4.4
Handlungsempfehlungen
Empfehlung 4-1
Weiterbildung22, 23
Es wird empfohlen, die Anstrengungen
im Bereich der Bildungs- und Qualifizierungspolitik, der eine
Schlüsselfunktion als Antwort auf die Globalisierung zukommt,
zu verstärken. Bildung und Qualifizierung beeinflussen nicht
nur die internationale Wettbewerbsfähigkeit der
Volkswirtschaft und das Wirtschaftswachstum, sondern auch die
Fähigkeit der Beschäftigten, dem Innovations- und
Flexibilisierungsdruck standzuhalten. Nur breite Qualifizierung
kann das Abgleiten in eine gespaltene Gesellschaft mit krassen
sozialen Unterschieden, hoher Arbeitslosigkeit, verbreiteter Armut,
Marginalisierung und vielfach prekären Lebensbedingungen
verhindern. Dazu gehört auch, Frauen und Männern den
Wiedereinstieg ins Erwerbsleben nach einer Inanspruchnahme von
Elternzeit zu erleichtern.
Die Bildungs- und
Qualifizierungspolitik kann u.a. mit folgenden Instrumenten
gefördert werden:
Investive
Arbeitszeitpolitik: Es wird empfohlen, freies
Arbeitszeitvolumen verstärkt für Qualifizierung zu nutzen
(„investive Arbeitszeitpolitik“). Ein wichtiger Schritt
ist dabei die Verankerung des Instruments Jobrotation im
Arbeitsförderungsrecht (SGB III) mit Inkrafttreten des
Job-AQTIV-Gesetz zum 1. Januar 2002. Der Arbeitgeber, der einem
Stammarbeitnehmer die Teilnahme an einer längeren
Weiterbildungsmaßnahme ermöglicht, erhält für
die befristete sozialversicherungspflichtige Einstellung eines
Arbeitslosen als Vertreter des Stammarbeitnehmers von der
Bundesanstalt für Arbeit einen Zuschuss zu dessen Lohnkosten.
Betriebe können ihre Beschäftigten auf diese Weise
für die Weiterbildung freistellen, ohne Personalengpässe
befürchten zu müssen. Der Vertreter kann sich im Rahmen
der praktischen Tätigkeit ebenfalls weiterbilden und seine
Kompetenzen und damit seine Produktivität erhöhen.
Jobrotation ist eine sinnvolle Verknüpfung der Bildungspolitik
mit der Arbeitsmarkt- und
Beschäftigungspolitik.
Zertifizierungssysteme und
Weiterbildungsplan: Da Personen ohne formale
Qualifikation gleichwohl häufig über erhebliche
Qualifikationen verfügen, die jedoch nicht formal testiert
sind, können Zertifizierungssysteme ihre Chancen am
Arbeitsmarkt verbessern. Auch Unternehmen können über
solche Zertifizierungssysteme zusätzlich dazu motiviert
werden, für die Weiterbildung ihrer Belegschaften in
ausreichendem Maße zu sorgen. Aus diesen Gründen
könnte ergänzend ein Weiterbildungsplan analog zum
Geschäftsplan eingeführt werden, der für einen
mittelfris tigen Zeitraum, etwa fünf Jahre, den Bedarf
an Qualifikationen im Unternehmen abschätzt.
Transparenz auf dem
Weiterbildungsmarkt und Ausbau von
Beratungssystemen: Es wird empfohlen, die Transparenz
auf dem Weiterbildungsmarkt zu erhöhen. Die Lehrangebote
sollen ständig evaluiert und in Übersichten
zusammengestellt werden. Nur dann ist gewährleistet, dass
Unternehmen als auch einzelne Nachfrager abschätzen
können, welchen Wert die jeweiligen Weiterbildungsangebote
haben. Bei der Programmgestaltung sollen die Kursteilnehmer und
-teilnehmerinnen beteiligt werden. Wegen der hohen
sozialpolitischen Relevanz, die Weiterbildung in der Zukunft haben
wird, sollten Beratungssys teme aufgebaut werden, die zum
Beispiel von den Arbeitsämtern bereitgestellt werden
können.
