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Robert Luchs
Das Ringen um ein Tribunal
Der internationale Prozess gegen die Roten Khmer
verzögert sich
Phnom Penh - Kambodschaner sind geborene
Schauspieler. Und sie gehen gern ins Theater, sei es ins Chaktomuk
unweit des Tonle Sap-Flusses in Phnom Penh oder ins
traditionsreiche Sovanna Phum, wo eine Mischung aus Marionetten-
und Schattentheater gepflegt wird. König Norodom Sihanouk, der
als seine eigene Legende vor einem Jahr abdankte, verfeinerte die
Schauspielkunst auf der politischen Bühne bis zur Vollendung.
Ihm gelang im Vietnamkrieg das tragisch endende Kabinettstück,
den Vietnamesen die Benutzung des durch weite Teile Kambodschas
führenden Ho-Tschi-Minh-Pfades zu gestatten und den
Amerikanern kurz darauf die Bombardierung desselben. Sihanouks
Schaukelpolitik ging in die Geschichtsbücher ein. Ein
Schattenboxen ganz anderer Art führen derzeit die Regierenden
in der konstitutionellen Monarchie Kambodscha auf.
Seit nahezu acht Jahren wird um ein Tribunal
gerungen, das die Verantwortlichen des mörderischen
Pol-Pot-Regimes aburteilen soll. Im Juni 2003 wurden die
Verträge zwischen den Vereinten Nationen und der Regierung Hun
Sen in Phnom Penh unterzeichnet, und im Oktober 2004 wurde
schließlich die Tribunalvereinbarung mit der UN von der
Nationalversammlung verabschiedet. Die Gerechtigkeit sollte ihren
Lauf nehmen, nach über einem Vierteljahrhundert.
Von 1975 bis 1979 hatten die Roten Khmer eine
Schreckensherrschaft über die damals sieben Millionen
Kambodschaner ausgeübt. In Säuberungswellen wurden 1,7
bis zwei Millionen Menschen umgebracht, sie wurden erschlagen,
starben an Überarbeitung und Hunger oder erlagen Krankheiten,
für die es keine Ärzte mehr gab - denn auch diese waren,
wie nahezu die gesamte Elite des Landes, umgebracht worden. Die
Rebellen vernichteten alles, was ihrer Schreckensvision von einem
Steinzeit-Kommunismus im Wege stand. Ziel ihrer
kommunistisch-maoistischen und zugleich nationalistischen Ideologie
war ein radikaler Neubeginn ("year zero"). Erst am 8. Januar 1979
wurden die Roten Khmer durch vietnamesische Truppen von der Macht
verdrängt.
Bei der Einrichtung eines internationalen
Tribunals erwies sich zuletzt die Finanzierung als
größtes Hin-dernis. Stellten die Vereinten Nationen 43
Millionen Dollar dafür bereit, so hatten die Kambodschaner aus
ihrem Topf 13,3 Millionen Dollar zugesagt. Spätestens in der
ersten Hälfte 2005 sollten die Richter die
Eröffnungsglocke läuten, versprach vollmundig Sean
Visoth, Leiter der kambodschanischen Task Force für das
internationale Tribunal. Der Sommer verging, der Herbst kam, der
Vorhang für den Prozess, von der internationalen Gemeinschaft
mit durchaus gemischten Gefühlen erwartet, blieb geschlossen.
Alles nur Theater?
Die kambodschanische Regierung bedient sich
wie-der einmal einer geschickten Hinhalte-Taktik. Sie könne,
so heißt es jetzt im Ministerrat in Phnom Penh, von den 13,3
Millionen nur 1,5 Millionen Dollar aufbringen, den Rest solle
ebenfalls die internationale Gemeinschaft zahlen. Indien hat
unterdessen eine Million zugesagt, und in Phnom Penh wartet man
stoisch darauf, weitere Gelder von dem einen oder anderen Geberland
einkassieren zu können. Das südostasiatische Land scheint
verwöhnt zu sein, besteht doch nahezu die Hälfte des
Haushalts aus Auslandsgeldern. Darauf, dass Kambodscha sich
zugleich für die Ausrichtung der 300 Millionen Dollar
kostenden Asienspiele bewirbt, möchten Regierungsmitglieder
ungern angesprochen werden.
Schließlich stelle Kambodscha das
Hauptquartier seiner Streitkräfte samt erforderlicher Umbauten
in der Nähe des Flughafens für das Tribunal zur
Verfügung, so Visoth. Dort sei die
größtmögliche Sicherheit gewährleistet,
beteuert der Leiter der Arbeitsgruppe. Kritiker befürchten
jedoch, durch die Wahl des Standorts könnten Zeugen leichter
beeinflusst werden, sind doch gerade in den Streitkräften auch
ehemalige Mitglieder der Roten Khmer untergekommen. Pen Dareth, im
Ministerrat auch für deutsch-kambodschanische Beziehungen
zuständig, unterstreicht die Entschlossenheit seiner
Regierung, mit dem Tribunal zu beginnen. Zugleich erinnert er
daran, dass zwar einige europäische Länder wie Frankreich
und Deutschland das Tribunal finanziell unterstützen, nicht
aber die Europäische Union als Institution. Sollte der Westen
hinsichtlich des kambodschanischen Beitrags misstrauisch sein, so
schlage er die Einrichtung eines Treuhandkontos vor.
