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Robert Luchs
Kleiner Tiger auf dem Sprung
Kambodschas Hauptstadt boomt - doch das Geld
bleibt nicht in der Stadt
Entschuldigung" - so begrüßt Kambodscha den Gast auf
dem Flughafen Pochentong. Das Computersystem sei, sorry, noch nicht
ausgereift; daher könne es zu Verzögerungen kommen,
entnimmt der Besucher einem Hinweis gleich neben der Passkontrolle.
Mit Ungelegenheiten muss der Reisende nunmehr seit drei Jahren
rechnen - seit das Flughafengebäude in Betrieb ist.
Kambodschas Leidensweg aus Völkermord, Bürgerkrieg und
terroristischen Attacken der Roten Khmer ist bis ins Ende der
90er-Jahre hinein unfassbar beschwerlich. Und dennoch sind dem
südostasiatischen Land Zeitsprünge gelungen, an die vor
wenigen Jahren noch niemand zu glauben wagte. Die Roten Khmer
hatten Kambodscha nahezu ausgelöscht, Pol Pots
Mörderregime das Land verwüstet, die Bevölkerung zur
Zwangsarbeit gezwungen und die Intellektuellen ausgerottet. 1,7
Millionen Menschen wurden Opfer des Genozids. So grenzt es an ein
Wunder, dass heute in Geschäften und Restaurants die Handys
klingeln, Internet-Cafes in Phnom Penh an jeder Straßenecke
ihre Dienste anbieten und wissensdurstige Jugendliche Computerkurse
besuchen.
Geht es in diesem Tempo weiter, wird auch bald das
Computersystem am Flughafen funktionieren. Wäre der
atemberaubende Verkehr in den Straßen der Hauptstadt ein
verlässlicher Gradmesser für wirt-schaftliches Wachstum,
Kambodscha müsste boomen. Einkaufszentren wetteifern mit neuen
Hotels, Restaurants mit mehrstöckigen Bürogebäuden.
Das Geld aber bleibt nicht in der Millionenstadt, die Investitionen
in Glas und Beton kommen aus Malaysia, aus Thailand, Singapur und
vor allem aus China. Und dorthin fließen die Geldströme
wieder zurück. Die Kambodschaner müssen sich mit
unterbezahlten Dienstleistungen begnügen, mit einem
durchschnittlichen Jahreseinkommen von etwa 300 Dollar.
Kun Vuthy stammt aus der Provinz Kompong Speu und arbeitet in
der Textilfabrik Thai-Pore am Rande von Phnom Penh. Sie ist eine
von fast 1.000 jungen Frauen, die sechs Tage in der Woche das
Material für Sweater, Damenwesten und Hemden zuschneiden, die
überwiegend in die USA und nach Europa exportiert werden. Die
21-Jährige hat in der Nähe ein kleines Zimmer für
acht Dollar im Monat gefunden. Sie verdient 45 Dollar,
Überstunden werden extra bezahlt, so dass die junge Frau ihre
sechsköpfige Familie auf dem Land damit über Wasser
halten kann.
Roger Tan, Manager aus Singapur, hat 1994 - ein Jahr nach den
ersten demokratischen Wahlen - die Aufbruchstimmung genutzt und mit
einigen hundert Arbeiterinnen die Produktion aufgenommen. Ging es
in den ersten Jahren rasant nach oben, "so machen uns heute vor
allem die Chinesen zu schaffen", ist Tan besorgt. "Sie sind unser
größter Wettbewerber. Da hat Kambodscha mit seinem Mangel
an Rohstoffen keine Chance." Auch andere für die Fertigung
notwendigen Produkte müssen für teures Geld
eingeführt werden.
240 Textilfabriken umgeben Phnom Penh, erheblich weniger sind es
in der Hafenstadt Sihanoukville. Hinzu kommen einige Schuhfabriken.
Die meisten Betriebe werden von Ausländern geleitet.
Außer aus China kommen sie aus Taiwan, Malaysia und Singapur.