Weiterbildung im Bereich der neuen
Medien: Die Chancen der neuen Medien
müssen konsequent für den Weiterbildungsmarkt genutzt
werden. Der Staat soll Weiterbildungsträger, wie etwa die
Universitäten, bei dem Aufbau entsprechender Bildungseinheiten
fördern.
Förderung von geeigneten
Finanzierungsmodellen: Es werden geeignete
Finanzierungsmodelle befürwortet (z. B. Bildungsgutscheine
oder staatlich gefördertes
Bildungssparen24), die Belastungen, die auf einzelne
Arbeitnehmer als Nachfrager zukommen, verringern helfen.
Grundsätzlich soll die Finanzierungsverantwortung für die
Weiterbildung bei den Tarifparteien bleiben.
Regionale Netzwerke für
Weiterbildung: Es sollten regionale Netzwerke
für Weiterbildung geschaffen werden, um Kooperationen und
Synergien besser nutzen zu können und um zu verhindern, dass
sich einzelne Arbeitnehmer in einem „anonymen
Massenmarkt“ orientieren müssen.
Innovative
Qualifizierungsmodelle: Nachahmenswert sind auch Modelle,
bei denen Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung
flexible Arbeitszeitregelungen und Qualifikationsangebote
einbeziehen.
Rahmengesetz für
Weiterbildung: Durch die sich schneller
verändernden Anforderungen im Berufsleben steigt die
Notwendigkeit eines lebensbegleitenden Lernens und damit die
Bedeutung der Weiterbildung innerhalb der Bildungspolitik. Deshalb
sollte die Weiterbildung durch ein Bundes-Rahmengesetz nach dem
Vorbild der allgemeinen Grundsätze für das Hochschulwesen
von 1969 geregelt werden, um ihrer gestiegenen Bedeutung Rechnung
zu tragen. Ziel dieses
Rahmengesetz ist es, eine systematische Strukturierung der
Weiterbildung hinsichtlich der öffentlichen Verantwortung, der
Organisation, des Zugangs, der Finanzierung, der
Qualitätssicherung und der einheitlichen Zertifizierung von
Abschlüssen sicherzustellen.
Gesetzlicher
Anspruch auf Weiterbildung für
Geringqualifizierte: Aufgrund des öffentlichen
Interesses an der Weiterbildung sollten die dafür nötigen
finanziellen Mittel der Bundesanstalt für Arbeit
zusätzlich zur Verfügung gestellt und nicht durch
Umschichtungen des bestehenden Etats aufgebracht
werden.
Ausbildungsumlage
für Unternehmen: Für den Fall, dass auf
freiwilliger und tariflicher Ebene kein ausreichendes Angebot an
Ausbildungsplätzen zur Verfügung gestellt wird, wird
empfohlen, die Unternehmen stärker in die Finanzierung eines
qualitativ ausreichenden Angebots an Ausbildungsplätzen
einzubinden, indem sie zu einer Ausbildungsumlage, die auf der
Grundlage der Bruttowertschöpfung berechnet wird, verpflichtet
werden.
Empfehlung 4-2
Aktive Arbeitsmarktpolitik
Die aktive
Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt für Arbeit ist mehr als
bisher an dem Ziel auszurichten, Arbeitssuchende in den
regulären Arbeitsmarkt zu integrieren. Einstweilen ist die
Puffer- und Auffangfunktion der herkömmlichen
Arbeitsmarktpolitik noch in einem bestimmten, wenn auch
schrittweise zu vermindernden Umfang notwendig. Denn solange noch
ein erhebliches gesamtwirtschaftliches Defizit bei der Nachfrage
nach Arbeitskräften fortbesteht, wäre die Annahme
unrealis tisch, hinreichende Flexibilität des
privatwirtschaftlich verfassten Arbeitsmarktes genüge, um das
gesamte Arbeitskräftepotenzial zu absorbieren. Für eine
längere Übergangszeit kann demnach auf öffentlich
geförderte Arbeit noch nicht verzichtet werden. Das gilt vor
allem für die neuen Bundesländer. Ebenso wenig kann die
Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik wachstums- und
beschäftigungsorientierte makroökonomische
Stabilisierungspolitik ersetzen. Im Gegenteil, die angestrebte
Integration der Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt ist nur bei
allgemeinem Wachstum und breitem Beschäftigungsaufbau
möglich; erst unter dieser Bedingung kann dann die Reform der
Arbeitsmarktpolitik Früchte tragen.
