If your pictures aren't good enough, you're not close enough" - "wenn Deine Bilder nicht gut genug sind, warst Du nicht nah genug dran", so formulierte es einst Robert Capa. Der Mitbegründer der renommierten Magnum-Agentur war einer der berühmtesten Kriegsfotografen. 1952 kam er durch eine Landmine in Vietnam ums Leben. Capas "goldene Regel" der Reportagefotografie blieb ein viel zitiertes Motto unter Journalisten. Doch die Nähe zum Geschehen fordert auch ihren Tribut. Ob Unfälle, Naturkatastrophen, Gewaltverbrechen oder bewaffnete Konflikte -Kriegsreporter, aber auch Lokalberichterstatter können in ihrer Arbeit extremen Belas-tungssituationen ausgesetzt werden. Gemeinsam mit Rettungs- oder Polizeikräften sind sie oftmals als Erste am Unglücksort. Doch während es für Hilfskräfte meistens eine psychologische Betreuung gibt, bleiben Reporter, Fotografen oder Kameramänner oft sich selbst überlassen.
Bislang gibt es über diese Schattenseiten des Berufs kaum Zahlen oder Fakten. Eine Studie des Psychiaters und Forschers Anthony Feinstein zeigt allerdings auf, dass fast 30 Prozent der Kriegsberichterstatter innerhalb von 15 Jahren von posttraumatischen Belastungsstörungen, kurz PTBS, betroffen sind. Das entspricht etwa der Anzahl von traumatisierten Kriegsveteranen unter Militärstreitkräften. Zwar sind nur die wenigsten Journalisten von PTBS betroffen, doch die emotionalen Folgen, den dieser Beruf mit sich bringen kann, können sich auch in Depressionen, Alkoholkonsum oder Ehescheidungen niederschlagen. "Journalisten leiden, und sie brauchen Unterstützung in ihrem redaktionellen Umfeld, von Kollegen und Vorgesetzten", gibt Mark Brayne vom Dart-Center in London zu bedenken (siehe Interview). Der Brite arbeitete selbst 30 Jahre lang als Korrespondent für die BBC und war in vielen Krisengebieten unterwegs. Heute ist Brayne als Psychotherapeut für die Dart-Foundation tätig und veranstaltet europaweit Workshops, in denen er Medienschaffenden die Ursachen von traumatischen Erlebnissen, psychische Auswirkungen und Bewältigungstechniken darlegt. Beispielsweise wie der Körper auf Extremsituationen reagiert, vom Zähneknirschen über Schwitzen und Atemnot bis hin zu Sehstörungen, Muskelzuckungen, Herzrasen und Erbrechen. Aber auch wie man sich besser auf belastende Ereignisse vorbereitet. Der Schweizer Journalist Rolf von Siebenthal war nie auf Kriegsschauplätzen zugegen, sondern arbeitete 14 Jahre lang als Lokalreporter für die "Basler Zeitung". Es gehörte zu seinem Job, über Unfälle oder Brände zu berichten, über Familiendramen, die sich vor der Haustür abspielen. "Ich kenne keinen Journalisten, der so etwas gerne macht. Die älteren Kollegen schicken lieber die jüngeren zu solchen Terminen", so von Siebenthal. Sie lernen auch nirgendwo, wie man sich den Opfern gegenüber verhält.
Weil auch er weder Hilfe noch Informationen über das Thema Traumata und Journalismus fand, schrieb er kurzerhand selbst ein Buch - "Gute Geschäfte mit dem Tod. Wie die Medien mit den Opfern von Katastrophen umgehen." Siebenthals Fazit: "Die meisten Journalis-ten werden nicht mit Kriegen konfrontiert, aber trotzdem laufen auch sie Gefahr, psychischen Folgen ausgesetzt zu sein, wenn sie über Vergewaltigungen, Verkehrsunfälle oder Familientragödien berichten."
"Opfer von Kriegen, Naturkatastrophen oder Verbrechen sind oft traumatisiert und müssen besonders sorgsam behandelt werden", weiß Fee Rojas, Traumatherapeutin und Fortbildungstrainerin, die selbst Journalistin ist. "Wer über solche Ereignisse berichtet, hat eine besondere Verantwortung im Umgang mit den Beteiligten." So führen nicht selten Interviews oder Reportagen mit Überlebenden eines Unglücks oder Opfern von Gewalt zu erneuten Traumatisierungen der Beteiligten. Folgen, die sich vermeiden ließen, wenn sich Journalisten Kenntnisse über Traumatisierungen und deren unterschiedliche Auswirkungen aneigneten sowie sensible Fragenstellungen übten. Unlängst hatte der Umgang der Medien mit dem Entführungsopfer Natascha Kampusch, die sich nach langen Jahren der Gefangenschaft selber befreien konnte, für Diskussionen über ethische Grundsätze im Journalismus geführt.
