Wenn es so weitergeht, gibt es in Bagdad bald keine Ärzte, Anwälte, Lehrer oder Ingenieure mehr", befürchtet Qasem al-Abdali (Name von der Redaktion geändert). "Aber am schlimms-ten trifft es uns Journalisten." Wenn Qasem morgens zu seinem Radiosender fährt, leuchtet ein Taxi-Schild auf seinem Autodach. Aus Furcht, ermordet zu werden, verrät er niemandem, welchem Broterwerb er tatsächlich nachgeht. Nicht einmal seiner Frau. "Die würde vor Angst sterben", begründet der Iraker seine Entscheidung. Die Kollegen vom Fernsehen seien aber noch schlimmer dran. "Sobald du mit einer Kamera auftauchst, wirst du abgeknallt."
Unzählige Kameramänner sind schon ermordet worden. Kameraleute von größeren Fernsehanstalten verlassen deshalb nur noch ihre Studios, um von A nach B zu fahren. Nicht irakische Kameramänner gibt es kaum mehr. Raad Dleen musste Anfang des Jahres den Irak verlassen. Er hat all seinen Besitz verkauft und ist nach Jordanien ausgewandert. Seinen Job bei der ARD musste er nach der Entführung der Archäologin Susanne Osthoff aufgeben. "Die Kidnapper kamen in mein Haus und drohten mich umzubringen, wenn mein Sender nicht das mitgebrachte Geisel-Video ausstrahlen würde", erzählt Raad sichtlich nervös. "Dieselben Leute übergaben mir zwei Tage später ein zweites Band, doch der Sender weigerte sich, es zu zeigen. Mein Chef riet mir, das Land zu verlassen." In den Irak will der 37-Jährige nie wieder zurückkehren.
Die ausländischen Moderatoren und Reporter der britischen und amerikanischen Fernsehstationen kommentieren von den Dächern der Studios oder aus der schwer bewachten "Grünen Zone", dem etwa zehn Quadratkilometer großen Stück Bagdads, das noch fest im Griff der US-Truppen ist. Die restliche Stadt ist mittlerweile zur Kampfzone unterschiedlicher Milizen, krimineller Banden oder Sicherheitsfirmen geworden. Zwar sieht man tagsüber irakische Sicherheitskräfte auf den Straßen patrouillieren, doch weiß man nie genau, ob die Uniformen echt oder nur Tarnung sind. Laut "Reporter ohne Grenzen" sind seit März 2003 schon mehr als 140 Journalisten im Irak umgebracht worden, und fast täglich werden es mehr. Damit liegt die Zahl getöteter Journalisten im Zweistromland schon jetzt höher als die des Vietnam-Krieges. Vor einiger Zeit explodierte eine Autobombe vor dem Redaktionsbüro des Satelliten-Kanals Rafidain im Zentrum von Bagdad. Hätte die Islamische Partei Iraks diesen Anschlag nicht in ihrer täglichen Pressemitteilung erwähnt, es hätte wohl kaum einer Notiz davon genommen. Sachschaden und Verletzte sind heute keine Meldung mehr wert. Anschläge mit unter 30 Toten finden kaum mehr Beachtung in den westlichen Medien.
"Ich weiß nicht, ob ich mein Blatt noch halten kann", klagt Ismael Zayer, Herausgeber der Tageszeitung "Al Sabah Al-Jadeed". Denn nicht nur auf ihn selbst, sondern auch auf viele seiner Reporter und Redakteure wurden bereits Mordanschläge verübt. Es herrscht totale Anarchie. "Wenn jemandem ein Artikel nicht passt, knallt er uns über den Haufen." Schreiben die Kollegen etwa über die Verflechtungen der sunnitischen Aufständischen, werden sie von dieser Seite bedroht. Schreiben sie kritisch über die schiitisch dominierte Regierung, werden sie von den Schiiten-Milizen gejagt. Recherchieren sie zum Strudel der Korruption in den Ministerien oder bei den irakischen Sicherheitskräften, müssen sie Razzien bei sich und ihren Familien befürchten.
Nicht selten kommt es dann zu Verhaftungen. Berichten sie über Missstände in den Gefängnissen oder über Unwägbarkeiten bei Militäroperationen amerikanischer Soldaten, werden sie mit Informationssperre bestraft oder unsanft aus dem Weg geräumt. So seien Pressefotografen auch schon von Besatzungssoldaten geschlagen worden. Ende September meldete die amerikanische Nachrichtenagentur AP, einer ihrer irakischen Fotografen sei fünf Monate lang vom US-Militär inhaftiert worden - ohne Anklage, Anhörung oder juristischen Beistand. "Aus Sicherheitsgründen" sei Bilal Hussein festgehalten worden, hieß es lapidar bei seiner Entlassung.
"Unter diesen Umständen ist es manchmal unmöglich, die Zeitung regelmäßig erscheinen zu lassen", seufzt Ismael Zayer. Abgesehen von den Bedrohungen des Redaktionskollegiums ist auch das Drucken schwierig geworden. Ständiger Stromausfall lässt die Generatoren zusammenbrechen, der enorme Treibstoffpreis den Zeitungspreis um ein Vielfaches in die Höhe schnellen. Würde der Herausgeber den tatsächlichen Preis für seine Zeitung verlangen, würde sie niemand mehr kaufen.
Im Frühjahr 2004 gab es in Bagdad etwa ein Dutzend unabhängige Tageszeitungen. Davon sind noch zwei übrig geblieben: "Al Sabah Al-Jadeed" und "Al Mada". Doch auch letztere kämpft ums Überleben. Ismael Zayer hat nun im letzten Moment eine Lösung gefunden, wie er sein Blatt retten kann. "Ich muss dahin gehen, wo meine Leser sind", sagt er überzeugt. Schätzungsweise eine Million Iraker leben mittlerweile in Jordanien.
Als erste irakische Tageszeitung soll "Al Sabah Al-Jadeed" im Nachbarland gedruckt und vertrieben werden. Mit einer Auflage von zunächst 10.000 Exemplaren will der Zeitungsmann jetzt in Amman starten. Zwei Seiten sollen über die Belange der Iraker in Jordanien informieren. Der Rest kommt aus Bagdad. Noch wartet Ismael Zayer auf die Genehmigung der jordanischen Regierung.