6.2.1.2 Zugang zur
Erwerbstätigkeit9
Bei dem Zugang zu
Erwerbstätigkeit zeigen sich ebenfalls die
widersprüchlichen Tendenzen einer Modernisierung von
Ungleichheit. Die Erwerbsintegration von Frauen ist in einigen
Regionen (z. B. den USA, Westeuropa und La teinamerika) rasch
angestiegen, jedoch treten neue Formen von Marginalisierung und
Ausschluss u.a. durch die Globali sierung zutage.
Die Muster der
weiblichen Erwerbsintegration in den letzten 20 Jahren –
parallel zur Globalisierung – sind regional sehr
unterschiedlich. In Nordamerika und Westeuropa sind die weiblichen
Erwerbsquoten auf 50 Prozent oder mehr ange wach
sen, in Latein amerika stiegen sie auf ca. 40–50
Prozent. Das erste Muster ist also eine rasch zunehmende
Erwerbsintegration von Frauen, auch Müttern während der
Kinderbetreuungsphase (UN 2000: 110–2). Das zweite Muster
bildet ein leichter Anstieg oder Kontinuität bei einer hohen
Frau en er werbstätigkeit, die auf vorige
Modernisierungsphasen zurückgeht. In Osteuropa blieb die
weibliche Erwerbsquote weiterhin hoch. In Ostasien lag sie bereits
um 1980 bei knapp unter 60 Prozent und wuchs nun leicht. Im
subsaharischen Afrika außer Südafri ka beträgt
die Quote entsprechend der herkömmlichen Geschlechterrollen 64
Prozent (1997). Auch hier sind Mütter während der
Kinderbetreuung erwerbstätig (UN 2000: 110–2). Das
dritte Muster bildet die langsame Erwerbsintegration von Frauen in
Nordafrika (29%) und Westasien (33%) (für 1997, UN 2000:
110-112). Zur Erklärung wird häufig auf kulturelle
Vor be halte gegen geschlech ter gemischte
Arbeitszusammenhänge verwiesen. Doch ist die Segregation nach
Geschlecht in verschiedenen Sektoren des Arbeitsmarktes oft eng
verwoben mit der informellen Natur der
Beschäftigungsverhältnisse (vgl. Kapitel 4.9.1).10In modernen und qualifizierten Berufen
zeigen sich einerseits Trends zur Geschlechtertrennung, so dass z.
B. Ärztinnen Frauen behandeln und damit ihre Chancen eben auf
der Segregation beruhen. Andererseits aber wird laut empirischen
Untersuchungen Berufsarbeit von Frauen in geschlechtergemischten
Arbeitskontexten zunehmend akzeptiert, wenn die Berufe ein hohes
Prestige haben (wie z. B. bei Lehrern und Lehrerinnen) und die
Arbeitsbeziehungen durch Arbeitsverträge und geregelte
Einkommen formal geregelt sind (s. Kröhnert-Othman 2000). Die
– langsame – Berufsintegration vollzieht sich also in
Kontexten von gemischten und segregierten Arbeitsplätzen. Die
berufliche Segregation ist in Ostasien am geringsten11 und im Nahen Osten und Nordafrika am
höchsten. Die OECD Länder und Osteuropa liegen im
Mittelfeld (Anker 1998: 175).
Wirtschaftliche
Führungspositionen haben als Entscheidungspositionen in der
Globa lisierung strategische Bedeutung. Doch hat das
Management in Ländern der OECD (mit Aus nahmen), im
Nahen Osten, in Asien und in den Entwicklungsländern einen
Män ner anteil von mehr als 80 Prozent. Nur in
fünf OECD Ländern liegt dieser darunter, in Ka
na da und den USA immerhin bei unter 60 Prozent (Anker 1998:
263, 268f.). Aber auch die Vorarbeiter/Meis- ter (production
supervisors/general foremen), d.h. die Füh rungs
grup pen vor Ort in der Produktion, sind
„Mann schaften“ mit einem durch
schnitt lichen Männeranteil von mindestens 90 Prozent.