Aber auch die eigene Betroffenheit von Journalisten, die sich mit traumatisierten Interviewpersonen auseinandersetzen, findet nur selten ein Ventil im privaten Umfeld - aus Scham vor Kollegen oder aus Angst, die viel gerühmte "Objektivität des Berichterstatters" zu verlieren. "Dieses lange Schweigen darf nicht sein", meint Mark Brayne. Er wünscht sich einen nachhaltigen Wandel in der Medienbranche, der schon in der Aus- und Fortbildung von Journalisten beginnen sollte: "Wenn Bauarbeiter an einem Gerüst arbeiten, gibt es auch klare gesetzliche Verpflichtungen für ihren Arbeitsschutz. Wenn aber Journalisten Traumata ausgesetzt sind, dann sind sie verwundbar und die Arbeitgeber in der Verpflichtung."
In den USA findet das Thema Trauma und Journalismus bereits seit einiger Zeit Aufmerksamkeit. Für Bruce Shapiro beginnt es mit einem Attentat im Jahr 1994. Damals saß der Journalist mit Freunden in einem Café, als sich ein Amokläufer näherte, ein Messer zog und auf ihn einstach. Shapiro überlebte den Anschlag, das Ereignis machte Schlagzeilen. Der Journalist, der regelmäßig über Gewaltverbrechen schrieb, wurde plötzlich selbst zum Opfer der Medien. "Ab da begann ich darüber nachzudenken, was Trauma für Journalisten eigentlich bedeutet und wie Medien mit Menschen umgehen", resümiert Shapiro heute. 1999 gründete er gemeinsam mit Journalisten und Psychologen das Dart-Center, eine amerikanische Stiftung, die sich seit Jahren mit dem Thema Trauma und Journalismus beschäftigt.
In den vergangenen Jahren habe es viele Ereignisse gegeben, die den amerikanischen Journalismus stark beeinflussten, bilanziert Shapiro, vom Amoklauf an der Columbine High School in Colorado im Jahr 1999 über die Anschläge des 11. September 2001 und den Hurrikan "Katrina" im vergangenen Jahr, bis hin zum gegenwärtigen Irak-Konflikt. "Viele Journalisten waren bisher nicht mit einem so hohen Maß an menschlichen Tragödien in ihrer Berichterstattung konfrontiert worden, und sie lernten nie, wie man damit umgeht. Viele haben danach bei uns Rat gesucht", so Shapiro.
Auch in Europa findet langsam eine Sensibilisierung statt. Die BBC in London sieht inzwischen sogar ein eintägiges Trauma-Training für Chefredakteure vor. In Deutschland gab es für Journalistinnen und Journalis-ten in der Inlandsberichterstattung von ARD und ZDF bislang kaum Hilfestellung bei Interviews in extremen Belastungssituationen. Wer ins Ausland geht, wird vorher zum Bundeswehr-Training nach Hammelburg geschickt. Bei Unfällen wie dem Bahnunglück in Eschede, dem Amoklauf in einer Erfurter Schule oder der Tsunami-Katastrophe in Südasien wurden Reporter häufig ohne Vorbereitung eingesetzt. "Wir haben zwar bisher gute Trainingsmaßnahmen für die Sicherheit der Korrespondenten und Techniker angeboten, die in Krisengebiete gehen, doch die psychische Nachbereitung solcher Einsätze wurde dabei bisher zu wenig berücksichtigt", so Rainer Assion, Leiter der journalistischen Aus- und Fortbildung im WDR.
Im Oktober dieses Jahres fand in der Zentralen Fortbildung für Programmmitarbeiter von ARD und ZDF in Hannover in Kooperation mit dem Dart-Center in London der erste bundesweite Workshop statt, in dem die Teilnehmer nicht nur über Traumafolgen aufgeklärt wurden, sondern auch gleichzeitig im Umgang mit Opfern, deren Rollen Schauspieler übernahmen, geschult wurden. Ein Dutzend Journalisten, darunter auch ein leitender Redakteur und eine Kamerafrau, wurden mit einer fiktiven Situation konfrontiert, nämlich die Opfer eines Brandanschlags in einem Fußballstadion zu interviewen.
Eine besonders schwierige und zwiespältige Aufgabe für die Journalisten: Einerseits sollen sie Informationen sammeln, andererseits können sie sich nicht einfach darüber hinwegsetzen, dass die Zeugen zwischen Schock und Trauma taumeln. "Wir dürfen da nicht wie die Geier nur die Story im Blick haben", sagte ein Teilnehmer. ZFP-Trainerin Fee Rojas klärte die Teilnehmer über die schmale Grenze zwischen hilfreicher Empathie und oft grenzüberschreitender, journalistisch häufig unprofessioneller Sympathie auf. Für Trainer Mark Brayne geht es vor allem um eine bessere Berichterstattung und "um eine journalistische emotionale Gesundheit und gesunden Journalismus".