Joschka Fischer scheint den Rummel zu genießen, der ihm seit seinem Abgang nach der Bundestagswahl im Herbst 2005 ansonsten ja versagt bleibt. Der Ex-Außenminister strahlt im Flur in die Masse der Kameras und setzt auseinander, was er zuvor drinnen vor dem Untersuchungsausschuss schon durchbuchstabiert hat: dass er von der Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masris nichts gewusst habe, in diesen "sehr gravierenden" Vorgang nicht verwickelt sei und sich die frühere Regierung in dieser Angelegenheit keine Kritik gefallen zu lassen brauche. So sagt es auch der ehemalige Kanzleramtschef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der entsprechende Vorwürfe als "infam" zurückweist.
Fischer präsentiert sich sogar mit einer gehörigen Portion launiger Jovialität. So verweist er locker auf die "eingeschränkte Belastbarkeit des menschlichen Gedächtnisses". Wolfgang Nescovic von der Linkspartei verfällt auf die originelle Idee, aus Protest auf Fragen an Fischer zu verzichten, weil es dem nur um den "Unterhaltungswert" gehe. Dessen schlagfertiger Konter: "Es ist erstaunlich, wie schnell Ihr Unterhaltungsbedürfnis zu befriedigen ist."
Politisch entpuppen sich Steinmeiers und Fischers Anhörungen als durchaus spannend, sie sind das Finale der Zeugenvernehmungen zur Entführung El-Masris als erstem Komplex im Rahmen des weitgefächerten Themenspektrums des Ausschusses. Nimmt man dessen Untersuchungsauftrag in einem engen Sinne zum Maßstab, dann entlasten die Promis mit ihren Aussagen die ehemalige Regierung. Das Gremium soll prüfen, ob deutsche Behörden und Regierungsmitglieder von der zwischen Januar und Ende Mai 2004 durch die CIA bewerkstelligten Verschleppung des in Mazedonien verhafteten Neu-Ulmer Bürgers in ein afghanisches Geheimgefängnis frühzeitig wussten und in dieses rechtswidrige Kidnapping involviert waren. Der Deutsch-Libanese war fälschlicherweise unter Terrorverdacht geraten. Nun, am Abend während des Defilées der fünf Fraktionsobleute vor dem Medienpulk erklärt auch der gern als Inquisitor auftretende Grüne Hans-Christian Ströbele, für eine Verwicklung der Regierung in die Entführung gebe es keine Beweise.
Das Fazit der Befragungen Steinmeiers und Fischers: Man habe von der Verschleppung erst im Juni 2004 nach der Freilassung El-Masris erfahren, Beihilfe zum Kidnapping sei nicht geleistet worden, deutsche Stellen hätten an US-Dienste keine Informationen über den Neu-Ulmer geliefert, der laut El-Masri bei seinen Verhören in Afghanistan anwesende deutsch sprechende "Sam" sei kein Mitarbeiter hiesiger Sicherheitsbehörden. Steinmeier wie Fischer betonen, man habe diesen Fall nicht mit spitzen Fingern angefasst, bei der Aufklärung sei gegenüber den USA keine Zurückhaltung geübt worden. Fischer: "Wir haben uns nicht weggeduckt." Steinmeier: Die uneingeschränkte Solidarität gegenüber den USA stelle "keinen Freibrief für Entführung und Folter" dar. Genau diese Frage, wie die Regierung nachträglich mit El-Masris Schicksal umging, sorgt indes im Ausschuss für Kontroversen.
Der heutige Außenminister referiert zunächst fast eine Stunde lang und skizziert dabei vor allem die weltpolitische Lage nach dem 11. September 2001 mit den neuen Terrorgefahren, bei deren Bekämpfung die Regierung im Übrigen stets auf die Wahrung des Rechtsstaats geachtet habe. Laut Fischer war damals der Druck seitens der USA groß: Einige Attentäter waren aus Hamburg gekommen, "dieser Vorwurf war massiv", da habe es geheißen, "das haben wir euch zu verdanken". Obendrein waren die Beziehungen wegen des Irak-Kriegs angespannt.