Nur bei sechs Ländern (von 54) liegt der Anteil unter 90
Prozent; sie verfügen jeweils über eine
beträchtliche exportorientierte Tex tilindustrie mit
vielen Arbeiterinnen (Anker 1998: 263, 274ff.).
Linda McDowell
(1997) analysiert in ihrer Studie über die Finanzhochburg
London, dass als ein Ergebnis des expandierenden internationalen
Dienstleistungssektors es jungen, gut ausgebildeten Frauen gelungen
ist, in die mittleren und oberen Ränge der Wirtschafts- und
Finanzwelt der „global cities“ einzudringen; allerdings
mit der Einschränkung, dass ungeachtet der wachsenden Zahl von
Frauen in Topmanagementpositionen im globalen Wirtschaftssys
tem und internationalen Beziehungen, diese Welten nach wie vor als
„männlich“ bezeichnet werden können.
Frauen arbeiten
international zunehmend in der Lohnarbeit, aber dies wird nicht
durch Ver änderungen in der unbezahlten Arbeit
aufgefangen. Dabei zeigen Wirtschaft, Bil dungs system
und Politik eine „strukturelle
Rücksichtslosigkeit“ gegenüber den Leistungen von
Familie und Frauen, da zeitlich keine Rücksicht auf sie
genommen wird und sie oft nicht honoriert und anerkannt werden.
Auf die besondere
Bedeutung, dass das grundlegende Humanvermögen der
Gesellschaft durch die Versorgungsarbeit von Familien, vor
nehm lich von Frauen, produ ziert wird, verweist auch
der 1994 vorgelegte fünfte Fami lienbericht der
Sachverständigenkommission des Familienmini ste
riums. Unter Humanvermögen werden Daseins- und Fachkompetenz
verstanden, d. h. die Befä higung zur Lösung
qualifizierter gesellschaftlicher Auf gaben in einer
arbeitsteiligen Wirtschaft. Die Leistungen der Familie beim Aufbau
des volkswirt schaft lichen Humanvermögens werden
für die alte Bundesre publik für 1990 auf 15,286
Billionen angesetzt, wohin gegen das gesamte Sachver
mögen 1990 auf ca. 6,9 Billionen bezif fert wird.
Familienarbeit ist also nicht wertlos, sondern so wertvoll, dass
sie als unbezahlbar angesehen wird. Ferner sind Frauen
häufiger in unbezahlter oder informeller Beschäftigung
tätig. Frauen sind in vielen Teilen der Welt vorrangig
für die Ernährung und Versorgung ihrer Kinder
verantwortlich, und sie haben die alltägliche
‚Ernährer rolle’. Bei Alleinerziehenden spitzt sich die Zeitfalle zu.
Frauen arbeiten durchschnittlich sehr viel länger als
Männer, zählt man die bezahlte und die unbezahlte Arbeit
zusammen (Weltbank 2001a: 66).
Deswegen wirkt sich der Um- oder Rückbau
des Wohlfahrtsstaats oder der sozialen Dienstleistungen gerade auf
Frauen dramatisch aus. Die IWF-Forderungen zur Kürzung
„unproduktiver Sozialberei che“ in
Kinderversorgung, Schulen oder dem Gesundheits wesen haben in
den Entwicklungsländern Frauen in den Armenschichten, die die
Mehrheit bilden, hart getroffen (Lenz 2002).
9 Dieses Kapitel beruhtauf einem Gutachten von Lenz
(2002).
10 Segegriert sind Berufe, in denen mindestens 80
Prozent eines Geschlechts vertreten sind.
11 In Ostasien ist die horizontale
Geschlechterdisparität, d. h. Rangstufen innerhalb eines
Berufs, stärker ausgeprägt als berufliche vertikale
Segregation.
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