"Bei der SPD herrscht ein inhaltliches
Vakuum"
Interview mit Ulrich Maurer, parlamentarischer
Geschäftsführer der Linkspartei im Bundestag
Ulrich Maurer sorgte im Sommer dieses Jahres
für Aufsehen, als er in einem Brief scharfe Vorwürfe an
die Mitglieder des SPD-Parteivorstands erhob. Die
Parteiführung habe sozialdemokratische Grundwerte verraten und
sich der neoliberalen Politik Gerhard Schröders gebeugt,
schrieb Maurer im Mai. Einen Monat später trat er nach 35
Jahren aus der SPD aus, für die er in Baden-Württemberg
lange Jahre in Führungspositionen gearbeitet hatte. Seit 1980
gehörte er dem Landtag an, von 1987 bis 1999 war er
Vorsitzender der Landes-SPD. Von 1990 bis 2003 gehörte er dem
SPD-Bundesvorstand an. Seit Juni 2005 ist er Mitglied der WASG und
sitzt seit Oktober für die Linkspartei im Bundestag. Das
Gespräch fürte Claudia Heine.
Das Parlament: Herr Maurer, wie erging
es Ihnen als ehemaligem SPD-Mitglied bei der Schelte, die die
Sozialdemokraten auf dem Parteitag in Dresden kassiert haben.
Fühlten Sie sich in gewisser Hinsicht auch angesprochen? Sie
sind ja erst im Juni dieses Jahres in die WASG
eingetreten?
Ulrich Maurer: Nein. Die Kritik, die
dort an der SPD-Politik geübt wurde, ist die gleiche, die ich
selber geäußert habe und äußere und deretwegen
ich auch die SPD verlassen habe. Insofern habe ich da keinerlei
Gefühlsprobleme.
Das Parlament: Der neue
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil verkündete
kürzlich, den Begriff des "demokratischen Sozialismus" im
neuen Grundsatzprogramm der Partei verankern zu wollen. Warum ist
dieser Begriff als politische Kategorie so beliebt?
Ulrich Maurer: Ich bin mir ziemlich
sicher, dass die SPD diesen Begriff aufgegeben hätte, wenn es
uns nicht geben würde. Denn sie ist schon lange nicht mehr in
der Lage, ihn mit irgendeinem Inhalt zu füllen. Überhaupt
herrscht, denke ich, bei der SPD ein großes inhaltliches
Vakuum, das Schröder hinterlassen hat. Die SPD hat in ihren
programmatischen Aussagen, gerade von Leuten wie Platzeck oder
Heil, die gesamte Gerechtigkeitsfrage auf das Thema
Chancengerechtigkeit reduziert. Insofern weiß ich nicht, was
die mit dem Begriff des "demokratischen Sozialismus" anfangen
wollen. Ich glaube, sie sagen das, weil sie Konkurrenz von einer
linken demokratischen Partei haben.
Das Parlament: Auch im Streit zwischen
der Linkspartei und der WASG spielt der Begriff eine wichtige
Rolle. Der WASG wird nachgesagt, Probleme mit dem Leitbild des
"demokratischen Sozialismus" zu haben. Ist dieser Begriff für
Sie problematisch? Was bedeutet er für Sie?
Ulrich Maurer: Nein. Er ist ganz und
gar nicht problematisch für mich. Ich komme aus der
Sozialdemokratie und bin mit diesem Begriff groß geworden. Er
beschreibt meine Identität. Und er ist die ganz große
Herausforderung an jede linke Partei: die Idee von Freiheit,
Gleichheit und Gerechtigkeit zusammenzuführen. Und was dieser
Begriff meint, ist, die Idee von Gleichheit mit dem demokratischen
Anspruch zu verbinden.
Das Parlament: Klaus Ernst, der
Vorsitzende der WASG, hat noch auf einen anderen kulturellen
Unterschied zwischen der Linkspartei und der WASG hingewiesen, den
des Umgangs mit der Vergangenheit. Ist es symptomatisch, dass in
Dresden ausgerechnet Delegierte aus dem Westen genaueres über
die IM-Tätigkeit des gewählten Schatzmeisters Bernhard
Walther wissen wollten, während eine Ost-Delegierte in dieser
Befragung "inquisitorische Züge" erkannte?
Ulrich Maurer: Die Auseinandersetzung
verläuft da nicht entlang einer Ost-West-Grenze, sondern die
Jüngeren auch im Osten, das gilt ganz stark zum Beispiel
für den Berliner Landesverband, haben diese Kritik an dem
Vorgehen in der Schatzmeisterfrage voll geteilt. Ich sehe da eher
ein Generationenproblem. Auch den Parteibildungsprozess erlebe ich
als viel differenzierter. Dieses Schema Ost-West oder
Linkspartei-WASG ist völlig falsch. Das sieht man auch an den
massiven Äußerungen aus dem Osten, die es im Nachgang zu
diesem Ereignis gab.
Das Parlament: Die
Doppelmitgliedschaft kam erst im zweiten Anlauf durch.
Befürchten Sie eine ähnliche Zitterpartie, wenn die
WASG-Basis im nächsten Jahr darüber neu zu entscheiden
hat?
Ulrich Maurer: Nein, eigentlich nicht.
Unsere Probleme liegen noch in Berlin und ein kleines Stück
auch in Mecklenburg-Vorpommern. Aber ansonsten wird dieser
Parteibildungsprozess innerhalb der WASG breit getragen.
