Karl-Otto Sattler
Bürger unter Generalverdacht
Datenschützer warnt vor
Vorratsspeicherung
Interview mit Thilo Weichert,
Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein und Vorsitzender der
Konferenz der Datenschützer des Bundes und der
Länder.
Das Parlament: Die
Vorratsdatenspeicherung bei der Telekommunikation wird mit dem
Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt. Überzeugt Sie
das?
Thilo Weichert: Auch ich bin für
die Bekämpfung des Terrorismus. Aber es ist doch sehr die
Frage, ob die Registrierung aller Telekommunikationsdaten ein
akzeptables Mittel ist. Wir Datenschützer sagen nein, und das
werden auch viele Bürger so sehen. Fortan wird jedermann als
potentieller Terrorist eingestuft. Das ist das Prinzip des
Generalverdachts. Mit dem Argument der Terrorabwehr werden faktisch
Freiheitsrechte eliminiert. Man denke auch an
Berufsgeheimnisträger wie Ärzte oder Rechtsanwälte.
Bedroht ist überdies der Quellenschutz für
Journalisten.
Das Parlament: Aber die Daten sollen
doch nur zur Verfolgung von Straftaten genutzt werden, die unter
dem Europäischen Haftbefehl aufgelistet sind?
Thilo Weichert: Jede Begrenzung ist
besser als keine. In Zukunft haben wir jedoch eine Umkehrung der
Verhältnisse. Bisher galt trotz gewisser Aufweichungen das
Prinzip, dass der Staat erst bei einem Verdacht im Einzelfall die
Telekommunikationsdaten eines Bürgers erfassen kann. Jetzt
wird von vorn herein bei allen alles registriert, Anonymität
existiert nicht mehr, nichts ist mehr vertraulich. Zudem lehrt die
Erfahrung, dass bei der Verwertung von Erkenntnissen aus
Überwachungsmaßnahmen die zunächst festgelegte
Schwelle über kurz oder lang heruntergeschraubt
wird.
Das Parlament: Der Inhalt eines
Telefongesprächs wird doch nicht automatisch
mitgeschnitten?
Thilo Weichert: Wenn das
Fernmeldegeheimnis als zentrales Freiheitsrecht ausgehebelt wird,
dann wird die freie Kommunikation in Frage gestellt, und das ist
dann eine andere Gesellschaft. Im Kern zielt die neue Qualität
der Überwachung auf die Köpfe der Menschen. Das ist ein
Verstoß gegen unsere Verfassung, deren Grundrechte mit
Füßen getreten werden. Das Telekommunikationsgeheimnis
wird schon dann aufgehoben, wenn gespeichert wird, wer mit wem wann
wo Kontakt aufnimmt und wer an welchem Computer welche
Internetseite aufruft.
Das Parlament: Wie es scheint, haben
Bürgerrechtler und Datenschützer nach der Entscheidung
des EU-Parlaments ihren Kampf verloren?
Thilo Weichert: Wir geben nicht auf.
Nun muss der Protest erst artikuliert werden. Ich hoffe, dass der
Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung rückgängig gemacht
werden kann. Spannend wird es, falls einzelne Bürger vor dem
Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gegen die Verletzung
ihrer Grundrechte klagen sollten. Die Umsetzung der EU-Regelung in
nationales Recht bietet zudem Bundestagsfraktionen die
Möglicheit einer Normenkontrollklage in Karlsruhe. Es geht um
die offene Frage, ob das EU-Recht oder unsere Verfassung Vorrang
hat. Der Konflikt um die Registrierung der Telekommunikation bleibt
auf der Tagesordnung.
Das Interview führte Karl-Otto Sattler
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