Medien und Politik sind in unserer Gesellschaft eine Bedarfsgemeinschaft. Allerdings mit unterschiedlichen Abhängigkeiten, Stimmungen und Temperamenten. Man braucht einander, damit die gegenseitigen Geschäfte laufen. Weshalb es nur logisch war, dass die diesjährigen Mainzer Tage der Fernsehkritik auf dem ZDF-Hügel Lerchenberg sich diesem Thema widmeten. Hatte sich doch gerade nach der jüngsten Bundestagswahl vom Herbst 2005 der Eindruck verstärkt, vor allem Magazine wie "Spiegel" und "Stern" hätten Rot-Grün "niedergeschrieben" und gewissermaßen einen roten Teppich für die CDU-Kanzlerkandidatin ausgerollt. Was von den betreffenden Zeitschriften stets heftig in Abrede gestellt wurde.
Zugleich wurde das diesjährige Thema "Macht und Medien. Journalismus in der vernetzten Gesellschaft" in einen breiteren Diskussionszusammenhang gestellt, an dem auch Politiker wie der frisch wiedergewählte Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer, der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Dieter Grimm und die Leiter verschiedener Meinungsforschungsinstitute beteiligt waren. Vor allem Letztere waren nach der Wahl wegen ihrer häufig falschen Prognosen in die öffentliche Kritik geraten.
Manfred Güllner von forsa, Richard Hilmer von Infratest dimap und Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen verteidigten in einer der zahlreichen Gesprächsrunden vehement ihre Zahlenarbeit, die nach ihrer Aussage von den Medien lediglich falsch und voreilig interpretiert worden seien. Michael Hanfeld, Medienredakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", kritisierte, dass der Wähler den Demoskopen zum unbekannten Wesen werde.
Zu Beginn der Fernsehtage vom 3. und 4. April hatte Dieter Grimm betont, die Macht der Medien bestünde unter anderem darin, Politiker zu veranlassen, mediengerecht zu handeln. Dieses Angewiesensein auf die Medien wecke Begehrlichkeiten. Deshalb sei Wirtschaftsmacht Meinungsmacht. Die Medien könnten ihre Leistung jedoch nur in Freiheit erbringen. Die Zielbestimmung der Medienfreiheit dürfe nicht verändert werden. Jede versuchte Privatisierung in diesem sensiblen Bereich verlange vermehrte Regulierung. Die Konzentrationskontrolle bei der gescheiterten Fusion von Springer und Pro 7 habe sich bewährt. Die Grenze von Printmedien und elektronischen Medien solle eingehalten werden. Ähnlich äußerte sich ZDF-Intendant Markus Schächter, der auf die nötige Äquidistanz von Politik und Medien verwies und vor italienischen Verhältnissen warnte, wo ein "Medienstaatschef" Berlusconi per Medien an der Macht bleiben wolle.
Eine wichtige Rolle in der Diskussion spielte noch einmal die Fernsehrunde am Wahlabend, deren überraschenden Verlauf Protagonisten Hartmann von der Thann (ARD) und Nikolaus Brender (ZDF) sowie RTL-Anchorman Peter Kloeppel und Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg nachgingen. Vor allem der Auftritt von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde erneut kritisch hinterfragt. Der "Kanzler in Trance" (Brender) habe sich an diesem Abend aus der Veranstaltung gestohlen. "Im Wahlkampf können wir nicht an den Kampfthemen vorbeigehen", meinte Hartmann von der Thann.
Eine interessante Definition dieses Abends, an dem endgültig die Weichen für eine neue Regierung unter Angela Merkel gestellt wurden, lieferte Joschka Fischer in einer abendlichen Runde mit der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka. Er habe gewusst, wenn Schröder "derart testosterongesteuert angreift, dann hat er die Wahl und den Kampf um die Macht verloren". Der Exkanzler habe "die Tür zugemacht zur Analyse, warum Angela Merkel in der Endphase der Wahl derart verloren hat. Das tut dem Land nicht gut", resümierte ein ansonsten außerordentlich entspannt wirkender ehemaliger Außenminister. Er verzichtete auf larmoyante Rechtfertigungsarien seiner siebenjährigen Regierungstätigkeit und bezeichnete sich mit einiger Berechtigung als letzten politischen Live-Rock'n Roller. Außerdem teilte er mit, dass er auch im Falle eines rot-grünen Wahlsieges spätestens nach einem Jahr ausgeschieden wäre. Für ihn sei Politik keine Sucht wie bei anderen, sondern Leidenschaft gewesen. Als ihn Marietta Slomka fragte, ob er unter Schröders Diktum, er sei Koch und Fischer Kellner, gelitten habe, gab er die schöne Antwort: "Nein, denn der Kellner kassiert".
Während einerseits noch Erinnerungsarbeit geleistet wurden, herrscht für Medienakteure andererseits schon wieder Alltag. Peter Frey, Leiter des Hauptstadtstudios des ZDF, zeigte sich erfreut über die sachliche Atmosphäre bei der Arbeit der neuen Regierung. Nicolaus Fest von "Bild" Hamburg meinte, man müsse doch auch mal seine Meinung sagen dürfen. Und die vielleicht beste Feder im deutschen Medien-Polit-Betrieb, Jürgen Leinemann vom "Spiegel", resümierte aus jahrzehntelanger Berufserfahrung, wer in der von Philoneikia (Hassliebe) zwischen Politik und Journalismus geprägten Beziehung gerade der Parasit sei, "entscheide sich von Fall zu Fall".
Während es jedoch in den Disputen der beiden gesellschaftlichen Partner von erster und vierter (oder zweiter?) Macht im Staat noch vergleichsweise gemütlich zuging, warfen die Probleme der weiteren Digitalisierung der Medien ihre Schatten voraus. In diesem Zusammenhang verteidigte Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamtes, in Mainz noch einmal die Entscheidung seiner Behörde, die Fusion von Axel Springer und Pro Sieben Sat 1 zu untersagen. Markus Schächter hatte den Gesetzgeber aufgefordert, ordnungspolitische Initiativen für die Medienbranche der Zukunft zu ergreifen, wenn Kabelnetzbetreiber oder Internetfirmen wie Yahoo und Google mit eigenen redaktionellen Inhalten auf den Medienmarkt kommen. Kurt Beck betonte, dass die Begrenzung ausländischer Investoren auf dem deutschen Medienmarkt "eine vernünftige Lösung" sei.
Ob das die Redakteure der "Berliner Zeitung" beruhigen wird? In Bezug auf das Veranstaltungsthema von Mainz 2006 hatte der "Zeit"-Redakteur Robert Leicht halb ironisch, halb melancholisch ausgerufen: "Wenn ich Macht hätte, sähe dieses Land anders aus". Schon möglich, jedoch, die Verhältnisse, sie sind wohl doch nicht so.