6.2.1.1 Zugang zu
Kompetenzen und Qualifikation5
Der Zugang zu Bildung und Qualifikation und
dabei insbesondere die Nutzung der internationalen Informations-
und Kommunikationsmöglichkeiten stellt eine wesentliche
Voraussetzung dar, um die Chancen der Globalisierung nutzen zu
können (vgl. auch Kapitel 5).
Grundbildung umfasst den Zugang zur
Schulbildung und zur Lesefähigkeit als eine Voraussetzung zur
sozialen Teilhabe. Mitte der 90er Jahre lag der Zugang zur
Schulbildung von Mädchen und Jungen in Lateinamerika,
Ost asien, Zentralasien bei 80–90 Prozent. Hier war der
Zugang bei Jungen und Mädchen ausgewogen, oder es konnte ein
leichter Vorsprung bei Mädchen verzeichnet werden. In
Südafrika konnte fast eine „allgemeine
Schulbildung“ erreicht werden, da der Schulzugang von Jungen
bei 95 Prozent und von Mädchen bei 99 Prozent lag (UN 2000:
86). Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der
Grundbildung besteht weiterhin im Nahen Osten und in Nordafrika, wo
der Mädchenanteil bei acht bis zehn Prozent unter dem der
Jungen, aber immer noch über 75 Prozent liegt. In den
islamischen Ländern haben Mädchen also grundsätzlich
Zugang zur Schulbildung, wenn auch in etwas geringerem Umfang.
Dramatische Ungleichheiten treten dagegen in Südasien
(Mädchen: 64%, Jungen: 77%) und im subsaharischen Afrika
außer Südafrika (Mädchen: 47%, Jungen: 59%) auf.
Nach UNESCO-Schätzungen sind fast zwei Drittel der
Analphabeten auf der Welt weiblich und ihre Zahl wird noch
zunehmen. Die Zahl der weiblichen Analpha beten wird –
in absoluten Angaben – bis 2005 im subsaharischen Afrika auf
91 Millionen und in Südasien auf 285 Millionen steigen. Diese
Frauen werden von der Entwicklung ihrer Fähigkeiten und
sozia ler und politischer Partizipation weitgehend
ausgeschlossen werden. Von den positiven Seiten der Globalisierung
werden diese Frauen kaum profitieren können (UN 2000: 87).
Beim Zugang zur tertiären
Bildung6 haben sich
geschlechtsspezifische Ungleichheiten um die Mitte der 90er Jahre
deutlich verringert, und in den entwickelten Ländern sowie im
(überwiegend islamischen) Westasien und der Kari bik
überwog der Frauenanteil sogar leicht. Allerdings variiert
auch der Zugang insgesamt sehr stark: Nur eine von 1000 Frauen (bei
Männern drei von Tausend) studierten in tertiären
Einrichtungen im subsa hari schen Afrika –
außer in Südafrika, wo der Anteil von 1980–1994/6
fast verdrei facht wurde.7 In Ostasien haben sich breitere Schichten
mit einem Anteil von 20 pro Tau send bei den Frauen
und 25 pro Tausend bei den Männern den Zugang zur
tertiären Bildung eröffnet (UN 2000: 90).
Bemerkensweit ist die höhere
Bildungsintegration von Frauen in Westasien, die im Widerspruch zu
pauschalen Annahmen über die Unterordnung von Frauen in
islami schen Gesellschaften steht. Die arabischen Länder
stehen hinter den OECD-Staaten an zweiter Stelle mit den la
teinamerikanischen Ländern, was die Bildungsin tegration
von Frauen angeht (Basma Bint Talal 1996). In Jordanien strebt ein
Drittel der jun gen Frauen in der Altergruppe von 18–23
einen akademi schen Abschluss an oder hat bereits eine
universitäre oder weiterqualifizierende Ausbildung
abgeschlossen.
Auch im Bereich der neuen Informations- und
Kommunikationstechniken (IKT) zeigen sich geschlechtspezifische
Disparitäten. Um IuK-Techniken aktiv einzusetzen und zu
gestalten, bedarf es hoher und inte grierter Qualifikationen
und spezifischer technischer Ressourcen (vgl. Kapitel 5,s. Goldmann 2002).
6.2.1.1.1 Frauen in der Wissenschaft:
Die Stellung Deutschlands im internationalen Vergleich8
In einer globalisierten Welt spielt der
Ausbau von Humankapital eine zunehmend wichtige Rolle. Es ist daher
von besonderer Bedeutung, dass Frauen an diesem Prozess des
Wissensaufbaus, der durch die neuen IuK-Techniken beschleunigt
wird, beteiligt sind. In Entwicklungsländern führt der
Zugang von Frauen zu Bildung und Qualifikation insbesondere zu
einer verbesserten gesundheitlichen Aufklärung, die sich z.B.
bei der Bekämpfung von AIDS gesamtgesellschaftlich positiv
auswirkt. Exemplarisch wird an dieser Stelle jedoch auf die
Bedeutung von Frauen in der Wissenschaft in einigen
ausgewählten Industrie ländern eingegangen, da
trotz des öffentlich diskutierten Wissenschafts- und
Fachkräftemangels in Deutsch land das
Arbeitskräftepotenzial von hochqualifizierten Frauen als
Wettbewerbsgröße bislang keine ausreichend zentrale Rolle
spielt (vgl. Kapitel 4.4).
