BUND-LÄNDER-FINANZBEZIEHUNGEN
Mehr Wettbewerb oder mehr Solidarität -nach der Expertenanhörung der Föderalismuskommission II bleiben viele Fragen offen
Am 7. Juli 2006 war es soweit. Der Bundesrat hatte mit 62 von 69 Stimmen der Föderalismusreform I zugestimmt. Der Weg zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung war frei. Nach knapp drei Jahren Verhandlungszeit und mehreren gescheiterten Anläufen konnten die Verhandlungsführer Franz Müntefering (SPD) für den Bund und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) für die Länder tatsächlich eine mehrheitsfähige Einigung vorweisen. Doch bei allen Lobreden war auch zu diesem Zeitpunkt schon klar: der schwerere Brocken folgt noch. Denn um den Kompromiss nicht zu gefährden, hatte man Fragen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ausgeklammert und auf später verschoben. Später ist jetzt - und die Diskussion um die Verteilung von Steuereinnahmen, den Länderfinanzausgleich und die Begrenzung der Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist in vollem Gange.
Etwa 30 Milliarden Euro werden regelmäßig beim Länderfinanzausgleich und dem Solidarpakt mit den neuen Bundesländern zwischen Bund, "reichen" und "armen" Ländern umverteilt. Vor allem die reichen Länder wie etwa Bayern wollen das ändern, weil sie beim Länderfinanzausgleich regelmäßig draufzahlen. Argumentiert wird damit, dass die armen Länder in Deutschlands Osten aufgrund der sicheren Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich und dem Solidarpakt nicht ausreichend Anreize hätten, zu sparen, und sich deshalb ständig neu verschuldeten. Die Nehmerländer, die so oder so mit mehr Arbeitslosigkeit und geringerer Wirtschaftskraft zu kämpfen haben, fürchten eine Verschärfung ihrer Finanzkrise, sollte künftig das Geld aus den Solidarmaßnahmen wegfallen.
Was ist nun der richtige Weg aus der Dauerverschuldung? Wettbewerbsföderalismus oder solidarisches Miteinander? Oder gibt es gar Solidarität trotz Wettbewerb? Antworten erhoffte sich die Föderalismuskommission II unter dem Vorsitz von SPD-Fraktionschef Peter Struck und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) von den geladenen Experten bei einer öffentlichen Anhörung am 22. Juni. Doch auch unter den Sachverständigen gab es keine klare Linie. Während ein Teil sich für einen stärkeren Wettbewerb unter den Ländern aussprach und eine Ausweitung der Steuerautonomie forderte, warnten andere vor einer damit einher gehenden "Entsolidarisierung" des Bundesstaates.
Professor Charles B. Blankart von der Humboldt Universität Berlin sprach sich für einen Übergang von der kollektiven Schuldenverantwortung zur Schuldner-Selbstverantwortung aus. Dabei sei eine Steuerautonomie für die Länder von hoher Bedeutung. Es könnten Steuern und Leistungsniveau aneinander angepasst werden und somit Änderungen nicht nur auf der Ausgabenseite, sondern auch auf der Einnahmenseite stattfinden.
Auch Professor Bernd Huber von der Universität München forderte eine Erweiterung der Steuerautonomie der Länder. Führe man eine Verschuldungsgrenze ein, schmälere man die Haushaltsflexibilität der Länder. Dies könne man nur ausgleichen, indem man Zuschläge auf Einkommens- und Körperschaftsteuern ermögliche. Huber kritisierte außerdem die derzeitigen Regelungen des Länderfinanzausgleichs. Es gebe hier Anreize in die falsche Richtung. Länder mit einer laxen Verschuldungspolitik würden belohnt, während Länder, die Haushaltsdisziplin gewahrt hätten, bestraft würden. Anreize richtig zu setzen, verlangte auch Professor Martin Junkernheinrich von der Universität Münster. Nur wenn Fehlentscheidungen spürbar würden, entstehe Handlungsdruck. Seiner Ansicht nach solle man sich an für Kommunen bestehenden Regelungen zur Hauhaltsaufsicht orientieren, da diese sich eher bewährt hätten als viele bundes- und landespolitische Regeln.
