", betonte der Bundespräsident.
In die Trauer um die Opfer der Gewalt, "die von Deutschland ausging und die auf Deutschland zurückschlug", schloss Köhler ausdrücklich auch die deutschen Opfer ein, "weil wir gerecht gegenüber allen Opfern sein wollen, auch gegenüber den eigenen".
Deutschland sei heute ein anderes Land als vor 60 Jahren, attestierte Köhler. Dieser Wandel im Äußeren, vor allem aber auch im Inneren sei ein Grund zur Freude und Dankbarkeit. "Diesen Dank", fuhr er fort, "schulden wir an erster Stelle den Völkern, die Deutschland besiegt und befreit haben." Europa sei heute geprägt von Freiheit, Demokratie und der Geltung der Menschenrechte. Erstmals in seiner Geschichte sei Deutschland rundum von Freunden und Partnern umgeben. "Zwischen uns ist Krieg unmöglich geworden", stellte der Bundespräsident fest. Er betonte den Wert der transatlantischen Partnerschaft und "was wir gerade den Vereinigten Staaten von Amerika zu verdanken haben". Auch habe sich 1945 niemand träumen lassen, dass Deutschland und Israel 60 Jahre später gute Beziehungen, ja Freundschaft verbänden. Köhler äußerte Dankbarkeit gegenüber allen, die beim Aufbau geholfen haben, und äußerte die Gewissheit, "dass wir Deutschen den Weg zu unserer freien und demokratischen Gesellschaft aus eigener Begabung zur Freiheit gegangen sind". Zwar gebe es auch Unbelehrbare, "aber sie haben keine Chance". Dafür stehe, so Köhler, die überwältigende Mehrheit der mündigen Bürgerinnen und Bürger. Und dafür stehe unsere wehrhafte Demokratie.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) bezeichnete in seiner Einführungsrede den ehrlichen Umgang mit der "verbrecherischen Vergangenheit" als Teil der kollektiven Verantwortung Deutschlands. Nach dem verlorenen Krieg sei die Niederlage Deutschlands vollständig gewesen. Der Neuaufbau, so Thierse, konnte nur durch eine ebenso vollständige Abkehr vom Faschismus gelingen. Das sei für das deutsche Volk zur Befreiung geworden. "Die Erinnerung verpflichtet uns zur aktiven Demokratie", betonte er. Thierse hob auch das Werk der europäischen Einigung und die Politik friedlicher Partnerschaft zwischen ehemals verfeindeten Nachbarn hervor. Die Europäische Union nannte er die "Verwirklichung einer konkreten Utopie des Friedens". Das mache sie so kostbar.
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