Betrachtet man die zunehmende Anzahl von
jungen Frauen an den deutschen Hochschulen, ist zunächst deren
volle Partizipation unter den Studierenden festzuhalten. Die
Hälfte aller Erstsemester an Universitäten sind Frauen
und fast 45 Prozent aller Diplome und Magister werden an Frauen
vergeben. Dagegen liegt der Frauenanteil bei den Promotionen nur
bei einem Drittel, bei den Habilitationen bei unter einem
Fünftel. Ein ähnlicher Schwund zeigt sich im
wissenschaftlichen Berufungssystem: Besetzen Frauen noch fast jede
dritte Position im wissenschaftlichen Mittelbau, so ist es jede
zehnte Position bei C2- und C3-Professuren und etwas mehr als jede
zwanzigste Position bei C-4 Professuren. In den Leitungspositionen
der Hochschulen sind Frauen mit 11,6 Prozent (2000) vertreten, in
den außeruniversitären Forschungs- und
Entwicklungseinrichtungen werden 5,7 Prozent der Leitungspositionen
von Frauen besetzt (s.Abbildung 6-3). Hinter den dargestellten
Befunden verbergen sich deutliche Unterschiede zwischen
wissenschaftlichen Disziplinen, zwischen Bundesländern sowie
Bestand und Neuzugängen. Der Frauen anteil liegt bei den
Habilitantinnen mit fünf Prozent in den
Ingenieurswissenschaften am niedrigsten, in den Sprach- und
Kulturwissenschaften mit 33 Prozent am höchsten (Allmendinger
2002).
Der Blick über die Grenzen zeigt, dass
Deutschland bei der Integration von Frauen in die Wissenschaft weit
hinter vergleichbaren Ländern zurückbleibt. Dies soll
zunächst in einem Vergleich zu den USA verdeutlicht werden, im
Anschluss daran wird die Situation in ausgewählten
europäischen Ländern dargestellt.
In den USA zeigen
sich auf jeder einzelnen Stufe markant höhere Frauenanteile,
bei Promotionen liegt der Unterschied bei über 10
Prozentpunkten, bei Habilitationen – in den USA werden hier
die vergleichbaren assistant professors betrachtet –
sogar bei 27 Prozentpunkten. Auf der Ebene von C4-Professuren (full
professors) findet man in den USA 22 Prozent Frauen, also mehr als
dreimal so viele wie in Deutschland. Im deutsch-amerikanischen
Vergleich zeigen sich darüber hinaus weitere Brüche. In
Deutschland sieht man deutlich das bereits bekannte Muster stetig
abfallender Frauenanteile, wobei der Verlust an Frauen besonders
deutlich zwischen der Promotion (33 %) und der Habilitation (18 %)
ist.
Betrachtet man
Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen
Ländern, kommt man zu ähnlichen Ergebnissen. Insbesondere
nach der Promotion liegen die Frauen anteile mit etwa 60
Prozent in Schweden und Spanien deutlich höher als in
Deutschland. In Schweden verlassen Frauen vor allem nach dem
Studium die Wissenschaft, der Frauenanteil an Promovierenden
fällt mit 34 Prozent ähnlich wie in Deutschland aus.
Gleichwohl vollzieht sich der beobachtbare Filterprozess in
Schweden und Spanien weniger drastisch als in Deutschland.
In der
öffentlichen Diskussion scheint sich über die Jahre die
Argumentation von einem qualifikationsbedingten „Frauen
können nicht“ über ein diskriminierendes
„Frauen dürfen nicht“ hin zu einem subjektiv zu
verantwortenden „Frauen wollen nicht“ verschoben zu
haben. Qualifikationsbedingte Begründungen für die
niedrigen Frauenanteile sind in der Tat kaum zu halten, auf jeder
Qualifikationsstufe gibt es wesentlich mehr ausgebildete Frauen als
sich auf der nächst höheren finden lassen. Die niedrige
Einbindung von Frauen in Führungspositionen des
Wissenschaftssystems ergibt sich hauptsächlich durch
die Organisation und die Struktur der
wissenschaftlichen Ausbildung, welche zu personenbezogen, zu
personengebunden, zu intransparent in ihren Anforderungen, zu
unsicher in ihrem Ergebnis und zu lang ist. Diese Strukturdefizite
führen zu dem großen Schwund von Frauen zwischen erstem
Hochschulabschluss und der Promotion, insbesondere aber zwischen
Promotion und Professur. Neben strukturellen Defiziten müssen
sich Frauen zudem zwischen verschiedenen Lebensentwürfen
entscheiden, da die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht
ausreichend gewährleistet ist.
5 Dieses Kapitel basiertauf einem Gutachten von Lenz
(2002).
6 Der tertiäre Bildungsbereich umfasst v. a. die
verschiedenen Hochschularten und in eingeschränktem Umfang
Einrichtungen außerhalb des Hochschulbereichs, z. B.
Berufsakademien (KMK 2001: 146)
7 1994/6 studierten in Südafrika sieben von tausend
Frauen und acht von tausend Männern in tertiären
Bildungseinrichtungen (UN 2000: 90).
8 Dieses Unterkapitel beruht auf einem Gutachten von
Allmendinger (2002).
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