Ex-Datenschutzbeauftragter Spiros Simitis hält bestehenden Datenschutz für unzureichend und fordert eine radikale Reform - Interview mit "Das Parlament"
Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 8. Dezember
2008)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen
Veröffentlichung –
Aus Sicht des ehemaligen hessischen Datenschutzbeauftragten Spiros Simitis gehen die aktuellen Datenschutzvorhaben der Bundesregierung nicht weit genug: „Die geltenden gesetzlichen Anforderungen an die Verarbeitung personenbezogener Daten müssen radikal überprüft und über weite Strecken neu gestaltet werden. Eine solche Reform, die ihren Namen verdiene müsse insbesondere „bei der Kontrolle im nicht-öffentlichen Bereich ansetzen“, dort hätten sich völlig neue Risiken des Datenmissbrauchs ergeben.
Im Gesundheits- und Versicherungsbereich beispielsweise würden sie „auch dafür genutzt, das Verhalten des Einzelnen präventiv zu steuern“, so Simitis. Der Akzent liege „durchweg auf einer kontinuierlichen Verarbeitung der Daten aktueller oder potentieller Patienten, die primär auf ein Verhalten gerichtet ist, das Krankheitsrisiken möglichst gar nicht erst aufkommen lässt.“
Spiros Simitis, früherer Vorsitzender des Nationalen Ethikrates und heute Mitglied des Deutschen Ethikrats fordert darüber hinaus ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz: „Wie wichtig eine solche Regelung ist, kann man an Einzelfragen, wie etwa der Erhebung genetischer Daten, ebenso sehen wie an der Notwendigkeit, generell und verbindlich die Grenzen einer Erhebung von Arbeitnehmerdaten bei Dritten oder einer Weitergabe an Außenstehende festzulegen.“
Das Interview im Wortlaut:
Der Bundestag behandelt in den nächsten Wochen eine
ganze Reihe von Datenschutzvorhaben. Ist das ein gutes Zeichen
für den Datenschutz?
Vordergründig
sicherlich, weil eine Reihe durchaus akuter Probleme angegangen
wird. Längst fällig ist aber weit mehr: Die geltenden
gesetzlichen Anforderungen an die Verarbeitung personenbezogener
Daten müssen radikal überprüft und über weite
Strecken neu gestaltet werden.
Wie meinen Sie das?
Den Anfang machten in
den 70er Jahren allgemeine Datenschutzgesetze. Sehr bald zeigte
sich allerdings, dass sich ein effizienter Datenschutz an konkreten
Problembereichen orientieren und auf sie einwirken muss. Doch die
mittlerweile immer zahlreicheren bereichsspezifischen Regelungen
sind nicht aufeinander abgestimmt und, schlimmer noch, willkommene
Ansätze, den Datenschutz gezielt zurückzunehmen. Die
offene Zulassung der mit einem der unverzichtbaren Grundsätze
des Datenschutzes, der Zweckbindung, unvereinbaren
Vorratsdatenspeicherung ist ein Musterbeispiel dafür.
Was wäre Ihrer Meinung nach die Lösung?Wir brauchen eine allgemeinen Regelung, in der die generell geltenden Datenschutzgrundsätze festgeschrieben werden müssen sowie daran immer wieder gemessene und konsequent aufeinander abgestimmte bereichsspezifische Regelungen.
Die vom gerade wiedergewählten
Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar vor kurzem zur
Diskussion gestellte Charta für digitalen Datenschutz und
Informationsfreiheit geht doch schon in diese
Richtung?
Ohne Zweifel ein wichtiger Ansatz. Mehr
denn je kommt es aber unabhängig davon beispielsweise darauf
an, unmissverständlich klarzustellen, dass der Zugriff auf
personenbezogene Daten immer die Ausnahme bleiben muss und stets
eine gesetzliche Regelung voraussetzt. Erst recht gilt es anders
als bisher die Einwilligung der Betroffenen nicht den gesetzlichen
Vorschriften gleichzustellen.
Warum?
Allein schon die Erfahrungen mit
den Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den
Alltagsgeschäften hätten genügt, um Misstrauen zu
wecken. Denken sie zudem an die Abhängigkeit derjenigen,
die wie etwa bei einem Arbeitsverhältnis, ihre Daten
weitergeben sollen. Und schließlich: Die Einwilligung hat
sich als das wirksamste Instrument einer Verarbeitungsstrategie
erwiesen, die dazu verhilft, nahezu alle gesetzliche Schranken zu
umgehen und alle Daten zu bekommen, die man nur möchte. Sie
muss daher auf gesetzlich definierte Fälle beschränkt
bleiben.
Die jetzt vorgesehene Novelle des
Bundesdatenschutzgesetzes will Verbrauchern mehr Rechte
hinsichtlich des von Auskunfteien betriebenen Scorings geben.
Genügen die nun vorgesehenen Regelungen aus Ihrer
Sicht?