Die aktive
Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt für Arbeit kann u.a. mit
den folgenden Instrumenten unterstützt werden:
Verbesserung der
Arbeitsvermittlung: Die Verbesserung der
Arbeitsvermittlung ist durch eine Meldepflicht bezüglich der
offenen Stellen, eine Umverteilung der personellen Ressourcen
innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit zu Gunsten der
Vermittlung und einer Optimierung der Arbeitsabläufe bei der
Vermittlung zu erreichen. Außerdem müssen sich die
Vermittlungsbemühungen an einer vorausschauenden
Risikoabschätzung (nicht erst nach Maßgabe der Dauer der
Arbeitslosigkeit) orientieren, ohne Zeitverzögerung sofort bei
Erhalt der Kündigung beginnen und individuell zugeschnitten
sein. Dies kann unter Einbeziehung spezialisierter und
professioneller privater Vermittlungsdienste geschehen. Die
Zulassung und die Tätigkeit von Privatvermittlern sollte aber
weiterhin öffentlich kontrolliert werden, damit eine
Durchsetzung von Qualitätsstandards möglichst gut
gesichert und ein Missbrauch minimiert wird.
Nutzung des
Instrumentariums der Zeitarbeit für eine verbesserte
Arbeitsvermittlung: Es wird die erweiterte Nutzung des
Instrumentariums der Zeitarbeit unter folgenden Voraussetzungen
empfohlen: Zeitarbeit bedarf nach wie vor einer speziellen
gesetzlichen Regelung, die sicherstellt, dass sie nicht dafür
missbraucht wird, den Kündigungsschutz zu unterlaufen, den
unbefristeten Arbeitsvertrag als Regelfall zu umgehen und die
Tarifverträge in den Entleihbetrieben auszuhöhlen.
Für die Zeitarbeit müssen auf breiter Front
Tarifverträge abgeschlossen werden. Wo keine
Tarifverträge für die Arbeitnehmerüberlassung zu
Stande kommen, muss ein gesetzliches Gleichbehandlungsgebot
dafür sorgen, dass Zeitarbeitnehmer nicht schlechter gestellt
werden als die Stammarbeitnehmer im Entleihbetrieb. Die Kontrolle
der Zeitarbeit muss verbessert und Verstöße gegen
gesetzliche Regelungen müssen strenger geahndet werden. Dabei
muss auch die Zusammenarbeit der Behörden bei
grenzüberschreitendem Verleih verbessert werden. Es wird
ferner empfohlen, die Beschäftigungswirkungen von Zeitarbeit
in Deutschland und im internationalen Vergleich zu
evaluieren.
Vorrang für
Ausbildung und berufliche Weiterbildung:
Es wird der Vorrang
für Ausbildung und berufliche Weiterbildung unter den
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befürwortet. Die
bisherigen Instrumente müssen verbessert werden. Notwendig
sind eine genauere Differenzierung nach Zielgruppen, die
Einbeziehung Qualifizierung in die Betriebe und die unverminderte
Weiterführung der Vermittlungsbemühungen auch
während der Qualifizierungsmaßnahmen.
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden dann befürwortet,
wenn andere Instrumente nicht greifen. Sie sollten nach
Möglichkeit mit Qualifizierung verbunden werden.
Vermittlungsbemühungen sollten während der
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen unvermindert fortgesetzt
werden.
