Sie müssen zurücktreten," ruft Martin Lindner, der Vorsitzende der Freien Demokraten im Berliner Abgeordnetenhaus, Thomas Flierl (Linkspartei/PDS) zu. Doch der 48-jährige Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur denkt gar nicht daran. Nicht einmal eine klare Entschuldigung kommt auch im Plenum des Abgeordnetenhauses am 30. März über seine Lippen. Er habe Fehler gemacht, das sei richtig, aber damit soll es aus seiner Sicht auch genügen, obwohl ihm der Vorsitzende der CDU-Fraktion Nicolas Zimmer vorwirft: "Sie machen sich gemein mit den Folterknechten von damals."
Was erregt den Zorn des politischen Berlin? Mitte März waren über 300 Menschen in die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen gekommen, um mit Vertretern des fest in PDS-Hand befindlichen Stadtbezirks Lichtenberg und der Senatsverwaltung für Kultur über die Gestaltung des einstigen Sperrbezirks um die heutige Gedenkstätte zu diskutieren, die zu DDR-Zeit nirgends verzeichnet war. Doch unter den Zuhörern befinden sich mehr als 200 ehemalige Mitarbeiter der Stasi. Und diese machen deutlich, was sie von den Plänen halten. Zurückhaltend formuliert: nichts oder nicht viel.
Die ehemaligen, zum Teil sehr hohen Stasi-Mitarbeiter wollen von der - aus ihrer Sicht - Propaganda gegen die Stasi nichts mehr hören, schon gar nichts mehr wissen. Alles sei gesagt, vor allem, dass das mit der Stasi nicht so schlimm war, wie man das heute zum Teil darstellt. Und schon gar nicht in Hohenschönhausen. Selbst politische Gefangene hätten ausdrücklich darum gebeten, in Hohenschönhausen untergebracht zu werden. Ist das nicht der beste Beweis für die Menschlichkeit der Stasi besonders in Hohenschönhausen?
Den anwesenden Opfern der SED-Diktatur stockt der Atem. Zum einen wegen des Bildes, das die ehemaligen Mitarbeiter des MfS zu zeichnen versuchen. Zum anderen über einen Mann auf dem Podium, nämlich Thomas Flierl, der seit 1995 dem Berliner Abgeordnetenhaus angehört, seit 1998 Mitglied der PDS ist und seit Anfang 2002 dem Berliner Senat angehört. Denn Flierl schweigt weithin. Und wenn er etwas sagt, dann so, dass seine verschachtelten Sätze kaum jemand versteht. Vor allem aber stellt er sich nicht hinter die Stasi-Opfer, findet kein klares Wort gegen die SED-Diktatur.
Der Spitzenkandidat der CDU für die Herbstwahl des Berliner Abgeordnetenhauses, der Parlamentarische Staatssekretär Friedbert Pflüger, macht denn auch gleich eine "Verhöhnung der Opfer des SED-Regimes" aus. Da er selbst bei der Veranstaltung nicht anwesend war, holt er schnell einen Besuch in der Gedenkstätte nach. Die FDP fordert eine parlamentarische Debatte über das Verhalten Flierls. Im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses räumt Flierl ein, er hätte wohl auf der besagten Veranstaltung "grundsätzlich" zu den Verunglimpfungen durch frühere Stasi-Kader Stellung beziehen müssen. Flierl: "Auch für mich war die massive und militante Präsens der ehemaligen Stasi-Funktionäre auf dieser Veranstaltung unerwartet und schwer erträglich."
Während der Debatte i Abgeordnetenhause grummelt es auch in den Reihen der SPD, in der zahlreiche ehemalige Stasi-Opfer aktiv sind - obwohl er hier "Fehler einräumt", vor allem im Hinblick auf sein Verhalten in der Veranstaltung selbst. Doch ein ausdrückliches Bedauern bleibt ebenso aus wie eine klare und eindeutige Entschuldigung. Dennoch stimmt die SPD nicht mit der Opposition, die in einem Antrag das Verhalten des Senators verurteilt wissen will. Die Koalitions-Raison gebietet dies.
Dafür wird der Landesparteitag der SPD für den Senator ungemütlich, obwohl er überhaupt nicht mit Namen genannt wird. In einem Entschluss der Delegierten heißt es, die Aufgabe der Repräsentanten des Landes und seiner Bezirke sei es, für Stasi-Opfer einzutreten und sie vor Verunglimpfungen zu schützen. Sollten die Repräsentanten dazu aber nicht in der Lage sein oder dies nicht wollen, seien sie "ungeeignet" das Land Berlin zu repräsentieren. Ob die PDS bei einer möglichen Neuauflage der rot-roten Koalition im Herbst noch einmal den promovierten Kulturwissenschaftler Thomas Flierl als Senator präsentieren wird und ihn bei der SPD durchbringen kann, ist ungewisser denn je.