Hessens Regierungschef Roland Koch hat eine neue Herausforderin. Auf dem Landesparteitag am 2. Dezember wählte die hessische SPD ihre Parteichefin Andrea Ypsilanti zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2008. Das Votum fiel knapp aus. Erst im zweiten Wahlgang konnte sich die 49-Jährige mit nur zehn Stimmen Vorsprung gegen ihren Gegenkandidaten Jürgen Walter durchsetzen. Der Fraktionschef hatte zuvor eine dreimonatige Mitgliederbefragung in allen 26 Unterbezirken klar für sich entscheiden können.
Andrea Ypsilanti hält es mit der französischen Sozialistin Ségolène Royal: "Ich verstehe etwas vom Leben, also verstehe ich auch etwas von Politik", lautet Royals Motto. Immer wieder sah sich auch die neue Frontfrau der hessischen SPD, die nach der desaströsen Wahlniederlage 2003 überraschend den Parteivorsitz übernommen hatte, mit der Frage nach ihrer politischen Kompetenz konfrontiert. Ihrem Selbstbewusstsein hat das bislang nicht geschadet. Denn Ypsilanti sieht sich als klare Alternative zu Roland Koch. Auf der einen Seite der Regierungschef: konservativ, verheiratet, Sohn eines ehemaligen CDU-Minis-
ters. Auf der anderen Seite die SPD-Kandidatin: links, unkonventionell und Mutter eines Kindes, das sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in einer WG großzieht. Krasser könnte das Kontrastprogramm in der Tat kaum sein. "Mir geht es um einen grundsätzlichen Politikwechsel", betont die Diplom-Soziologin. Ihre Partei will sie wieder stärker an den Inte- ressen der Arbeitnehmer ausrichten: "Wir müssen zeigen, dass wir auf der Seite der lohnabhängig Beschäftigten stehen und das ist die Mehrheit in diesem Land", erklärt die Spitzenkandidatin.
Ursozialdemokratische Ideale hat sich Ypsilanti auf die Fahne geschrieben und hofft auf diesem Wege, die Stammwähler der SPD wieder an die Wahlurnen zu bringen. Doch auch die bürgerliche Mittelschicht und potenzielle Wähler der Grünen sollen sich in ihrem Programm wiederfinden. So gehören Bildungs- und Familienpolitik für die SPD-Chefin untrennbar zusammen. Mehr Betreuungsplätze, frühkindliche Bildung, langes gemeinsames Lernen, mehr Ganztagsschulen und vor allem mehr Chancengleichheit und individuelle Förderung lauten ihre Ziele. Als zweiten Komplex politischer Themen nennt Ypsilanti die Wirtschafts-, Sozial-, und Umweltpolitik. "Wirtschaft ist für die Menschen da und nicht umgekehrt", erklärt die Tochter eines Opel-Arbeiters. Und auch an dieser Stelle bedient die Sozialdemokratin mit der Forderung nach gerechten Löhnen und einer gesicherten Mitbestimmung nicht nur ihre eigene Klientel. Auf der Agenda stehen auch Mittelstandsförderung, Unterstützung der Kommunen und die Förderung erneuerbarer Energien. Letzteres sieht die Spitzenkandidatin sogar als "Gewinnerthema".
Abgesehen von dieser Vielfalt politischer Ziele, die bis September 2007 in ein Wahlprogramm gegossen werden sollen, setzt Ypsilanti vor allem auf ihre eigene Authentizität: "Sozialdemokratisch sein, ist für mich eine Lebensüberzeugung", erklärt sie. Weil das Geld für ein Studium nicht reicht, startet die spätere Politikerin ihr Berufsleben als Stewardess, lebt im Ausland und heiratet einen Griechen, dessen Namen sie bis heute trägt. 1991 beginnt ihre politische Karriere als hessische Juso-Vorsitzende. Bis 1999 arbeitet sie als Referatsleiterin unter dem damaligen Ministerpräsidenten Hans Eichel in der Staatskanzlei. Zwei Jahre später zieht sie in den Landtag ein. Nach der verlorenen Landtagswahl 2003, die der SPD 29,1 Prozent und Roland Koch die absolute Mehrheit bescherte, ist es Ypsilanti, die sich plötzlich an die Spitze der Bewegung stellt und verlangt, dass ihre Partei sich neu finden und aufstellen muss. Den Beweis, dass dies unter ihrer Führung gelungen ist, ist sie bislang allerdings schuldig geblieben. So machte die 49-Jährige in den letzten drei Jahren zwar als beharrliche Kritikerin der Agenda 2010 bundespolitisch Schlagzeilen. Landespolitische Erfolge blieben bis jetzt jedoch aus. Bei der Kommunalwahl in diesem Frühjahr erreichte die hessische SPD unter Ypsilantis Führung 34,7 Prozent und damit das schlechteste Ergebnis seit Kriegsende. Dennoch preschte die Parteivorsitzende im August - offenbar ohne Absprache mit den anderen Mitgliedern der Parteiführung - nach vorne, als es um die Spitzenkandidatur ging und setzte sich gegen den Widerstand des rechten Parteiflügels um Jürgen Walter am Ende durch. Ob ihr nun auch die Fraktion folgen wird, wird sich am 16. Januar zeigen. Dann soll Ypsilanti den Fraktionsvorsitz von Walter und damit das letzte von drei Spitzenämtern in der Partei übernehmen.