Existenzgründungen:
Es wird empfohlen, in
der Arbeitsmarktpolitik ein größeres Gewicht auf Hilfen
zur Exis tenzgründung zu legen sowie die
Rahmenbedingungen für Genossenschaften zu
verbessern.
Organisation der
Arbeitsverwaltung: Es wird eine grundlegende
Verbesserung der Organisation der Arbeitsverwaltung
befürwortet. Diese umfasst eine weitere Dezentralisierung, die
Verbesserung der Erfolgskontrollen, den Kauf spezialisierter
Dienstleistungen auf dem Markt und eine bessere Koordination mit
der Sozialhilfe und den Kommunen.
Empfehlung 4-3
Arbeitszeitpolitik25, 26
Es wird
empfohlen, sich für Arbeitszeitverkürzungen in den
verschiedensten Formen einzusetzen. Dabei kommt einer individuell
differenzierten und freiwilligen Arbeitszeitverkürzung eine
besondere Bedeutung zu. Zum einen muss die Arbeitszeit wegen der
steigenden Anforderungen an Innovationstempo und
Reaktionsgeschwindigkeit flexibler werden. Dies gilt zumindest
für die der Globalisierung ausgesetzten und wettbewerbs- und
modernisierungsintensiven Bereiche der Wirtschaft. Zum anderen ist
im Hinblick auf das für mindestens ein Jahrzehnt bestehende
gesamtwirtschaftliche Arbeitsplatzdefizit bzw. den
Arbeitskräfteüberschuss Umverteilung von Arbeit durch
Arbeitszeitverkürzung notwendig. Flexibilisierung und
Verkürzung der Arbeitszeit sind also miteinander zu
verknüpfen. Daher sind individuell differenzierte und
freiwillige Lösungen den obligatorischen und
flächendeckenden Formen von Arbeitszeitverkürzung
vorzuziehen. Dies muss allerdings innerhalb eines gesetzlichen oder
tarifvertraglichen Ordnungsrahmens geschehen. Insofern bedarf es
eines kooperativen Zusammenwirkens von Staat, Tarif- und
Betriebsparteien. Der Vorrang für individuell differenzierte
und freiwillige Arbeitszeitverkürzung entspricht auch den
bisherigen Erfahrungen. Die Lage in den einzelnen Branchen und
Betrieben und bei verschiedenen Berufs- und Qualifikationsgruppen
ist außerordentlich unterschiedlich, so dass
Arbeitszeitverkürzungen in der Form von schematischer und
flächendeckender Rationierung der Arbeitskraft nicht sinnvoll
sind. Es besteht sonst die Gefahr, dass die Arbeitszeit dort
verkürzt wird, wo passend qualifizierte Arbeitskräfte
knapp sind oder Innovationsprozesse verzögert würden bzw.
dass Arbeitszeitverkürzung keine Wirkung zeigt. Mehr
Arbeitszeitsouveränität für die Beschäftigten
bedeutet einen Zugewinn an Lebensqualität und erleichtert
zudem eine gerechtere Verteilung von unbezahlter (Familien-) Arbeit
zwischen Männern und Frauen.
Insbesondere sind
folgende Instrumente geeignet, um weitere
Arbeitszeitverkürzungen zu ermöglichen:
Rechtsanspruch auf
Teilzeitbeschäftigung: Der Rechtsanspruch auf
Teilzeitbeschäftigung wird begrüßt, wobei auch der
Anspruch auf eine Rückkehr zur Vollzeitbeschäftigung zu
prüfen wäre. Mit der jüngsten Rentenreform ist
bereits die Höherbewertung von Pflichtbeiträgen
während der Erziehung von Kindern unter 10 Jahren
eingeführt worden, wodurch Rentennachteile aus Teilzeitarbeit
weitgehend ausgeglichen werden.