"Es gibt nicht genügend kambodschanische Unternehmer, die das
können", sagt Van Sou Ieng vom Branchenverband GMAC. Dem Land
fehlen die geschulten 40- und 50-Jährigen, die Pol Pots
Mörder-Regime auslöschte. Auch in den Ministerien und in
den Stadtverwaltungen fehlt es an Personal, das sachkundig beim
Aufbau mittlerer Industrieunternehmen helfen könnte. Als Folge
bleiben die Investitionen nicht im Land, sondern fließen als
vervielfachte Gewinne wieder in die Nachbarländer. Roger Tan
nennt ein weiteres Problem: 1996 hätten die USA ihre Grenzen
für Hemden, T-Shirts und Hosen aus Kambodscha geöffnet,
"in diesem Jahr aber hat uns der Wegfall des Quotensystems schwer
getroffen". Als unmittelbare Folge schließt der Chef von
Thai-Pore erneut steigende Arbeitslosigkeit nicht aus, an der auch
die einflussreichen Gewerkschaften wenig ändern könnten.
Für Kun Vuthy wäre dies eine Katastrophe - und für
ihre Familie in der Provinz erst recht.
"Kambodscha wird dadurch deutlich benachteiligt, da seine
Kostenstruktur deutlich höher ist als etwa diejenige des
Konkurrenten China und sein großer Vorteil darin lag, dass die
Chinesen ihre Quoten aufgebraucht hatten", heißt es bei den
Analysten von Mekong Capital. Eine weitere schwere Hypothek der
kambodschanischen Wirtschaft besteht darin, dass sie mit dem
Tourismus nur ein zweites Standbein hat. Dieser wuchs zwar in den
letzten Jahren erheblich - 2004 waren es bereits eine Million
Besucher - und trägt mit rund 300 Millionen Dollar zum
Staatshaushalt bei. Wo jedoch Expertise gefragt ist, machen wieder
ausländische Investoren, wie aus Thailand, das Rennen.
Dabei ist es ein Glück für Kambodscha, dass die UNESCO
mittlerweile nicht weniger als vier Stätten zum Weltkulturerbe
erklärt hat: Außer der 800 Jahre alten Tempelstadt Angkor
Wat, die als eine Art achtes Weltwunder gilt, gehören der
Preah-Vihear-Tempel im Norden des Landes dazu, ferner ein noch
nicht näher definiertes Naturdenkmal in den Kardamom-Bergen in
Westkambodscha sowie neuerdings auch der Zentralmarkt (Psar Thmei)
in Phnom Penh, eine Art Wahrzeichen der Hauptstadt.
Es ist einer der großen und für das Land teuren
Widersprüche, dass Früchte und Gemüse aus
Nachbarländern wie vor allem aus Vietnam gekauft werden -
Produkte also, mit denen die Kambodschaner selbst Geld verdienen
könnten. Kambodscha könnte sogar bei nur einer Ernte im
Jahr zehn Prozent der Jahresproduktion exportieren, doch ist die
Verteilung so unzureichend, dass Menschen in einigen Provinzen
hungern müssen. Viele haben auch kein Geld, um Lebensmittel zu
kaufen. Vietnam hingegen mit seinen vergleichbaren klimatischen
Bedingungen erntet den Reis dreimal im Jahr.
Thomas Engelhardt, Leiter der Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ) in Phnom Penh, ist verhalten optimistisch.
"Für 2005 wird ein Wirt-schaftswachstum von 6,1 Prozent
erwartet, nachdem im vergangenen Jahr das Wachstum sogar bei 7,7
Prozent gelegen hat." Das erinnert an den Boom der asiatischen
Tigerstaaten. Allerdings geben die Zahlen ein verzerrtes Bild
wieder, weil die kambodschanische Ausgangsposition viel
schwächer war. Auch Engelhardt sieht zwar die starke
Abhängigkeit von den Investitionen der Nachbarländer.
Darin liege aber auch eine große Chance, "weil sich Kambodscha
einem wachsenden Markt gegenübersieht, für den es
produzieren könnte".
Paul Thomas, Sprecher des Arbeitskreises der deutschen
Wirtschaft in Phnom Penh meint ebenfalls, Kambodscha sei "auf einem
guten Weg, Terrain gutzumachen und in zehn Jahren einen annehmbaren
Standard erreicht zu haben". Hier gebe es für Unternehmer
allerdings keine eingefahrenen Gleise wie in Singapur oder
Hongkong. "Ein Investor, der hier Geld verdienen will, muss seine
Hände auch mal in den Dreck stecken", betont Thomas, der vor
Jahren aus Singapur kommend inzwischen in Phnom Penh mehrere Firmen
gegründet hat. Sein Fazit: "Hier ist noch echter Pioniergeist
gefragt."
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