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Robert Kaltenbrunner
Visionen eines Miteinander
Städte als
Gesellschaftsgestaltung
Stadtentwicklung versandet heute immer mehr zwischen
Schadensbegrenzung und Resignation. Das Modell der
,europäischen Stadt' und die Vorstellungswelt des ,Flaneurs'
haben inzwischen nur noch wenig gemein mit dem, was die
großstädtische Wirklichkeit bestimmt. Dennoch, es gibt
durchaus Ansätze, die eine Wiederbelebung oder Erneuerung der
Beziehung von gelebtem Alltag und gebauter Umwelt zum Ziel
haben.
Es gibt Anstöße, die ganz entschieden um eine
geistig-gedankliche Vorstellung dessen ringen, was Stadt in Zeiten
des technologischen und gesellschaftlichen Umbruchs sein
könnte. So auch die vorliegende Dokumentation eines
Symposiums, welches das Ernst-Bloch-Zenrum der Stadt Ludwigshafen
mit dem zeitgeistigen Begriff "future: lab" lancierte. Weil es
augenscheinlich notwendiger denn je ist, die "Stadt als
Ausgangspunkt für die politische Erneuerung der Gesellschaft"
- so der Herausgeber - zu begreifen, sollten hier
"Zukunftsentwürfe für eine Kultur- und Bürgerregion"
am Beispiel des Rhein-Neckar-Dreiecks theorie- und
praxisübergreifend formuliert werden.
Identität, Strahlkraft, Partizipation und Symbol dienen
dabei als Markierungen, und selbst vor dem großen Wort Utopie
schreckt man nicht zurück. Auf dem Weg dorthin stellen sich
Herausgeber und Autoren aber auch greifbareren Aspekten:
Beispielsweise wollen sie die übliche Polarisierung von harten
Faktoren - Wirtschaft, Arbeitsplätze und Verkehr - einerseits
und weichen - Freizeit, Kultur, Sport und Lebensqualität -
andererseits ad acta legen. Sattdessen betonen sie deren
Zusammenhang, welcher überhaupt erst urbane Dynamik und
Vitalität ermögliche.
Unbequeme Einsichten
Viele unbequeme Einsichten, und darin liegt der Wert des Buches,
werden hier formuliert. Wer in der Liga der attraktiven Regionen
mitspielen wolle, so der Ethnologe Wolfgang Kaschuba, der bedarf
zunehmend der Migranten - ihrer Arbeitskraft und ihres Wissens,
auch ihrer Sprachen und Mentalitäten, ihrer Musik- und
Esskulturen: "Diese vorher eher ,exotischen' Elemente werden zu
selbstverständlichen Bestandteilen der ,symbolischen
Ökonomie' großer Städte und Regionen: zu einer
kulturellen Angebotspalette, die mit dem Badischen, dem
Pfälzischen oder dem Hessischen allein eben nicht
weltläufig genug daherkommt."
Der Soziologe Albrecht Göschel weist beredt darauf hin,
dass eine rein territoriale Bestimmung von Region zwar der
Funktionsweise des Staates entspreche, aber als Bedingung
bürgerschaftlichen Engagements kaum tauge. Ein regionales
"Wir" lässt sich tatsächlich nur fassen und bewusst
machen, wenn auch die Transformation vom fest umschlossenen Ort zu
einer Überlagerung von Netzen mit unterschiedlichen
Reichweiten lebensweltlich verarbeitet wird.
Herausgekommen sind konzise und erhellende Essays, die jedoch
untereinander kaum einmal vertiefende Bezüge herstellen.
Trotzdem stehen sie für eine neue Vernunft, die eine Skepsis
gegenüber bloß räumlich definierten Leitbildern mit
der Forderung nach Selbstreflexion und permanentem Gespräch
"aller mit allen" verknüpft. Dass Ernst Bloch dem als
Referenzfigur dient, ist naheliegend: "Die immer künstlicher
werdende Stadt ist in ihrer Abgehobenheit und Landschaftsferne
dermaßen kompliziert und verwundbar zugleich, dass sie von
Unfällen im selben Verhältnis wachsend bedroht ist, wie
sie sich auf immer mehr synthetisch hergestellten Wurzeln aufbaut."
Diese im Jahr 1929 notierte Beobachtung des Philosophen steckt noch
immer ein Problem- und Handlungsfeld gleichermaßen ab.
Klaus Kufeld (Hrsg.)
Wir bauen die Städte zusammen.
Die Bürgerregion als Utopie?
Verlag Karl Alber, Freiburg 2004; 180 S., 15,- Euro
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