Finanzielle
Förderung des Überganges von Voll- auf
Teilzeitbeschäftigung bei Wiederbesetzung durch gemeldete
Arbeitslose: Es wird eine finanzielle
Förderung des Überganges von Voll- auf
Teilzeitbeschäftigung empfohlen, aber nur bei Wiederbesetzung
durch gemeldete Arbeitslose (Teilzeitbeihilfe der Bundesanstalt
für Arbeit); dies kommt aber nur als vorübergehende
Maßnahme zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit in
Betracht.
Eingeschränkte Förderung
von Langfrist-Arbeitszeitkonten: Langfrist-Arbeitszeitkonten, die im
Extremfall bis zu Lebensarbeitszeitkonten reichen können, sind
im Grundsatz am besten geeignet, Arbeitszeitverkürzung und
Flexibilisierung zu verbinden. Allerdings besteht die Gefahr, dass
kurz- und möglicherweise auch mittelfristig, also in der Phase
noch hoher Arbeitslosigkeit, die effektive Arbeitszeit
verlängert und das am Markt angebotene Arbeitsvolumen weiter
erhöht wird und damit die Ausgrenzung eines Teils der
Erwerbsfähigen eher noch verschärft wird. In den Jahren
nach 2010, also bei demografisch bedingter Abnahme von angebotener
Arbeitskraft könnten sich in den Vorjahren angesammelte
Arbeitszeitguthaben in großem Stil sogar negativ auswirken,
weil sie zu einer zusätzlichen Verknappung des Faktors Arbeit
führen könnten. Um solche kontraproduktiven Effekte zu
vermeiden, ist es notwendig, dass die Gesamtarbeitszeit, also das
gesamte Arbeitsvolumen, das innerhalb des vereinbarten Zeitrahmens
flexibel verteilt wird, bei Einführung der
Langfrist-Arbeitszeitkonten nicht verlängert, sondern
verkürzt wird. Die Arbeitnehmer und ggf. ihre gewählten
Vertreter sind angemessen zu beteiligen. Erforderlich ist zudem,
dass die höchstzulässige Jahresarbeitszeit im
Zusammenhang mit der Arbeitszeitflexibilisierung nicht weiter
ausgedehnt wird und dass Arbeitszeitkonten keinesfalls ohne
Vergütung verfallen.
Abbau von
Überstunden: Überstundenabbau kann im
Prinzip zur Verringerung von Arbeitslosigkeit beitragen, sofern
qualifiziertes Personal für Neueinstellungen zur
Verfügung steht. Die Differenz zwischen gesetzlich
möglicher wöchentlicher und tariflich vereinbarter
Arbeitszeit sollte auf jeden Fall nachhaltig verringert werden, um
kürzere Arbeitszeiten zu erreichen. Denkbar wäre auch die
gesetzliche oder tarifvertragliche Begrenzung der
Jahresarbeitszeit.27
Empfehlung 4-4
Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit28
Es wird empfohlen,
die Frauenerwerbstätigkeit zu steigern. Deutschland hat eine
vergleichsweise niedrige Frauenerwerbsquote. Damit wird das
einheimische Arbeitskräftepotenzial nur unterdurchschnittlich
entwickelt und produktiv eingesetzt. Vor allem langfristig und im
Hinblick auf die demografische Entwicklung ist dieses Defizit eine
ernst zu nehmende Schwachstelle, weil sie den Mangel an
qualifizierten Fachkräften verstärkt. Die Steigerung der
Frauenerwerbstätigkeit ist demnach nicht nur unter dem
Gesichtspunkt der Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch im
Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit Deutschlands im
internationalen Vergleich von Bedeutung. Eine bessere
Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert nicht nur die
Erwerbstätigkeit der Frauen, sondern schafft zusätzliche
Arbeitsplätze und steigert nach den bisherigen internationalen
Vergleichen auch die Geburtenrate. Von herausragender Bedeutung ist
zudem, dass ein flexibles Angebot an entsprechenden
Kinderbetreuungseinrichtungen bereit gestellt wird.