Das Parlament: Sie haben lange Jahre
Erfahrungen mit Regierungsbeteiligungen auf Landesebene in
Baden-Württemberg gesammelt. Könnte eine solche
Beteiligung auf Bundesebene, erst recht für einen so kleinen
Koalitionspartner, wie es die Linkspartei sein könnte,
tatsächlich die Chance auf einen Politikwechsel bieten, wie er
von der Partei als Ziel verkündet wird?
Ulrich Maurer: Bei uns entscheidet
sich die Frage, ob wir jemals so etwas machen werden,
ausschließlich über Inhalte. Es ist genau umgekehrt: Erst
der Politikwechsel der SPD schafft die Voraussetzung dafür,
dass man eine solche Frage diskutieren könnte. Und diesen
Politikwechsel sehe ich bei der SPD in absehbarer Zeit
nicht.
Das Parlament: Haben Sie, ganz
persönlich und unabhängig von ihrer
Fraktionszugehörigkeit, den Diskussionsprozess mit ihren
ehemaligen politischen Weggefährten von der SPD
abgebrochen?
Ulrich Maurer: Nein, das setzt sich
mit einzelnen Personen natürlich fort. Es gibt durchaus nicht
wenige in der SPD, die eigentlich die Wahlentscheidung als Auftrag
für eine andere Politik empfunden haben als das, was jetzt in
der Großen Koalition gemacht wird. Und natürlich bin ich,
oder sind wir, grundsätzlich an der Aufrechterhaltung dieses
Diskussionszusammenhangs interessiert.
Das Parlament: Sie wollen als starke
Oppositionsfraktion im Bundestag die Große Koalition politisch
bekämpfen.Welche Rolle spielen die außerparlamentarischen
Gruppen dabei?
Ulrich Maurer: Wir entwickeln sehr
starke Bindungen zu den Gewerkschaften. Es war kein Zufall, dass
der Vorsitzende von ver.di zum ersten Mal an einem Parteitag der
Linkspartei teilgenommen hat. Das war ein deutliches Signal. Gerade
wir sind, weil wir ja ideell mehr oder weniger allein stehen,
besonders stark auf die Zusammenarbeit mit den
außerparlamentarischen Bewegungen angewiesen. Der nächste
Punkt, wo sich das manifestieren wird, ist der europaweite Protest
gegen die Dienstleistungsrichtlinie des Herrn Bolkestein, die
endgültig die große Zahl der Arbeitnehmer in Europa
schutzlos machen würde. Und da wird man dann sehen, dass
dieser Protest im Parlament, aber auch außerhalb, sehr breit
getragen wird.
Das Parlament: Befürchten Sie
eigentlich, eine ähnliche Entwicklung wie die Grünen
durchzumachen, die ja auch viele ihrer ideellen Ansprüche der
Anfangszeit im Zuge ihrer wachsenden Beiteiligung an
Machtpositionen aufgegeben haben?
Ulrich Maurer: Wir sehen diese Gefahr.
Aber sie ist bei uns geringer, weil die Grünen schon im Ansatz
eine liberale Partei waren, eine sehr individualistische, eine sehr
individuelle Freiheitsrechte betonende Partei. Und so war bei den
Grünen eigentlich immer nur die Frage, ob sie ein linkes
liberales Projekt werden oder ob sie eher ein neoliberales Projekt
werden. Dieser Machtkampf hat ja innerhalb der Grünen auch
lange Zeit stattgefunden - und ist jetzt faktisch zugunsten des
neoliberalen Projektes entschieden worden. Die Grünen sind
heute neoliberal plus ökologisch.
Das Parlament: Zahlreiche
Landtagswahlen stehen im Jahr 2006 vor der Tür: Wie sehen Sie
die Chancen der Linkspartei, was ist ihr Ziel?
Ulrich Maurer: Wir wollen in
Sachsen-Anhalt Regierungsverantwortung erlangen. Nicht umsonst
haben wir dort einen eigenen Ministerpräsidentenkandidaten
aufgestellt. Und ich bin mir sicher, dass wir die SPD da weit
hinter uns lassen werden. Wir wollen in Rheinland-Pfalz in den
Landtag einziehen, das ist auch realistisch nach unserem guten
Abschneiden von über fünf Prozent bei der Bundestagswahl.
Und wir wollen in Baden-Württemberg versuchen, ob wir es nicht
auch dort schaffen, obwohl dort die Voraussetzungen schwieriger
sind. Im Süden ist es ein wichtiger Zwischenschritt, daraufhin
eine breite kommunalpolitische Verankerung zu bekommen. Ich denke,
dass wir bei der nächsten Kommunalwahl in
Baden-Württemberg eine dreistellige Zahl von
Mandatsträgern erreichen werden.
Das Parlament: Sie sprachen davon,
dass die Voraussetzungen im Süden schwieriger sind. Wie ist
denn die Akzeptanz einer Partei, die immer noch als "Ost-Partei"
wahrgenommen wird, in einem Land wie
Baden-Württemberg?
Ulrich Maurer: Also, die alte PDS war
im Süden völlig chancenlos. Wir haben die Ergebnisse bei
der Bundestagswahl verfünffacht, einfach deswegen, weil wir im
Süden mit Personen in Erscheinung treten, die in der
Bevölkerung bekannt sind und überhaupt nicht als fremd
empfunden werden. Insofern schwinden da die Vorbehalte.
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