Professor Christian Fuest von der Universität Köln sieht derzeit große Schwächen in der deutschen föderalen Finanzverfassung. Neben mangelnden Vorkehrungen zur Vermeidung von Verschuldung und Haushaltskrisen kritisierte er die nicht ausreichende Steuerautonomie der Bundesländer. Außerdem seien die Abschöpfungsquoten im Finanzausgleich zu hoch. Gegensteuern könne man durch die Schaffung einer Schuldenschranke für Bund und Länder, wie sie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagen habe. Demnach sind kurzfristige Haushaltsdefizite zulässig, wenn diese in den Folgejahren durch Überschüsse ausgeglichen werden. Bundesstaatliche Hilfen seien nur möglich, wenn das Land bereit sei, einen zweckgebundenen und zeitlich begrenzten Einkommenssteuerzuschlag als so genannten Haushaltskrisen-Soli zu erheben. Wer in Europa Mindeststeuern fordere, so befand Professor Kai Konrad von der Freien Universität Berlin, könne nicht im eigenen Land einen Steuerwettbewerb ausrufen. Allerdings schaffe die derzeit praktizierte Verbindung der Freiheit zur Verschuldung mit dem Anspruch auf kollektive Verantwortung bei der Entschuldung Verschuldungsanreize. Nötig sei eine Eigenverantwortlichkeit bei Haushaltskrisen verbunden mit Regeln zur Befreiung aus derartigen Krisen.
Ein Steuerwettbewerb unter den Ländern ist aus Sicht von Professor Stefan Korioth von der Universität München angesichts völlig unterschiedlicher Ausgangslagen derzeit nicht möglich. Solange etwa arme Bundesländer im Osten nur 40 Prozent der Steuereinnahmen reicher Länder zur Verfügung hätten, sei dies ein "Wettlauf unter Ungleichen". Staatssekretär Benjamin Hoff von der Berliner Senatsverwaltung lehnte Wettbewerbsföderalismus ebenfalls ab und sprach sich für die Beibehaltung eines solidarischen und kooperativen Föderalismus aus. Einen Umbau des Länderfinanzausgleichs ohne Preisgabe des Solidaritätsgedankens regte Professor Hans Peter Schneider vom Deutschen Institut für Föderalismusforschung in Hannover an. Dies könne gelingen, wenn der Wirtschaftskraft der Länder beim Finanzausgleich eine maßgeblichere Rolle zugebilligt würde.
Das Hauptprob-lem liege auf der Ausgabenseite, sagte Professor Wolfgang Renzsch von der Universität Magdeburg. Verglichen mit 1980 seien die Ausgaben für Schulen, Hochschulen sowie Wissenschaft und Forschung gesunken, während die Sozialausgaben und die Schuldentilgungskosten gestiegen seien. "Die Vergangenheit frisst die Zukunft auf", warnte Renzsch. Daraus ergebe sich auch eine ungleiche Belastung der Länder. Schwache Länder hätten durch hohe Belastungen für Sozialausgaben und durch niedrige Einnahmen insgesamt weniger Ressourcen. Der Länderfinanzausgleich fange dies nur unzureichend auf. Renzsch forderte die Anlastung vom Bund veranlasster Leistungen an den Bund wie auch eine Teilentschuldung der überproportional belasteten Länder. "Ein Steuerwettbewerb ist nicht der Königsweg", sagte Professor Joachim Wieland von der Universität Frankfurt. Problematisch sei in Deutschland die Verteilung der Steuererträge. Diese müsse "aufgabengerecht" vorgenommen werden. Bei allem Neuregelungsbedarf der deutschen Finanzverfassung dürfe das Solidaritätsprinzip nicht außer Acht gelassen werden. "Der Bundesstaat braucht Solidarität, sonst hat er keine Zukunft," mahnte er an.
Ob und inwiefern diese Expertenanhörung die Kommissionsmitglieder in ihrer Meinungsbildung unterstützt hat, bleibt abzuwarten. Die Vorsitzenden Oettinger und Struck zeigten sich vorsichtig optimistisch. Es gebe das feste Bemühen, im September zu ersten Verständigungen zu kommen, sagte Struck, und Oettinger ergänzte, ein Kompromiss sei erreichbar.