Um eine Steigerung
der Frauenerwerbstätigkeit zu erreichen, werden u.a. folgende
Instrumente empfohlen:
Vereinbarkeit von
Familie und Beruf: Bei der notwendigen Infrastruktur
für außerfamiliäre Erziehungshilfen sind
Ganztagsschulen von besonderer Bedeutung, weil sie zugleich nach
allgemein sich durchsetzender Einsicht zur Verbesserung des
Bildungssystems beitragen.
Ferner
werden Maßnahmen im Bereich der Kinderbetreuung im
Vorschulalter empfohlen, u.a. die Einführung von
zweckgebundenen Kinderbetreuungsgutscheinen. Diese werden an
Eltern ausgegeben und können bei lizensierten Anbietern
eingetauscht werden. Es wird ferner empfohlen,
Qualitätsmindeststandards bei den
Kinderbetreuungseinrichtungen zu überprüfen, u.a.
könnten Qualitätsgütesiegel für
Kindertagesstätten eingeführt werden.
Änderung des
familienpolitischen Leitbilds bei außerfamiliären
Erziehungshilfen: Neben der Bereitstellung externer
Erziehungshilfen sollen aber auch Hilfen für den
vorübergehenden Verzicht auf Erwerbstätigkeit fortgesetzt
werden. Allerdings sollte dabei nicht mehr das inzwischen
vorherrschend gewordene 3-Phasen-Modell der weiblichen
Berufsbiografie (Vollerwerbstätigkeit vor der Kinderphase
– längere Erziehungspause –
Teilzeitbeschäftigung) als Orientierung dienen. Der Mangel
dieses Modells besteht darin, dass die zu langen Erziehungsphasen
den späteren beruflichen Wiedereinstieg erheblich erschweren
und dass es geschlechtsspezifisch wirkt, d.h. die berufliche
Benachteiligung der Frauen gegenüber den Männern, wenn
auch in abgeschwächter Form, fortsetzt. Demgegenüber
sollten die öffentlich geförderten Erziehungsphasen
bewusst kurz gehalten und nicht über den heutigen Rahmen
hinaus ausgedehnt werden; die Verbesserung der Leistungen und
Konditionen sollte eindeutig Vorrang vor der Ausdehnung der
Förderungszeit haben. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass
die Inanspruchnahme zwischen Müttern und Vätern geteilt
wird.
Rückführung des
Ehegattensplittings: Schließlich müssen
kontraproduktive steuer- und sozialrechtliche Begüns
tigungen für kinderlose Alleinverdienerehen
zurückgeführt werden. Dazu gehört vor allem das
Splitting im Einkommenssteuerrecht.
22 Vgl. hierzu auch das abweichende Minderheitenvotum
von der CDU/ CSU-Fraktion in Kapitel
11.1.7.3.
23 Vgl. hierzu auch das abweichende Minderheitenvotum
von der PDSFraktion in Kapitel
11.3.5.
24 Bildungssparen ist – ähnlich dem Bausparen
– eine Form des individuellen und längerfristigen
Geldansparens, um mit den von einer Institution geförderten
Spareinlagen Ausbildungs-, Weiterbildungsoder Umschulungskosten
begleichen zu können.
25 Vgl. hierzu auch das abweichende Minderheitenvotum
von der CDU/CSU-Fraktion in Kapitel
11.1.7.3.
26 Vgl. hierzu auch das abweichende Minderheitenvotum
von der PDSFraktion in Kapitel
11.3.5.
27 Z. B. eine Begrenzung der Jahresarbeitszeit auf 1 840
Stunden im Jahr (52 Wochen pro Jahr minus 6 Urlaubswochen
multipliziert mit 40 Wochenstunden = 46x40 = 1 840 Stunden im Jahr)
mit der Möglichkeit, diese Grenze durch Tarifvertrag oder auf
Grund eines Tarifvertrages auf bis zu 46x50 = 2 300 Stunden zu
überschreiten, wenn die Mehrarbeit durch Freizeit ausgeglichen
wird.
28 Vgl. hierzu auch das abweichende Minderheitenvotum
von der CDU/CSU-Fraktion in Kapitel
11.1.7.3.
|