Kambodscha habe schließlich
tausendundein Problem, meint Dareth und lässt erkennen, dass
das Tribunal für Kambodscha längst nicht die
Priorität habe, wie für den überwiegenden Teil der
Völkergemeinschaft. Nach schweren Überschwemmungen habe
sein Land jetzt erneut mit einer Dürreperiode zu kämpfen
und die Vogelgrippe stelle Kambodscha vor weitere
Herausforderungen. Auf die Frage, ob China politischen Druck auf
Ministerpräsident Hun Sen ausübe, um das Tribunal zu
verzögern, wenn nicht gar zu verhindern, bleibt Dareth eine
klare Antwort schuldig. Peking sehe den Prozess unter den Augen der
Weltöffentlichkeit "sicher nicht so gerne", aber China
könne sich nicht gegen die Souveränität eines
Landes, geschweige denn gegen die Völkergemeinschaft stellen,
erklärt Dareth.
Das sehen westliche Kreise in Phnom Penh
anders. Ein europäischer Diplomat hält chinesische
Interventionen sogar für sehr wahrscheinlich. Die
Volksrepublik, die seit vielen Jahren Ex-König Sihanouk eine
Villa zur Verfügung stellt und ihn medizinisch betreut,
könne kein Interesse daran haben, dass ihre massive
Unterstützung des Massenmörders Pol Pot vor einer breiten
Öffentlichkeit ans Licht gezerrt werde. Irritationen hat auch
die Ernennung der Chinesin Michelle Lee als UN-Beauftragte für
das Tribunal ausgelöst. Phnom Penh hat die Diplomatin bisher
noch keinen Besuch abgestattet. Wolfgang Meyer, Landesbeauftragter
der Konrad-Adenauer-Stiftung in Phnom Penh, ist ebenfalls der
Meinung, dass die Chinesen "ganz erheblichen Einfluss auf die
kambodschanische Regierung" ausüben, da sie keinerlei
Interesse an einem Tribunal haben - und an der späten
Aufdeckung ihrer Mitverantwortung an dem Genozid. Selbst nach ihrem
Sturz operierten die Roten Khmer und ihre Koalitionäre mit
direkter Unterstützung Chinas gegen die neuen Machthaber in
Phnom Penh.
Dass die geflohenen Roten Khmer in den
Flüchtlingslagern an der thailändischen Grenze von den
Vereinten Nationen ein Vielfaches der Hilfe erhielten, die
Kambodscha selbst zuteil wurde, gehört zu den
unrühmlichsten Kapiteln der Völkergemeinschaft - nur noch
übertroffen von der Präsenz der Roten Khmer auf dem
UN-Parkett in New York.
Auf einen anderen Aspekt verweist Chhim
Phal-Varoun, langjähriger juristischer Berater der
Nationalversammlung. Peking habe seine Finger in jedem
größeren Projekt des Landes, stelle Planer, Architekten
und großzügige Kredite zur Verfügung. In den letzten
beiden Jahren sei mehr Geld aus China nach Kambodscha geflossen als
jemals zuvor, sagt Chhim. Hun Sen habe gar keine andere Wahl, als
China willfährig zu sein. 2004 habe der Regierungschef, was
ungewöhnlich sei, Peking gleich mehrmals besucht. Die
Volksrepublik versuche offensichtlich, den vietnamesischen Einfluss
einzudämmen und richte seine Politik gegenüber Kambodscha
aus geostrategischen Gründen neu aus. In diese Politik passt
kein Tribunal, das auch Peking ebenfalls an den internationalen
Pranger stellen würde.
UN-Generalsekretär Kofi Annan, der das
Zustande-kommen des Tribunals eine Zeitlang forcierte, gilt
inzwischen als prominentestes Opfer kambodschani-scher
Hinhalte-Taktik. Er rechne, ließ er verlauten, nicht mehr vor
Oktober 2006 mit Prozessbeginn. Erste kambodschanische Richter
sollen bereits im Völkerrecht geschult worden sein, wobei nur
zehn Prozent von ihnen einen Universitätsabschluss hat. Dass
nicht nur Bürgermeister, sondern auch Richter mit einer
ordentlichen Bestechungssumme zu Amt und Würden kommen, ist in
Kambodscha ein offenes Geheimnis.
Für das Tribunal sind gemischt besetzte
Kammern in zwei Instanzen vorgesehen, die in der ersten Instanz aus
drei kambodschanischen und zwei internationalen Richtern und in der
zweiten Instanz aus vier kambodschanischen und drei internationalen
Richtern bestehen sollen. Die Entscheidungen müssen
erstinstanzlich von vier, zweitinstanzlich von fünf Richtern
getragen werden. Das heißt, dass für ein Urteil die
Stimme mindestens eines internationalen Richters erforderlich sein
wird. Mit mehr als zwölf Angeklagten wird nicht
gerechnet.
Endet das Tribunal als Farce, so wie das
"Peoples Revolutionary Tribunal (PRT), das vom 15. bis 19. August
1979 im Chaktomuk-Theater in Phnom Penh stattfand? Ein halbes Jahr
nach der Schreckensherrschaft Pol Pots sollten innerhalb von
fünf Tagen die Gräueltaten aufgearbeitet werden. Der
Richter benannte zwei Pflichtverteidiger für Pol Pot und Ieng
Sary, gegen die in absentia verhandelt wurde. Das Volksgericht
befand die beiden des Völkermords schuldig und verurteilte sie
zum Tode. Das Urteil wurde nie vollstreckt.
Pol Pot starb 1998, zwei Jahre zuvor kehrte
Ieng Sary, unter Pol Pot Außenminister, den Roten Khmern den
Rücken und wurde von König Sihanouk amnestiert. Ieng Sary
lebt an der Grenze zu Thailand, gelegentlich wird er aber auch in
seiner Villa in Phnom Penh gesehen.
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