Nein. Scoring muss lediglich im
Kreditbereich akzeptiert und nicht etwa ebenso
selbstverständlich bei Arbeitsverhältnissen hingenommen
werden. Die Betroffenen müssen zudem immer wissen, wer ihre
Daten bekommt, weil sie nur dann sich darauf einstellen und
reagieren können. Ausnahmen zugunsten von Auskunfteien sind so
gesehen völlig fehl am Platz.
Wie sehen Sie die Verarbeitung von
Geodaten?
Geodaten sind genau genommen ein weiterer
Schritt in einer längst klar gewordenen Richtung. Sie
vervollständigen die Informationen über die Betroffenen,
indem diese geortet werden und so auch einen Einblick in weitere
Daten wie etwa zu den Vermögensverhältnissen und zum
sozialen Umfeld vermitteln.
Inwiefern?
Spätestens hier zeigt
sich, dass wir einen Punkt in der Verarbeitung personenbezogener
Daten erreicht haben, der zu wenig zu Kenntnis genommen wird. Als
wir in den 70er Jahren begonnen haben, ging es darum, welche Daten
überhaupt verarbeitet werden dürfen. Das ist heute
sinnlos, weil alles schon verarbeitet worden ist.
Welche Konsequenzen hat das?
Mehr und mehr
rückt die Vernetzung in den Mittelpunkt der Datenverarbeitung.
Mehr und mehr wird sie aber vor diesem Hintergrund auch dafür
genutzt, das Verhalten des Einzelnen präventiv zu steuern.
Denken Sie an die heftigen Diskussionen über die
Gesundheitskarte oder die sich mittlerweile verdichtenden
Erfahrungen mit den Informationserwartungen an die Biobanken,
Gleichviel, ob es um öffentliche Institutionen oder private
Versicherungen geht, der Akzent liegt durchweg auf einer
kontinuierlichen Verarbeitung der Daten aktueller oder potentieller
Patienten, die primär auf ein Verhalten gerichtet ist,
das Krankheitsrisiken möglichst gar nicht erst aufkommen
lässt.
Datenschutzkonforme Verfahren und Produkte sollen
künftig über ein Audit geprüft werden. Wie
beurteilen Sie die geplante Umsetzung?
Der Vorteil
liegt auf der Hand. Mit dem Audit wird ein Verfahren anerkannt und
gesichert, das eine verlässliche Überprüfung der
datenverarbeitenden Stellen gewährleistet. Eben deshalb ist es
aber nicht verständlich, wieso es ein Audit nur geben soll,
wenn es die verarbeitende Stelle nicht bei den üblichen
Anforderungen belässt, sondern die
Verarbeitungsvoraussetzungen erhöht. Soll das
Audit wirklich den Datenschutz verbessern, muss es
immer möglich sein, sich dafür zu entscheiden.
Im Bundesrat gibt es eine SPD-Initiative, die die
Einführung eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes
vorschlägt. Wie notwendig sehen sie dieses?
Die
Forderung ist alt. Gleich mehrmals hat sich zudem der
Bundestag in der Vergangenheit leider vergeblich für ein
entsprechendes Gesetz ausgesprochen. Detaillierte
Vorschläge hat auch die Internationale Arbeitsorganisation
vorgelegt. Wie wichtig eine solche Regelung ist, kann man an
Einzelfragen, wie etwa der Erhebung genetischer Daten, ebenso sehen
wie an der Notwendigkeit, generell und verbindlich die Grenzen
einer Erhebung von Arbeitnehmerdaten bei Dritten oder einer
Weitergabe an Außenstehende festzulegen.
Herr Simitis, vermissen Sie angesichts der Fülle
der geplanten Gesetzesvorhaben noch etwas?
Eine
Reform, die diesen Namen verdient, muss bei der Kontrolle im
nicht-öffentlichen Bereich ansetzen, ja sie in den Mittelpunkt
stellen. Wie im öffentlichen Bereich muss es keinen
Zweifel daran geben, dass es die ureigenste Aufgabe der
Datenschutzbeauftragten und Aufsichtsbehörden ist, die
nicht-öffentlichen Stellen bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten konstant zu überwachen und, wann immer
sich Unregelmäßigkeiten andeuten, sofort und nachhaltig
einzugreifen. Interne Beauftragte erfüllen so gesehen
nur eine Hilfsfunktion, müssen daher mit der externen
Kontrollinstanz zusammenarbeiten und sie keineswegs lediglich
„in Zweifelsfällen“ anrufen.
Wären Bußgelder eine
Lösung?
Noch so hohe Bußgelder sind kein
Ersatz für eine echte Kontrolle. Der Datenschutz ist im
Zeichen der Vorbeugung entstanden, Bußgelder hingegen sind
späte Reaktionen. Kurzum, wenn man nicht die Reform vor allem
als Aufgabe versteht, nun endlich eine echte Kontrolle auch im
nicht-öffentlichen Bereich zu schaffen, kann man den
Datenschutz vergessen.
Herausgeber
Deutscher Bundestag, PuK 1 - Referat Presse - Rundfunk - FernsehenDorotheenstraße 100, 11011 Berlin
Tel.: (030) 227-37171, Fax: (030) 227-36192