Max Stadler (FDP) mutmaßt, dass angesichts der enormen Sicherheitsanforderungen beim Antiterrorkampf Einzelfälle wie die Verschleppung El-Masris wohl als eher unbedeutend dargestellt werden sollen. Der FDP-Abgeordnete konfrontiert Fischer mit einer seiner früheren Stellungnahmen, wonach man wegen El-Masri keinen großen Eklat mit den USA riskieren und lieber hinter den Kulissen habe agieren wollen.
Ein Dementi ist von dem Grünen nicht zu hören. Fischers wie Steinmeiers Linie: Die von El-Masris Anwalt im Juni 2004 geschilderte Geschichte, die man zunächst als "unwahrscheinlichen Einzelfall", so Steinmeier, eingestuft habe, sollte vor einer Intervention auf höherer Ebene in Washington erst einmal auf ihre Stichhaltigkeit geprüft werden. Fischer: "Wir wollten nicht auf dem falschen Bein erwischt werden."
Seine Zurückhaltung gegenüber den USA begründet der Ex-Minister zum Erstaunen mancher Abgeordneter so: Bei kritischen Themen wie etwa El-Masri sei man außenpolitisch in Washington auf "verschlossene Türen" gestoßen. Erfolgversprechender als die "diplomatische Schiene" habe man damals in der Regierung den Versuch eingestuft, im Fall des Deutsch-Libanesen mit der Beschaffung näherer Informationen aus Washington Innenminister Otto Schily zu beauftragen -wegen dessen guter Beziehungen zu US-Justizminister John Ashcroft und wegen enger Kontakte zwischen deutschen und den US- Sicherheitsbehörden.
Im Übrigen habe die Koordination im Kanzleramt gelegen, Steinmeier habe "gute Arbeit" geleistet. Von einer solchen Zuständigkeit weiß indes Steinmeier nichts zu berichten, und auch Schilys Sondermission gegenüber Washington ist dem Ex-Kanzleramtschef nicht bekannt. Das finden Oppositionsvertreter wiederum erstaunlich.
Und dann ist da noch eine seltsame Sache. Schily war schließlich schon am 31. Mai 2004 von US-Botschafter Daniel Coats über El-Masris Kidnapping ins Vertrauen gezogen worden. Das war auch einigen leitenden Beamten des Innenressorts, des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Verfassungsschutz bekannt. Fischer und Steinmeier wussten hingegen nichts von dem Treffen. Kritik wollen sie an Schily nicht üben, demonstrieren aber Distanz. "Sapperlot" habe er spontan gedacht, erzählt Fischer, als er im Dezember 2005 von diesem Gespräch erfahren habe. Steinmeier spricht von einem "ungewöhnlichen Vorgang" und einem "Grenzfall".
Nach der Sitzung sieht Thomas Oppermann (SPD) alle Verdächtigungen aus der Welt geschafft, die einstige Regierung sei in El-Masris Entführung verstrickt. Mit solchen "Verleumdungen" solle die Opposition nun Schluss machen. Differenzierte Schützenhilfe leistet CDU-Obmann Hermann Gröhe. Unterstellungen, hiesige Sicherheitsbehörden seien in die Verschleppung verwickelt, seien nun nicht mehr haltbar. Allerdings fragt Gröhe, ob es mit dem Treffen Schily/Coats seine Ordnung habe und ob es klug gewesen sei, den Innenminister mit der Aufklärungsarbeit gegenüber den USA zu betrauen. Wolfgang Nescovic warnt vor einem "vorzeitigen Freispruch" für die Regierung: Vieles sei noch nicht erhellt, etwa die Frage, ob deutsche Stellen an US-Dienste Informationen zwar nicht direkt zu El-Masri, aber im Zusammenhang mit Nachrichten über andere Personen geliefert haben.
Auch für den Grünen Ströbele sind noch einige Punkte offen, so liege "Sams" Identität im Dunkeln. Max Stadler nimmt Fischers Auftritt zum Anlass für einen Verriss der rotgrünen Außenpolitik. Wenn er als Minister in den USA "vor verschlossenen Türen" stehe, werfe dies "ein schlimmes Licht" auf seine Politik. Insofern habe Fischer vor dem Ausschuss sein "Waterloo" erlebt, resümiert die Liberale.