Die Lage ist angespannt. Eine Stadt mit einigen tausend Einwohnern, eingekesselt von feindlichen Truppen, auserkoren, dem großen britischen Empire die Kolonialmacht in Südafrika zu erhalten. Weit mehr Soldaten als Zivilisten befinden sich in der Stadt, alle sind guter Hoffnung. Doch aus dem geplanten kurzen Krieg wird eine 118-tägige, für beide Seiten verlustreiche und nervenaufreibende Belagerung.
Der Präsident der Burenrepublik Transvaal, Paul Krüger, erklärte Großbritannien 1899 den Krieg. Der Oranje-Freistaat trat auf seine Seite. Die Buren belagerten drei britische Kolonialstädte, darunter Ladysmith, um die Briten aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Der englische Autor Giles Foden hat diesem Zweiten Burenkrieg, der von 1899 bis 1902 im heutigen Südafrika tobte, in seinem Roman "Die letzte Stadt von Afrika" Gesichter gegeben. Inspiriert von den Briefen seines Urgroßvaters, der als britischer Soldat diese Belagerung erlebt hat, hat Foden auf Basis von Memoiren und Berichten von Journalisten, die aus dieser Stadt für ihr Heimatland schrieben, sowie anderer Dokumente einen vielschichtigen Roman verfasst.
Es ist nicht Fodens erster Roman über Afrika. Auch "Der letzte König von Schottland" (1998) und "Sansibar" (2004) spielen in afrikanischen Ländern. Das kommt nicht von ungefähr: Sein Vater war als Mitarbeiter der Vereinten Nationen in Afrika. Mehr als 20 Jahre verbrachte Foden auf dem schwarzen Kontinent. Heute lebt er in London.
Es ist eine bunte Gruppe von Figuren - fiktive und reale -, die er in "Die letzte Stadt von Afrika" zu Wort kommen lässt. Da ist Bella, Tochter eines irischen Auswanderers, die sich zunächst in einen der britischen Soldaten verliebt, hinterher aber mit einem Portugiesen aus der eingekesselten Stadt flieht. Henry Nevinson ist einer der Kriegsberichterstatter, immer dicht an der Front, frustriert von der militärischen Zensur und bemüht, Nachrichten trotz gesperrter Transportwege ins Mutterland zu schmuggeln. Tom Barnes, britischer Soldat und Bellas Verehrer, ist zunächst voller Hoffnung, bald wieder zu Hause zu sein. Muhle Maseku, seine Frau Nandi und sein Sohn Wellington, die auf der Flucht vor dem Krieg sind, werden von den Buren vor Ladysmith abgefangen und von einander getrennt. Am Rande fallen zwei Figuren auf, die der Leser aus anderen Zusammenhängen kennt: Mahatma Gandhi und Winston Churchill. Gandhi diente als Sanitäter im britischen Heer, Churchill war Kriegsberichterstatter und Offizier. Die Schicksale aller Figuren sind miteinander verwoben: Der burische Arzt bangt um seine Frau, die in Ladysmith gefangen gehalten wird. Seine Farm wurde von Tom Barnes und dessen Truppe zerstört. Er rettet Muhle Maseku und schickt ihn mit einer Botschaft in die Stadt. Nandi arbeitet für Bella, Wellington für Nevinson.
Foden arbeitet mit einer Vielzahl von Stilmitteln. Er beschreibt historische Fakten, lässt den Leser an den Gedanken der Figuren teilhaben, streut Briefe und Zeitungsausschnitte ein. Der Fokus liegt nicht auf einer breiten Darstellung des Zweiten Burenkrieges, sondern auf den Schicksalen der Betroffenen dieser einen Belagerung, ihren Nöten und Gedanken. Foden rekonstruiert den Alltag in der belagerten Stadt, die Lebensmittelknappheit, die ständigen Todesfälle, die angespannte Atmosphäre, die zum Schluss von ständigem Misstrauen und der Suche nach Spionen in den eigenen Reihen geprägt ist. Dazwischen trügerische Momente der Entspannung: Ein sonntägliches Kricketspiel, zu dem sich alle Beteiligten herausputzen und das durch eine Bombe der Buren in der letzten Runde vorzeitig beendet wird. Er zeigt die Verachtung, die die Volksgruppen sich entgegen bringen. "Ist doch bloß ein Haufen Farmer", sagt einer der britischen Soldaten zu Beginn des Krieges über seine Gegner. Als der burische Arzt dem Afrikaner Muhle Maseku zur Flucht verhilft, sagt er ihm: "Viel Glück, Kaffer. Wenn man dich gefangennimmt, werde ich jede Mitwisserschaft abstreiten."
Detailreich schildert er die zermürbende Lage in der Stadt, an deren Situation sich über Wochen wenig ändert. Der Leser kann die Mischung aus Nervenkrieg und Langeweile gut nachempfinden. Foden schafft es durch die vielen Stimmen, die er zu Wort kommen lässt, die Absurdität des Krieges und die Arroganz der Kolonialmächte herauszuarbeiten. Zwei feindliche Lager liefern sich Schlachten auf einem Gebiet, das keinem von ihnen gehört, und ziehen die ursprünglichen Bewohner hinein, die sie für halbe Tiere halten.
Die Auswirkungen des Kolonialwesens zeigt er anhand von Aussagen seiner Figuren und Dokumenten, die die Geschichte Großbritanniens und Südafrikas im 20. Jahrhundert spotartig beleuchten: Meldungen zu Gandhis Freiheitskampf in Indien und Churchills Reaktionen, der Bericht von Wellington, der sich der schwarzen Widerstandspartei ANC angeschlossen hat und wegen Verbrennung seines Ausweises 1960 inhaftiert wurde. Ein kenntnis- und facettenreicher Roman für Fans von Kriegs- und Kolonialgeschichte, die die Geduld haben, sich sowohl in die zahlreichen Figuren als auch in die detailreichen Schilderungen der Schlachten einzulesen.
Giles Foden: Die letzte Stadt von Afrika. Roman. Aufbau-Verlag, Berlin 2006; 378 S., 19,90 Euro.